Bei Ebbe geht das Meer nach Hause. Marie Wendland. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Wendland
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748547679
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Waren ihre Kenntnisse in Sachen Arbeitsrecht zu Beginn ihrer Selbstständigkeit noch recht dünn gewesen, wusste Klara inzwischen glücklicherweise recht sicher, was ging und was nicht ging.

      Schnell rechnete sie im Kopf nach, ob die zwei Monate Probezeit auch wirklich noch nicht abgelaufen waren. Als sie feststellte, dass einer Kündigung nichts im Wege stand, atmete sie erleichtert auf, musste dann aber doch schlucken. Egal, wie sehr Patrick sie nervte, sie tat so etwas nie gerne. Aber es half ja nichts! Das Hotel war ein Wirtschaftsunternehmen, das Gewinne zu erzielen hatte, und keine soziale Einrichtung. Im Endeffekt ging es immer auch um Klaras Existenz, da konnte sie sich keine Sentimentalität leisten.

      Keine zwanzig Minuten später hatte sie Patrick in ihrem Büro ihre Entscheidung mitgeteilt und ihn mit sofortiger Wirkung von der Arbeit freigestellt. Diesem war es zwar sichtlich peinlich, als Klara seine Verfehlungen noch einmal aufzählte, trotzdem wirkte er auch irgendwie erleichtert. Er war bestimmt ein guter Kerl, dachte sie, nur eben nicht für diesen Job. Nachdem er gegangen war, lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück und holte ihr Handy hervor. Sie wollte gerade Ralph anrufen, um ihm von den Neuigkeiten zu berichten, da klopfte es an der Tür.

      „Ja, bitte?“

      „Darf ich kurz stören?“, fragte Julia überraschend forsch und stand schon im Zimmer, bevor Klara antworten konnte. „Du hast Patrick echt gefeuert?“ Ihre Augen blitzten angriffslustig.

      „Ja, ich habe das Arbeitsverhältnis im Rahmen der Probezeit beendet.“

      „Dein Ernst? Wie kommst du dazu?“

      Klara versuchte ruhig zu bleiben, es gab schließlich keinen Grund sich zu rechtfertigen: „Julia, das ist vertraulich und geht nur Patrick etwas an. Frag‘ ihn bitte selber, wenn du Näheres wissen möchtest.“

      „Das hab‘ ich ja!“

      „Was möchtest du dann jetzt von mir?“ Klara massierte sich die Schläfe. Sie hatte inzwischen Kopfschmerzen.

      „Das ist doch Müll! Du denkst echt, dass dein beschissenes kleines Hotel der Nabel der Welt ist! Schon mal was davon gehört, dass es sonst noch was gibt im Leben?“

      Schon mal was davon gehört, dass man so nicht mit seiner Chefin spricht? Klara sprach den Gedanken nicht aus, denn es hätte sowieso zu nichts geführt. Ihr war inzwischen klar, dass hier zu viele Hormone im Spiel sein mussten. Also erklärte sie Julia noch einmal, was ihr zuvor selbst bezüglich der Gewinnerzielungsabsicht von Wirtschaftsbetrieben durch den Kopf gegangen war, und fügte hinzu: „Und natürlich ist die Arbeit bei Weitem nicht das Einzige im Leben. Aber wenn man sich dazu entschieden hat, einen Job anzunehmen, muss man die geforderte Leistung auch erbringen. Euer Gehalt ist doch keine gut gemeinte Spende.“

      „Und was, wenn ich mich nicht mehr dazu entscheide, diesen lächerlichen Job zu machen?“

      „So eine Entscheidung sollte man nie leichtfertig treffen. Aber ich kann und werde dich natürlich nicht dazu zwingen, weiter hier zu arbeiten.“ Klara war ehrlich überrascht über die Richtung, die das Gespräch eingeschlagen hatte.

      „Wenn Patrick geht, gehe ich auch!“, verkündete Julia entschieden und schob die Unterlippen vor wie ein schmollendes Kleinkind.

      „Das ist natürlich schade, aber ich werde meine Entscheidung bezüglich Patrick nicht zurücknehmen. Ich denke, das kannst du verstehen.“ Klaras Kopfschmerz hatte sich irgendwo hinter der linken Augenbraue festgesetzt und forderte sie eindringlich auf, diese Unterhaltung zu beenden. „Wenn du sicher bist, dass du das willst, brauche ich von dir eine schriftliche Kündigung.“

      „Was muss drinstehen?“, fragte Julia ungeduldig, während sie ein Blatt Papier aus dem Drucker zupfte.

      „Julia, du musst nichts überstürzen“, versuchte Klara sie doch noch zu beruhigen.

      „Will ich aber. Also was soll ich schreiben?“

      „Dass du das befristete Arbeitsverhältnis im Rahmen der Probezeit unter Einhaltung der Frist von zwei Wochen kündigst. Oben deine Adresse, darunter meine, dann der Text und deine Unterschrift“, erklärte Klara resigniert, „das heißt dann, du bekommst noch für die nächsten zwei Wochen dein Gehalt, ich werde dich aber wie Patrick ab sofort freistellen.“. Sie hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, Julia während der zweiwöchigen Kündigungsfrist weiterarbeiten zu lassen, aber welchen Sinn hätte das noch gehabt? Die aufgedrehte und etwas oberflächliche Julia mit ihrem schwarzen Eyeliner, dem auffälligen Modeschmuck und den pinken Hotpants war nicht wirklich ihr Typ, aber sie war ein nettes Mädchen und hatte in den letzten Wochen gute Arbeit gemacht.

      „Es tut mir leid, dass es jetzt so endet“, sagte sie deswegen auch, als Julia ihr die handgeschriebene Kündigung hinhielt, und meinte es auch so, „wenn du es dir anders überlegst, steht dir die Tür hier offen.“

      Julia wirkte wie eine Rakete, der plötzlich der Treibstoff ausgegangen war, als sie leise antwortete: „Mir tut es auch leid. Aber ich will bei Patrick bleiben.“

      „Dann bleibt mir nur, euch beiden alles Gute zu wünschen.“ Klara versuchte ein Lächeln, auch wenn ihr das in Anbetracht der Arbeit, die jetzt erstmal von vier Händen weniger erledigt werden musste, schwerfiel. „Ihr verabschiedet euch morgen noch, bevor ihr geht?“ Julia nickte, dann war sie auch schon aus der Tür heraus.

      Klara blies sich eine Haarsträhne aus der Stirn, dann steckte sie ihr Handy wieder in die Tasche. Heute war ihr nicht mehr nach einem Telefonat mit Ralph. Sie wollte jetzt nur noch den Hund aus ihrer Wohnung holen und sich am Strand die Kopfschmerzen wegpusten lassen. Und dann schlafen.

      ~

      „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“, platzte es aus Klara heraus, als hätte man hoch explosiven Sprengstoff gezündet. In diesem Fall handelte es sich aber um eine kontrollierte Sprengung, für die Ralph den Auslöser in der Hand hielt. Gelassen lehnte er sich zurück und beobachtete, wie Klara aufgesprungen war und jetzt in ihrem Wohnzimmer auf und ab ging. Ralph kannte diese erste Phase eines Veränderungsprozesses sowohl theoretisch als auch praktisch aus zahlreichen Beratungsprojekten. Sie war in den allermeisten Fällen genauso kurz wie heftig. Also wartete er ab und ließ den bisherigen Verlauf des Tages Revue passieren.

      Nachdem er gestern Gouldings E-Mail gelesen hatte, war ihm schnell klar geworden, dass er Klara weder am Telefon von seiner Idee überzeugen, noch bis zum nächsten Wochenende damit warten konnte. Schließlich hatte die Woche gerade erst angefangen und Goulding suchte schon ab Mitte Juni einen Praktikumsplatz für seinen Schützling. Also hatte Ralph noch am Abend seine Assistentin gebeten, seine Termine für die nächsten eineinhalb Tage zu verschieben, und hatte sich früh am nächsten Morgen ins Auto Richtung Harlesiel gesetzt. Klara hatte er nicht mehr angerufen und da sie sich gestern auch nicht gemeldet hatte, hatte er sie einfach mit seiner Ankunft überraschen wollen.

      Gegen 10:00 Uhr hatte er bereits beim Flugplatz geparkt und keine Viertelstunde später war die Cessna bereits in der Luft gewesen. Die Flüge zur Insel waren zwar teurer als die Fährverbindung, dafür aber auch deutlich schneller und tideunabhängig. In nur fünf Minuten überwanden die Inselflieger den schmalen Streifen Nordsee zwischen Wangerooge und dem ostfriesischen Festland. Diese fünf Minuten liebte Ralph aber, sodass er immer gerne auf das Flugzeug auswich, wenn gerade keine Fähre fuhr. Heute waren sie über ein gelb leuchtendes Rapsfeld hinweg gestartet, bevor die Maschine abdrehte und das Wattenmeer überflog. War wie heute Niedrigwasser, konnte man von oben ein erstaunliches Gemälde aus Prielen, Sandbänken und Wasserflächen bewundern. Neben Ralph waren heute vier weitere Passagiere an Bord gewesen: Zwei Touristinnen aus Bayern, die der wackligen, kleinen Cessna und dem lauten Getöse der Turbinen mehr als skeptisch gegenübergestanden hatten, ein Heizungsmonteur inklusive Ausrüstung sowie eine Styroporkiste mit frischem Fisch für eines der Inselrestaurants, die Sandra vom Flugplatz Ralph kurz vor Start auf den Schoß gedrückt hatte. Ein ganz gewöhnlicher Flug also.

      Nach einem ausgiebigen Spaziergang über die Insel, um vom Flugplatz zu Idas Haus zu gelangen, hatte er sich frisch und siegessicher gefühlt und war Klara mit einem breiten Grinsen und einem langen Kuss entgegengetreten. Diese hatte erstaunlich kühl auf seine Überraschung reagiert, was