Undercover. Manuela Martini. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manuela Martini
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Shane O'Connor Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742759382
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ich hab’ mir die ganze Zeit überlegt, was ich sagen soll...und jetzt...“ Er stützte sein Gesicht in die Hände, und als er wieder aufblickte, waren seine Augen feucht. „Ich kann es einfach nicht begreifen. Jack, Evans Hawking – und einer der Männer im Hausflur...“

      Sie starrten ins Leere und schwiegen.

      „Ein paar Stunden, nachdem Ann es erfahren hat, kam das Baby“, sagte Al.

      Jacks Kind. Ann war im achten Monat gewesen, Shane wollte nicht daran denken.

      „Du weißt ja, wie die Ärzte sind, Shane... sagen nie direkt, was Sache ist. Sie wissen nicht, ob es durchkommt.“ Al hob die breiten Schultern in seinem abgetragenen, unmodern gemusterten Jackett. „Ann ist hier, oben auf der Gynäkologie. Wenn du hier aus dem Bett kannst, dann...“

      „Wie kommst du auf einen so idiotischen Gedanken, Al! Sie muss mich hassen!“

      Al sah ihn an. Shane fand, dass dessen schiefes Gesicht noch asymmetrischer war als sonst. Die tiefen Falten um die Mundwinkel gruben sich scharf ins Fleisch, und verliehen ihm mit der groben Nase einen brutalen Ausdruck.

      „Shane, du bist der Letzte, der Jack erlebt hat. Vielleicht kannst du ihr Jacks letzte Worte mitteilen, oder worüber ihr am Abend gesprochen habt. Shane“, sagte Al und beugte sich vor, „ihr wart jahrelang Partner. Du hast wahrscheinlich mehr Zeit mit ihm verbracht, als Ann.“

      Ja, damit hatte er sicher recht. Trotzdem, er könnte Ann nicht in die Augen sehen. Warum er, und nicht du, würde sie denken, ganz sicher, und er könnte es ihr noch nicht einmal übel nehmen.

      „Ich weiß nicht mehr, worüber wir an dem Abend gesprochen haben. Wir waren besoffen“, sagte er.

      Al fuhr sich mit seinen mächtigen Händen übersm Gesicht.

      „Denk’ drüber nach, Shane, ich glaube, sie braucht dich.“

      Shane spürte, wie ein kalter Schatten über ihn kroch. Wieder sprachen sie eine Weile nichts, bis Shane die einzige Frage stellte, die noch für ihn von Belang war.

      „Al, sag’ mir: Warum ich? Wer braucht mich? Meine Exfrau heiratet in zwei Wochen einen großzügigen Mann, meine Tochter ist fast erwachsen, ich habe weder Hund noch Katze, auch keinen Papagei oder Kanarienvogel, keine Maus und keine weiße Ratte, nichts, nur eine trinkende Nachbarin, die mich vielleicht die erste Woche vermissen würde, also, sag’ mir verdammt noch mal, warum gerade ich? Warum habe ich überlebt?“

      Al blickte auf den Boden.

      „Ich wäre beinahe mit euch gegangen, doch da hat mich einer ins Taxi geschoben.“ Er seufzte und hob den Kopf. „Ich weiß es nicht, Shane, aber, egal, ob du an einen Gott glaubst oder nicht, ich aber bin der Überzeugung, dass es irgendeinen Sinn gibt. Jeden Tag kann es einen erwischen. Wir vergessen das nur.“

      So hatte Shane ihn noch nie reden hören. Normalerweise klopfte er einem auf die Schulter und sagte das wird schon wieder.

      Al richtete sich auf.

      „Shane, sie warten alle darauf, diesen verdammten Hund zu jagen!“ Seine Stimme klang fast wieder fest wie sonst. „Wir brauchen eine Beschreibung, einen Anhaltspunkt, ein Detail, irgendwas!“

      Wie sehr hatte sich Shane schon damit gequält.

      „Al, ich hab’ ihn nicht gesehen, er stand im Dunkeln. Aber Jack muss ihn gekannt haben, oder zumindest glaubte Jack das. Jack sagte etwas wie: Mensch, das ist doch Harry...“

      Marlowe zog die Augenbrauen zusammen. Er ging im Zimmer auf und ab, einen Meter zum Fenster, zwei Meter zur Tür. Dann drehte er sich um und sah Shane direkt in die Augen.

      „Der Tote im Hauseingang jedenfalls ist identifiziert. Er heißt Darren Martin, arbeitete in einem Catering-Service, oben an der Sunshine-Coast. Achtundzwanzig, ohne Familie, ohne Angehörige. Er hatte Drogen bei sich. Amphetamine. Ecstasy.“

      Sie waren in einen Drogendeal geplatzt. In einen verdammten Drogendeal! Und deshalb hatten seine Kollegen sterben müssen!

      „Habt ihr nach einem Harry gesucht? Dieser Harry hat geschossen! Und Jack kannte ihn!“ Ein scharfer Schmerz durchfuhr Shane. Er hatte sich in der Aufregung aufgerichtet, doch gleich ließ er sich wieder ins Kissen zurückfallen. In Al Marlowes Stirn gruben sich die Falten noch tiefer.

      „Wir haben übrigens bereits Darren Martins Apartment in Maroochydore untersucht. Leer. Nur Möbel, Wäsche, Geschirr. Absolut nichts Persönliches. Da war jemand schneller als wir.“

      Al warf er einen schnellen Blick auf seine Armbanduhr und räusperte sich.

      „Shane, was ich dir noch sagen wollte... Man wird dich zu einer Anhörung laden. Reine Routine, du weißt ja, sie wollen dann alles noch mal wissen.“

      „Wann?“

      „Morgen früh um neun.“

      Shane sagte es sich immer wieder nachdem Al gegangen war, dass es Routine war, dass man natürlich so schnell wie möglich über alle Einzelheiten des Falls informiert sein musste. Dennoch war er nervös. Sie verlangten von ihm, sich zu erinnern, den genauen Ablauf zu schildern, den Täter zu beschreiben, Größe, Haarfarbe, Kleidung – und er würde ihnen das alles nicht geben können. Sein Blick fiel auf den Kartenstapel mit Genesungswünschen seiner Kollegen. Sie alle warteten ungeduldig darauf, den Mörder zu jagen. Harry. Ein verdammter Harry.

      Und wer war Darren Martin?

      In der Nacht dachte er an seine Kindheit. Wie sehr hatte er seinen Vater bewundert. Wenn er abends heimkam und von seinen Erlebnissen erzählte, waren das Abenteuer, die er auch erleben wollte. Natürlich wollte er auch Polizist werden. Ein Polizist war ein Held. Das hatte Jack auch gesagt. War Jack ein Held, weil er sich von dem Typen nicht hatte einschüchtern lassen – oder weil er im Kampf gestorben war? Bin ich ein Held, weil ich überlebt habe, oder bin ich gerade deshalb keiner? Bin ich Polizist geworden, weil ich ein Held sein wollte, oder weil ich so sein wollte, wie mein Vater?

      Wenn mein Vater Verbrecher gewesen wäre, wäre ich dann auch Verbrecher geworden? Er starrte in die Dunkelheit und dachte an Anns und Jacks kleinen Sohn, der ums Überleben kämpfte. Warum?

      Die verdammten Methamphetamine! Zuerst, wenn man sie rauchte oder injizierte erlebte man den Flash, doch das dauerte nur wenige Minuten. Dann folgte das High, das auch noch okay war und sechs bis acht Stunden anhielt, doch dann kam unausweichlich das niederschmetternde Low, die Depression, die man dann wieder mit neuem Stoff überwand. Nahm man Tabletten oder schnupfte man das Zeug, erlebte man zwar dasselbe High aber nicht den intensiven Rush.

      Man nahm es, weil man wach sein musste. Oder man wollte die sexuelle Lust und Aktivität steigern, die ganze Nacht feiern, im Büro ausdauernder als die Kollegen sein, länger hinterm Steuer sitzen, andere wollten ihre Depression loswerden oder AIDS-Kranke ihre krankheitsbedingte Müdigkeit. Manche wiederum wollten einfach Gewicht verlieren. Wie oft hatte er das alles schon gehört und miterlebt! Und dann wurden sie abhängig von diesem Rush und dem High. Der Crash musste unbedingt hinausgeschoben werden. Dieser Zustand, in dem man extrem irritierbar und paranoid war. Langsam aber sicher zerstörte man seinen Körper, sein Zentrales Nervensystem, sein Gehirn.

      Warum waren sie nicht einfach an diesem verfluchten Hauseingang weitergegangen!

      Kapitel 5

      Pünktlich um neun Uhr schob ihn die Krankenschwester, eine kräftige Frau mit kurzen Beinen, zurück in sein Zimmer, das er für eine Untersuchung hatte verlassen müssen. Sie warteten schon auf ihn. Fünf Gesichter sahen ihn an. Er kannte sie alle und eines hatte er gehofft, nie wieder sehen zu müssen.

      „Guten Morgen, Shane!“, sagte Al.

      Die anderen nickten. In U-Form hatten sie ihre Stühle gerückt, ganz rechts saß Maree, die Sekretärin, die ihm aus ihrem vollen Gesicht mit den roten Lippen zulächelte - sie hatte ihm eine besonders warmherzige Karte geschrieben - neben ihr der Psychologe Dr. Nelson Drury, ein schmächtiger Mann mit sanften braunen