Undercover. Manuela Martini. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manuela Martini
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Shane O'Connor Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742759382
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LenkradWas würden sie reden? Vielleicht – und bei dem Gedanken klopfte sein Herz schneller – vielleicht wollte sie mit ihm schlafen? Er bog gerade noch rechtzeitig nach rechts in die Promenadenstraße mit den Geschäften und Restaurants ein. Sie hatte den Coffee Club vorgeschlagen.

      Die Menschen kamen vom Strand zurück, mit Luftmatratzen, Handtüchern unter dem Arm und von der Sonne geröteter Haut. Sie saßen in den Cafés und schlenderten durch die Arkaden, betrachteten die Schaufenster, begutachteten die T-Shirts und Kleider auf den Ständern vor den Mode- und Sportgeschäften. Da, da war er, der Coffee Club. Er ließ seinen Blick über die Tische und Stühle vor dem Café schweifen, ein grünes Kleid, dunkelrotes Haar, ihr Porzellangesicht suchend. Ein Anflug von Panik erfasste ihn. Als er auf die Uhr sah stellte er fest, dass er fast zehn Minuten zu früh war. Er warf einen Blick ins Innere des Cafés, nicht dass sie doch schon früher gekommen war und sich dort einen Platz gesucht hatte. Aber dort fand er sie nicht. Also wählte er einen Tisch draußen, der ihm am besten gefiel, einen am Rand, so dass man von einem Platz aus auf die Uferstraße und das Meer sehen konnte. Diesen Platz dachte er für sie. Er setzte sich auf den Stuhl gegenüber und wartete.

      Kapitel 7

      Als am Nachmittag die stämmige Krankenschwester das Teegeschirr abräumte, bat Shane sie, ihm in den Rollstuhl zu helfen. Überrascht sah sie ihn an.

      „Wollen Sie spazieren fahren?“

      Sonst hatte er eine schlagfertige Antwort parat, aber jetzt konnte er nur müde ja sagen. Er hätte seinen Besuch vielleicht ankündigen sollen, fiel ihm ein, als er sich ächzend in den Rollstuhl setzte. Verdammt, tat das weh! Shane überlegte noch immer, ob es eine Art Pflichterfüllung war, die er sich auferlegt hatte, oder ob er sein Gewissen beruhigen und ihre Absolution erhalten wollte. Egal – der Gedanke hatte ihn einfach nicht mehr losgelassen, und er würde dieses Krankenhaus nicht verlassen können, bevor er Ann nicht aufgesucht hätte.

      Die Krankenschwester begleitete ihn bis vor Anns Tür, dann ließ sie ihn auf seinen Wunsch allein. Er klopfte. Eine dünne Stimme rief:

      „Herein.“

      Shane rollte ins Zimmer. Ann lag im Bett. Das rötlichblonde, halblange Haar klebte an ihrem länglichen Gesicht. Aus verquollenen Augen sah sie ihn an.

      „Ich wollte dich vorher anrufen“, sagte er, im Rollstuhl, zwei Meter von ihrem Bett entfernt. Sie ließ sich wieder ins Kissen zurück fallen und starrte geradeaus an die Wand.

      „Es tut mir leid, Ann.“

      Sie schwieg. Plötzlich fuhr sie ihn an: „Was tut dir leid, Shane?“

      Er hätte doch nicht vorbeikommen sollen. Jedenfalls nicht so bald. Vielleicht hätte er ihr eine Karte schreiben sollen. Was hatte er denn erwartet? Dass sie ihm um den Hals fiel, froh, dass wenigstens er noch lebte?

      „Ann, ich wollte dir sagen, wenn du Hilfe brauchst...“

      „Danke, ich schaff’ das alles allein.“

      Die Worte einer störrischen Farmerfrau, dachte er. Er erinnerte sich, wie Jack ihm erzählt hatte, sie habe einen Großteil ihrer Kindheit bei ihren Großeltern auf einer großen Farm hinter Charleville verbracht.

      „Ann, ich verstehe, wie du dich fühlst...“

      „Nein!“ Sie setzte sich mühsam auf. „Du verstehst gar nichts! Warum hast du nichts unternommen, Shane? Warum hast du Jack sich mit diesen Männer streiten lassen?“

      Ihre eben noch wutverzerrten Gesichtszüge fielen ein, und langsam legte sie sich ins Kissen zurück.

      „Geh jetzt, Shane.“

      „Er hat sich sehr auf das Baby gefreut“, sagte er noch, „er hat an dem Abend immer wieder von dir und dem Baby gesprochen.“ Ohne eine Erwiderung zu erwarten, drehte er den Rollstuhl zur Tür.

      „Shane!“

      Er sah sie an. Ihre Lippen zitterten.

      Er rollte ans Bett und nahm ihre Hand. Sie hob das Gesicht und weinte. Er hatte das Gefühl, als weine sie auch für ihn, weil er es nicht konnte.

      „Ich hatte eine Frühgeburt, vier Wochen zu früh.“ Sie wischte sich die Tränen ab. „Er ist noch sehr schwach ...“ Ihre Hand war feucht und kalt.

      „Willst du ihn sehen?“, fragte sie auf einmal.

      „Ja“, sagte er.

      Sie ließ seine Hand los, stieg aus dem Bett und zog ihren Bademantel an.

      Es war ein seltsames Gefühl, im Rollstuhl neben ihr zu fahren; und er war erleichtert, als sie auf der Säuglingsintensivstation vor der großen Scheibe angekommen waren, durch die hindurch man die verkabelten gläsernen Kästen sehen konnte, in denen die winzigen Babies lagen.

      „Der zweite von links“, sagte sie.

      Shane betrachtete eine Weile das rötlichbraune, feingliedrige menschliche Wesen mit dem schwarzen Haar, das zu schlafen schien. Jack stand auf dem Klebeband.

      „Hi Ann!“

      Eine Krankenschwester war vor ihnen stehen geblieben und strahlte aus einem sommersprossigen Gesicht Ann an. „Er hat viel Kraft, Ann!“ Dann fiel ihr Blick auf Shane. Ob sie wusste, wer er war? Sie berührte kurz Anns Arm, dann nickte sie ihnen zu und ging.

      „Jack wollte, dass er Paul heißt wie sein Vater“, sagte Ann. „Aber ich habe ihn Jack genannt.“

      „Jack, ja. Das ist ein guter Name.“ Er konnte das alles nicht mehr ertragen. Es wurde zuviel. Zuviel Leid. Zuviel Hoffnung. Zuviel Schmerz.

      „Ann, ich muss zurück, eine Untersuchung...“

      Sie nickte rasch, warf einen letzten Blick zu Jack und schob Shane zurück in den Aufzug. Sie stand hinter ihm, und er starrte an die metallene Wand, auf der sie sich schemenhaft und verzerrt spiegelten.

      „Vor ein paar Wochen war ich mit einer Freundin auf einem Flohmarkt“, fing sie an, „sie hat mich überredet für Jack ein Jahreshoroskop anfertigen zu lassen.“ Sie schluckte. „Aber dass er bald ermordet werden würde, hat die Astrologin nicht gesagt.“

      In dem Moment ging die Tür auf. Sie waren auf Anns Station angekommen. Sie zögerte, auszusteigen.

      „Ann ... soll ich ... möchtest du ... dass ich dich wieder besuche?“

      Sie nickte, schlug dann die Hände vors Gesicht und stürzte hinaus.

      Die Türen schlossen sich, und er fühlte sich beklommen.

      Immer und immer wieder lief derselbe Film vor ihm ab, der Gang durch die dunklen Straßen, die Witze, die Abkürzung, das Schaufenster des Internetcafés, das schwarze Rechteck des Hauseingangs, vor dem Jack stehen blieb. Wenn du nicht Harry bist, dann will ich erstrecht euren Ausweis sehen! Shane hätte Jack einfach weiterziehen sollen. Warum, warum nur hat er es nicht getan?

      Das Glück, überlebt zu haben, dachte er, hat einen Preis, den er noch schuldig war.

      Kapitel 8

      Josh fuhr durch das stille Straßenlabyrinth, eine seltsame Welt aus leuchtenden und blinkenden Rentieren, Nikoläusen und Weihnachtskugeln, mit denen die Bewohner ihre Häuser und Vorgärten dekoriert hatten. Sie war nicht gekommen. Eine Stunde lang hatte er an dem Tisch im Coffee Club gesessen und gewartet, immer wieder aufgeschaut, immer wieder den Hals gereckt, um sich zu versichern, dass sie nicht doch drinnen saß und ungeduldig auf ihn wartete. Irgendwann hatte er ein Mineralwasser bestellt. Vielleicht hatte sie ihn missverstanden und den nächsten Nachmittag gemeint. Oder war ihr etwas zugestoßen? Ein Unfall? Oder – oder hatte ihr jemand anders ein besseres Angebot gemacht? Dieser Mann? Als er aufstand und ging, war sein Glas noch halbvoll. Er hatte sich ins Auto gesetzt und war einfach losgefahren. Ziellos. Wie er es öfter tat, wenn er nicht wusste, was er mit sich und seinem Leben anfangen sollte.