Undercover. Manuela Martini. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manuela Martini
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Shane O'Connor Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742759382
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wurde. Er starrte aufs Meer, auf die heranrollenden Wellen, die sich vor dem Strand schaumspritzend brachen; er sah den Möwen zu, die gruppenweise, in dieselbe Richtung blickend da standen, dann aufflogen, sich vom Wind treiben ließen und sanft an einer anderen Stelle landeten; er beobachte den Himmel, über den Wolken zogen, erst orangefarbene, dann braune und gelbe und schließlich dunkelgraue, die manchmal weiße Ränder bekamen, wenn sie in die Nähe des Mondes kamen.

      Wie hatte er auch nur einen Moment annehmen können, dass Chrissy sich mit ihm treffen würde? Ganz sicher war sie mit diesem Mann zusammen. Wieder erschienen die Bilder vor ihm: sie nackt über die Sessellehne gebeugt, der Mann hinter ihr...

      Warum brachte er es nicht fertig, ein normales Mädchen anzusprechen?

      Irgendwann fing er an zu frieren und er fuhr heim.

      Lange konnte er nicht einschlafen, während Garbo wie immer in vertrauensvoller Entspannung schwer auf seinen Füßen lag und zufrieden schnarchte. Sicher, dachte er, sicher hat sie sich über mich lustig gemacht. Wie gut er das kannte. Als er noch ein Kind war, wollte ihn sein Vater öfter zum Surfen mit hinausnehmen, doch er hatte sich immer dagegen gewehrt, weil er Angst hatte. Angst vor der unbekannten Tiefe des Wassers, Angst, von irgendetwas hinuntergezogen und verschlungen zu werden. Er hatte geheult und sein Vater hatte ihn jedes Mal ausgelacht. Feigling, hatte sein Vater gesagt, Heulsuse! Du bist genauso wie mein Bruder Graeme. Der hat sich auch nichts getraut im Leben. Und, wo ist er heute? Im Gefängnis, weil er sich selbst nichts getraut und sich lieber auf andere verlassen hat.

      Josh wurde übel. Auf einmal fühlte er sich mutterseelenallein. Er stand auf und zog die Tür auf, die vom Schlafzimmer in den Garten führte. Wie ein schwarzer Schlund lag der Garten vor ihm. Er zog die Tür wieder zu. Seine Haut fühlte sich klebrig an. Ich muss Chrissy vergessen, dachte er.

      Kapitel 9

      Am nächsten Morgen verließ Shane auf eigene Verantwortung das Krankenhaus.

      „Ich würde Ihnen empfehlen, noch ein paar Tage hier zu bleiben. Haben Sie denn jemanden, der für Sie sorgt?“, hatte der Arzt gefragt. „Ja“, hatte er gelogen.

      „Okay, kommen Sie übermorgen zur Kontrolle, dann gebe ich Ihnen die Unterlagen mit für ihren betreuenden Arzt. Wie steht’s mit den Schmerzen?“

      „Geben Sie mir was zum Vergessen. Oder ein neues Leben ohne Erinnerung“, hatte er geantwortet.

      Der Arzt hatte geseufzt und ihm das Formular hingeschoben.

      Jetzt mühte sich Shane auf Krücken zum Aufzug. Eine Krankenschwester trug ihm die Tasche mit seiner Wäsche und begleitete ihn bis zum Taxi. Sein Bein schmerzte trotz der Tabletten. Er war es nicht gewöhnt, an Krücken zu gehen und als er endlich vorne im Taxi saß, war er schweißgebadet.

      „Rechtzeitig zum Weihnachtsurlaub, was?“, sagte der Taxifahrer mit einem Augenzwinkern und deutete auf sein Bein. „Erspart Ihnen wenigstens die lästigen Weihnachtseinkäufe, was? Na, ist bei der Hitze allerdings auch kein Vergnügen, ich meine Ihr Verband da.“

      „Macht es Ihnen was aus, loszufahren?“, brummte Shane.

      Der Taxifahrer lachte gutmütig.

      „Mann, Sie haben denselben Humor wie mein Schwager!“

      Shane fragte nicht weiter.

      Shane blickte auf die Straße, die jetzt, um kurz nach zwölf mittags, genauso belebt war wie morgens, wenn die Büros öffneten. Männer und Frauen in grauen und schwarzen Kostümen und Anzügen suchten für den Lunch Restaurants oder Cafés auf, andere eilten, ein Sandwich essend wieder zurück zu ihrem Arbeitsplatz. Auf einer Anzeigetafel sah er, dass zweiunddreißig Grad im Schatten herrschten, von denen er im Taxi zum Glück wenig mitbekam. Sie kamen nur langsam voran. Immer wieder musste der Fahrer bremsen, sich einreihen in lange Autoschlangen, die langsam von einer Ampel zur anderen krochen.

      Schließlich hielt der Taxifahrer am Rückeingang des siebenstöckigen Apartmenthauses am Brisbane River, half Shane beim Aussteigen, trug seine Tasche und hielt ihm die Tür zum Aufzug auf.

      „Gute Besserung!“, sagte der Fahrer zum Abschied, „und lassen Sie sich nicht unterkriegen!“

      „Grüßen Sie Ihren Schwager“, sagte Shane. Der Taxifahrer lachte und ging. Die Türen schlossen sich. Shane schloss sein Apartment auf, hob die Tasche hinein, schaffte es, die Verandatür aufzuschieben und ließ sich erschöpft in den Sessel sinken, der direkt im Windzug stand. Er war endlich zu Hause. Sein Bein brannte, und er fühlte sich müde. Er brauchte unbedingt einen Drink. Also machte er sich wieder auf den Weg. Noch nie war ihm die Distanz zur Küche so groß erschienen. In der Küche roch es muffig. Er schob das Fenster auf und goss sich einen Whisky aus der neuen Flasche ein, die er sich vor einer Woche gekauft hatte, warf zwei Eiswürfel hinein, kippte das Glas herunter, goss nach, klemmte die Flasche in den Hosenbund und hinkte mit dem Glas in der einen und der Krücke in der anderen Hand zurück zum Sessel. Er legte beide Beine hoch und schaltete das Fernsehen ein. Er musste nachdenken, wie er jetzt weitermachen sollte.

      Kapitel 10

      Als es dunkel wurde, und er statt den Himmel sich selbst in der Scheibe sah, griff er zum Telefon und rief Ann an. Jack hatte wieder einen Tag überlebt. Er trank weiter Whisky, der die Eigenart besaß, dass er länger gut schmeckte als er ihm gut tat. Obwohl er das wusste, ignorierte er es immer wieder. Und schon überfielen sie ihn, die Träume, besetzten sein Hirn, löschten alle anderen Bilder aus, so dass es nur noch diese Bilder, diese eine Erinnerung gab und sonst nichts mehr. Sein ganzes Leben war zu dieser einen Nacht zusammengeschmolzen.

      Nach weiteren Gläsern sah er glasklar: Seine ganze Existenz war auf diesen einen Moment hin angelegt. Es war sein Schicksal, vorherbestimmt, von seiner Geburt an, nein noch früher... Die Scheidung von Kim, die Trennung von ihr und seiner Tochter Pam bekam plötzlich einen Sinn. Es hatte so kommen müssen, denn sonst wäre er womöglich gar nicht so spät nach Hause gegangen. Er hätte vom Pub aus ein Taxi genommen, denn Pam hätte sicher ein Tennisturnier gehabt, und er müsste am nächsten Morgen fit sein... Alles folgte einem Plan. Er goss nach. Der Plan Gottes. Ihn traf keine Schuld. Er war dazu bestimmt, weiterzuleben. Warum? Weil für ihn ein anderes Ende vorausbestimmt war. Was ihm noch bevorstand, wollte er sich nicht vorstellen.

      Die Flasche war fast leer. Wie seltsam, dachte er, wenn ich einen größere Flasche gekauft hätte, hätte ich alles noch klarer sehen können, doch offenbar ist mir das nicht erlaubt, sonst hätte ich nicht die kleinere Flasche gekauft. Wie wunderbar, dachte er und fühlte sich aufgehoben in seinem ganz persönlichen, für ihn ausgewählten und vorbestimmten Schicksal.

      Um drei Uhr wachte er schweißgebadet mit rasendem Herzen auf. Jetzt zahlte er den Preis für seine wunderbaren Erkenntnisse, die ihm nur noch wie billige Flunkereien vorkamen. Warum fiel er immer wieder auf den Whisky und seine bersteinfarbene Verheißung herein? Er war wieder dort gewesen, in der Straße, er hatte die Stimmen gehört, den Mond gesehen, die Wolke, die sich vor ihn schob und dann kam der Schuss und er zog, schoss zurück, hörte die Kugeln pfeifen und mit einem metallischen Klick aufs Pflaster prasseln, er wurde durchsiebt, und überall war Blut...

      Wütend hievte er sich aus dem Sessel, humpelte mit den Krücken zur Balkontür und ging hinaus. Nirgendwo brannten Lichter. Niemand würde es bemerken, wenn er in dem Augenblick auf die Brüstung klettern und sich von dort oben hinabstürzen würde.

      Am Morgen würde ihn jemand finden, unten, im kleinen, umzäunten Garten, neben dem Pool. Er atmete die feuchtkühle Luft ein und ließ seinen Blick über den pechschwarzen Fluss gleiten. Sein Leben war ein anderes geworden.

      Shane musste beim Fernsehen eingeschlafen sein, denn warme Sonnenstrahlen weckten ihn, und er bemerkte, dass der Fernseher noch immer lief. Eine blonde Moderatorin verlas fremdsprachige Nachrichten. Er schaltete ab. Einen Augenblick glaubte er, dass er damit auch seine Bilder im Kopf abschalten würde. Doch sie wurden stattdessen wieder deutlicher, schärfer, farbiger und lauter. Jetzt hörte er