Endstation Sehnsucht. Malcom Brady. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Malcom Brady
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742750518
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schon mal beschissen an. Draußen ist es einfach viel zu heiß.

       Die Hitze!

       Die Luft ist dick, so dass man sie fast greifen kann. Der schlechte Asphalt klebt einem an den Schuhsohlen fest. Die Sonne steht tief an einem wolkenlosen Himmel. Mir brummt der Kopf. Das Haus steht duldsam in der Hitze. Es hat ihr schon etliche Jahrzehnte widerstanden und wird es auch weiterhin tun. Über der Eingangstür hängt ein bemaltes Schild. Maracas steht drauf. Wir schleichen in den kleinen Saal, kommen uns wieder wir Diebe vor. Valder hätte beinahe den Bass umgestoßen.

       „Sei doch vorsichtig, verdammt!“

       Ich nehme die Gitarre und greife ein paar Akkorde. Scheiße, die Akustik ist schlecht.

       „Das wird nichts heute“, meinte Nacho, der mit dem Tönen des Basses ebenfalls nicht wirklich zufrieden ist. Und wenn etwas schief laufen soll, dann läuft es auch schief.

       „Hey, ihr da, was tut ihr denn da?“

       „Scheiße, der Direktor, wir sind aufgeflogen!“

       Zu unserem Glück ist es aber nicht der Direktor, sondern Yadrian, der Saxophonspieler jener Folkloregruppe, bei der ich Gitarre spiele. Ich versuche ihn zu beruhigen.

       „Hör zu Yad, dreh jetzt bitte nicht durch. Wir haben uns nur mal kurz die Instrumente ausgeliehen. Ist ja nichts weiter passiert und außerdem bringt das alles bei dieser beschissenen Akustik hier drinnen, sowieso nichts!“

       Yadrian lässt sich beruhigen. Er wird uns nicht verraten. Trotzdem ist die Aktion ein Disaster. Und wir haben doch noch so viel vor..

       Tatsächlich behalten wir den Optimismus, den wir benötigten um weiter zu machen. Valder konstruiert ein „Bombo“. Das ist eine alte Holzkiste mit irgendeinem Becken ähnlichen Teller obendrauf. Mit dieser Drum, einer Gitarre und einer Harmonica spielen wir die ersten Songs ein. Das geht so weiter, bis zum November. Dann tritt plötzlich ein Mann in unser Leben, dessen Eigeninteresse uns einen gewaltigen Schritt voranbringen soll. Sein Name ist Lazaro. Er ist irgend so ein Parteifunktionär oder Geschäftsmann, obwohl er sich uns gegenüber zunächst als Komponist ausgibt

       „Hey Jungs, ich habe gehört, ihr habt eine Band und schreibt Songs? Was haltet ihr davon, wenn wir mal im Studio des Radiosenders eine Probeaufnahme machen?

       „Toll, das wäre gigantisch“, sage ich, obwohl mir der Typ nicht ganz koscher vor kommt. Seine Bedingungen stellt er dann auch umgehend: „Also gut, aber vorher müsst ihr mich bei einem meiner Songs begleiten.“

       Das ist es also. Wir sollen für ihn den Background spielen. Nun, warum nicht, wenn wir dafür im Gegenzug auch unser Lied aufnehmen dürfen...?

       Wir borgen uns die Instrumente aus dem nahegelegenen Theater. Die Aktion setzt eine große Herausforderung an Intelligenz und organisatorischem Geschick voraus. Wir bemerken sehr schnell, dass der Typ überhaupt nicht singen kann. Nacho springt für ihn ein. Das Lied wird gut, aber unser Song wird besser. Er besteht genau aus jenen Akkorden, die wir bereits im September zusammengebastelt haben. So entsteht am 11 November 1982 die Band „Estudio Rocas“, wie wir sie seit unseren Anfängen auf der Nationalen Kunst und Musikhochschule geplant haben. Die Instrumente für die Aufnahme borgen wir uns aus dem nahegelegenen Theater, Dann kommt der Moment, als ich unser Lied zum ersten Mal im Radio höre. Wow, was für ein Glücksmoment für mich, auch wenn es einer Band von Exil-Chilenen zugeschrieben wird. Eine Tatsache, die unsere Bedeutung in der Öffentlichkeit merklich aufwertet.

       Weitere Aufnahmen folgen. Allerdings immer nur an den Montagen. Dann ist das gegenüberliegende Theater geschlossen und die Folkloregruppe, zu der ich nach wie vor gehöre, hat frei. So schleppen wir abends die geliehenen Instrumente zum Radiosender, nehmen unsere Songs auf und bringen sie in der Nacht wieder zurück. Unser Lied wird nun fast täglich im Radio gespielt. Uns fehlt es nicht an ausgeklügelten Taktiken, oder riskanten Strategien, um die von dem politischen System erstellten Hürden zu überspringen. Wir versuchen ständig unser Equipment zu verbessern und übergehen den so cleveren Geschäftsmann, der uns für seine Rechte als Kompositor auch noch prächtig bezahlen lassen möchte. Dafür beziehen wir diesmal die Presse mit ein. In einem von uns glänzend präparierten Artikel erklären wir, keine Rockmusiker zu sein, auch wenn wir natürlich genau das sind. Offiziell spielen wir etwas ganz anderes als das, was auf Englisch von unserem Klassenfeind, den Amerikanern kommt.

       Im April 1983 wird Nacho auf Pedro, einem begnadeten Pianisten und Sänger aufmerksam. Uns gelingt es ihn zum mitmachen zu überreden. Von jetzt an sind wir zu viert und ändern den Bandnamen Studio Rocas in Rocas um, denn wir wollen mehr als nur eine Studioband sein. Unser Ziel ist es öffentlich aufzutreten. Mit allem, was uns zur Verfügung steht, stürzen wir uns ins Showgeschäft. Als Proberaum dient uns ab sofort Pedros umgebautes Wohnzimmer, in dem auch das alte Piano steht, das er sich angeschafft hat. Wir verteilen sämtliche Möbel auf die anderen Räume, aber noch fehlt uns das wichtigste, um öffentlich auftreten zu können: Die Erlaubnis, sowie die Anerkennung als professionelle Rockmusiker, durch die lokale Kulturbehörde. Zusammen mit einem Kollegen am Saxofon, nehmen wir sechs weitere Songs auf. Sie werden von den lokalen Radiosendern dankend aufgenommen und fast ununterbrochen gespielt. Das bringt uns einige Pluspunkte ein. Es sind auch die Aufnahmen jener neuen Songs mit denen wir bei der lokalen Kulturbehörde vorsprechen. Das Gespräch verläuft in etwa so:

       „Ihr wollt also eine Musikgruppe gründen?“

       „Nun ja...“

       „Und was spielt ihr?“

       „Etwas Elektronisches.“ Die Antwort kommt etwas zögerlich, schließlich wollen wir ja nicht gleich die Katze aus dem Sack lassen.

       „Nein, davon haben wir bereits schon eine“, sagt der Beamte und als er unsere enttäuschten Gesichter sieht, fügt er noch schnell hinzu: „Wenn ihr vielleicht etwas anderes spielen wollt...möglicherweise könnte ich da...“

       Unglaublich! Nie zu vor sind mir die Auswirkungen einer Planwirtschaft derart vor Augen geführt worden. Aber sollen wir deshalb aufgeben? Mit Sicherheit nicht.

       Für den nächsten Anlauf bereiten wir uns besser vor. Diesmal wenden wir uns an einen anderen Beamten, der uns als einen echten Kenner der Materie Musik unter der Hand empfohlen worden ist. Aber in dem Moment, als wir in sein Büro treten, wissen wir, das dem nicht so ist. Der Typ ist dick und rund und scheint sich wohl eher in der Gastronomie auszukennen. Von Musik hat er jedenfalls nicht die leiseste Ahnung.

       Wie manche Leute an ihre Posten kommen...

       Wie dem auch sei, jedenfalls scheint unser Beamte ein feines Gespür zu besitzen, wie oder durch wen er sich einen Vorteil verschaffen kann. Bei uns erkennt er anscheinend ein gewisses Potential, was ihn dazu veranlasst sich einigermaßen wohlwollend über unsere Musik zu äußern. Es folgen weitere Treffen dieser Art, bei denen fast immer sogenannte Spezialisten zugegen sind. Schließlich bietet man uns an, eine Probevorstellung vor einem erlesenen Publikum zu geben. Danach wird man entscheiden, ob man uns als professionelle Musiker anerkennen kann. Uns steht die nächste Herausforderung an eine unserer größten Fähigkeiten bevor: Das taktieren mit risikoreichen Strategien.

       Als Ort des Geschehens wählen wir das Theater „José Luis Tasende“ aus. Dort ist die Akustik allemal besser, als in jenen Kleinbühnen, die uns der Beamte vorschlägt. Trotzdem kostet es uns jede erdenkliche Mühe, ihn davon zu überzeugen. Der gute Mann geht dann auch gleich auf Nummer sicher und überträgt den Event an einen, ihm unterstellten Offizier Namens Ivan. Und dieser Ivan ist eine schier unglaubliche Type, so etwas wie eine perfekte Politmaschine. Er ist wie ein Korken im Wasser, der niemals untergeht. Niemals untergehen kann, weil er sich