Undercover. Manuela Martini. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manuela Martini
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Shane O'Connor Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742759382
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da war Jack, dachte er, und das, das war ich...

      Er hob den Kopf und entdeckte zwei vertrocknete rote Rosen neben den beiden Stufen vor dem Eingang, und er dachte an Ann und an die Frau von Evans und die Freundin von Hawking, die ihn heiraten wollte. Wenn der Schütze dreißig Zentimeter höher gezielt hätte, hätte sein Leben auch hier geendet, hier, in dieser ruhigen Bürostraße, die so friedlich und harmlos wirkte. Oft strahlten Orte, an denen ein Unglück geschehen war, danach eine besondere Stille und Ruhe aus, das machte sie noch erschreckender.

      Ein paar Mal atmete er tief durch, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle und ging langsam auf den Eingang zu. Am grauen Verputz der Fassade bemerkte er zwei längliche Tafeln aus weißem Kunststoff. Er ging noch ein wenig näher, bis er die Aufschrift lesen konnte. Dr. P.M. Fleer, Rechtsanwalt stand auf dem unteren und darüber: Artconcept – Agentur für Kunst.

      Am Eingang befanden sich neben den Klingelknöpfen auf verkratzten Metallverblendung zwei weitere Namenschilder. Hatten die beiden Männer mit einem von den Bewohnern zu tun? Waren sie alle überprüft worden? Natürlich, dachte er, sicher hatte man alle Bewohner der Straße befragt, schließlich war jeder Kollege versessen darauf, den Mörder zu finden. Da ließ man keine auch noch so unbedeutend erscheinende Spur außer Acht. Umständlich und auf die Krücken gestützt zog er sein Notizbuch aus der Hosentasche und schrieb alle Namen auf. Dann sah er von dort zur Straße. Diesen Blickwinkel mussten die beiden Männer gehabt haben. Warum hatte einer von ihnen geschossen? Was war der Auslöser gewesen? Jacks Aufforderung, die Papiere zu zeigen? Hatte er keine, hielt er sich illegal auf? Oder war er einfach bei der Erscheinung von Polizei durchgedreht? Traumatisiert? Hatte er unter Drogen gestanden? Er wollte gerade gehen, als ein Streifenwagen vorbeirollte. Der Fahrer hatte das Fenster heruntergelassen und lässig den Ellbogen auf den Türrahmen gelegt. Als er Shane sah, hielt er an.

      „Detective O’Connor?“

      „Ja?“ Er kannte den Polizisten nicht.

      Sofort stieg der Beifahrer aus, einer der Bulligen mit Kurzhaarschnitt.

      „Constable McDermid“, stellte er sich vor. „Furchtbare Sache.“ Er ließ seinen Blick zum Hauseingang schweifen. Einen Moment zögerte er, vielleicht, weil er nicht wusste, wie er einem gerade noch Davongekommenen zu begegnen hatte, oder weil er sich fragte, ob seine Frau auch eine Blume hingelegt hätte, wenn er dort gestorben wäre.

      „Kennen Sie sich hier aus?“ Shane erlöste den Kollegen aus seinen düsteren Betrachtungen.

      McDermid wirkte tatsächlich erleichtert.

      „Schon. Können Sie sich denn wirklich nicht erinnern, wie er ausgesehen hat?“

      „Es war Nacht, Constable“, sagte Shane mit einem Anflug von Gereiztheit.

      Der junge Kollege nickte rasch.

      „Können wir Sie mitnehmen?“

      Jetzt erst dachte Shane daran, wie mühsam es wäre, hier ein Taxi zu finden. „Gute Idee.“

      McDermid überließ ihm den Beifahrersitz und setzte sich nach hinten.

      „Wohin kann man von hier aus flüchten?“, fragte Shane, die Krücken neben sich.

      Der Fahrer, ein Rothaariger mit quadratischem, massigem Schädel sah hinüber zu dem Haus.

      „Wenn er hier wohnt oder jemanden kennt, kann er in einer Wohnung verschwinden, in einem Hauseingang, oder er rennt einfach die Straße runter zu Kreuzung und springt in ein Taxi oder in seinen Wagen, den er dort geparkt hat. Um diese Uhrzeit hatten die beiden Pubs in der Straße geschlossen, also da konnte er nicht untertauchen.“

      „Er könnte auch durch eine Einfahrt zwischen den Häusern hier auf die dahinterliegende Straße abgehauen sein“, sagte McDermid vom Rücksitz. „Vielleicht hat er da sein Auto geparkt, wenn er es nicht hier abgestellt hatte. Wie lange hatte er den Zeit gehabt, um zu verschwinden?“

      „Keine Ahnung“, sagte Shane, „ich kann aber nicht lange bewusstlos gewesen sein. Sicher nur ein paar Sekunden.“

      Eine Weile starrten sie alle drei auf das Gebäude, in das niemand hinein ging und aus dem niemand herauskam. Dann fragte der Fahrer: „Wollen Sie nach Hause?“

      Shane überlegte kurz. „Nein, zum Headquarters.“

      Kapitel 12

      Maree kam aus dem Büro als er aus dem Aufzug trat. Sie trug ein blassrosafarbenes Poloshirt über einer weiten weißen Hose und schien gerade den Lippenstift frisch aufgelegt zu haben.

      „Shane, wieso läufst du in der Gegend herum, du solltest Ruhe haben!“

      Er winkte ab und humpelte mit seinen Krücken auf die Tür seines Büros zu. Sie eilte vor ihm zur Tür. „Mick Lanski spielt sich ganz schön auf! Er schnüffelt er in allen möglichen Akten herum“, sagte sie wütend und fügte leiser hinzu: „Er war mir schon immer unsympathisch.“

      „Haben wir schon was gefunden?“, fragte Shane rasch bevor er sich zu sehr über Lanski aufregte.

      „Na ja, alle suchen einen Harry aus dem Drogenmilieu.“ Sie seufzte. „Die Nachforschungen über Darren Martin haben auch nichts gebracht. In dieser Cateringfirma haben sie angeblich nie etwas von Drogen gehört und am Tatort hat niemand hat irgendwas gesehen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ach, es ist alles so fürchterlich.“ Sie wischte sich über die Augen.

      „Wir finden den Kerl schon, Maree“, sagte er und versuchte ein aufmunterndes Lächeln.

      Tom McGregor blickte erstaunt auf, und Shane sah Jack dort sitzen, wie er sein Schinken-Käse-Sandwich verschlang, mit vollem Mund redete, in Unterlagen blätterte. Es kam ihm vor, als begriffe er jetzt erst wirklich, dass Jack tot war und niemals wieder zurückkäme.

      „Shane!“ Tom McGregor sprang auf, wollte ihm helfen, doch Shane machte eine abwehrende Geste, worauf Tom sich wieder auf seinen Sessel sinken ließ, und Shane zum gegenüberstehenden Bürostuhl humpelte und sich langsam setzte. Tom blickte ihn ratlos und befangen an. Er sah grau und abgemagert aus, was nicht allein von seinen Nachtschichten kam, denn daran war er gewöhnt.

      „Shane, ich weiß gar nicht... Es ist so unfassbar. Ich mach’ mir solche Vorwürfe! Wir hätten euch doch mitnehmen können! Jacks Wohnung lag sogar auf unserem Weg!“ Er presste die Lippen aufeinander und schüttelte immer wieder den Kopf. Sein sonst so perfekt gebügelter Hemdkragen war zerknittert.

      „Ich war es, der die großartige Idee hatte, zu Fuß zu gehen, Tom. Ich habe es gesagt. Wenn einer Schuld hat, dann ich.“

      Tom schüttelte noch immer den Kopf.

      „Shane, hör’ damit auf.“ Er wischte sich über die Augen. „Ich muss dauernd an Ann denken.“

      Shane fiel ein, dass er sie heute noch nicht angerufen und nach Jack gefragt hatte. Die Fahrt an den Tatort hatte ihn so beschäftigt. Doch Tom sagte:

      „Ich habe vor einer halben Stunde mit ihr telefoniert. Dem Kleinen geht es heute nicht so gut.“

      Welches Schicksal will Gott oder wer auch immer dafür verantwortlich ist, Ann noch aufbürden?“, dachte Shane zornig und fühlte gleich darauf eine niederschmetternde Ohnmacht.

      Sie schwiegen eine Weile, jeder in seine persönlichen Erinnerungen an Jack vertieft.

      „Die Fahndung läuft auf Hochtouren“, sagte Tom schließlich. „Die ganze Meute macht Jagd auf den Mörder. Auf einen Wichser, der Harry heißt!“ Er ging zur Kaffeemaschine. „Willst du auch einen?“

      Shane schüttelte den Kopf. Kaffee würde ihn jetzt völlig umhauen. Tom setzte sich wieder an den Schreibtisch und schlürfte einen Schluck aus der Tasse.

      „Tom“, fing Shane an, „ich hätte gern alles gelesen, was in diesem Fall bisher unternommen wurde.“

      „Du meinst alle Akten?“

      „Ja.“