»Jein«, antwortete der junge CFO und lächelte. »Frau Courtois hat sich für ihr Geschäft vermutlich einer Verkaufsoption bedient. Dabei waren ihre Transaktionspartner offensichtlich gewillt, für die Mod’éco-Aktien zu einem bestimmten Zeitpunkt einen bestimmten Preis zu zahlen. Insofern haben die Käufer genau das bekommen, was sie wollten: Mod’éco-Aktien zu einem bestimmten Preis an einem bestimmten Zeitpunkt. Dass der Kurs der Aktie kurz vor dem vereinbarten Zeitpunkt fiel, tja, das ist bedauerlich. Aber für die Käufer spielt es letztlich keine Rolle, ob sie so ein Optionsgeschäft mit Frau Courtois oder einem ehrlichen Verkäufer machen.«
»Verstehe ich nicht«, gab de Mirabeau zu.
»Ich mache ein Beispiel«, sagte Johnson geduldig. »Stellen Sie sich vor, Sie sind Frau Courtois, ich Ihr Transaktionspartner. Sagen wir, die Mod’éco-Aktie notiert momentan bei hundert Euro. Jetzt kommen Sie zu mir, und möchten von mir für fünf Euro die Option kaufen, mir in einer Woche eine Mod’éco-Aktie für neunzig Euro zu verkaufen. Also eine Verkaufsoption, auch Put-Option genannt. Wir beide wissen nicht, wie sich die Aktie entwickeln wird, doch ich gehe davon aus, dass die Aktie stabil bleibt und mit Sicherheit nicht unter neunzig Euro fällt. Das ist ein gutes Geschäft für mich. Ich verdiene mindestens die fünf Euro, die Sie mir für die Option bezahlen. Falls der Preis der Aktie stabil bleibt und Sie aus irgendwelchen irrationalen Gründen die Option einlösen und zum vereinbarten Preis von neunzig Euro verkaufen wollen, ist das toll für mich, denn ich könnte die Aktie gleich darauf am Markt wieder für hundert Euro verkaufen und hätte so insgesamt fünfzehn Euro Gewinn erzielt. Als rationaler Mensch würden Sie bei dieser Entwicklung natürlich die Option einfach verfallen lassen. Sie verlieren die fünf Euro, mehr jedoch nicht. Wenn nun aber der Preis der Aktie vor dem vereinbarten Zeitpunkt um dreißig Prozent, also in meinem Beispiel auf siebzig Euro, fällt, dann können Sie nun die Aktie für siebzig Euro kaufen und anschließend an mich für neunzig Euro verkaufen. Sie haben damit dann fünfzehn Euro Gewinn gemacht, nämlich neunzig Euro, die Sie von mir beim Verkauf bekommen, minus siebzig Euro, die Sie bezahlt haben, minus fünf Euro, den Preis der Option. Natürlich habe ich die Zahlen der Einfachheit halber gerade frei erfunden. Da ich – basierend auf meinen persönlichen Erwartungen an die Kursentwicklung – von Anfang an gewillt war, für neunzig Euro zu kaufen, spielt es keine Rolle, von wem. Theoretisch hätten Sie auch ein ehrlicher Transaktionspartner sein können.«
»Verstehe«, sagte de Mirabeau.
»Fahren Sie doch bitte fort, Herr Johnson«, forderte Marie den CFO auf.
»Gern. Ob mit unseren Aktien Unfug getrieben wird, können wir von Mod’éco, gar nicht nachverfolgen, weil wir zu den entsprechenden Informationen keinen Zugang haben. Dafür ist die AMF da. Wenn wir Insidergeschäfte wie das von Frau Courtois unterbinden wollen, gibt es aus meiner Sicht zwei Möglichkeiten: erstens, die Regeln auf den Finanzmärkten ändern. Das ist nicht unsere Aufgabe. Zweitens, unsere Mitarbeiter schulen, damit sie wissen, dass bestimmte Formen von Insiderhandel strafbar sind. Das ist unsere Aufgabe, und die haben wir ernst genommen. Vollständig können wir den Fluss von Insiderinformationen allerdings nicht kontrollieren. Menschen sind Menschen. Wir können die Regeln klarmachen, auf Strafen hinweisen – aber am Ende des Tages macht jeder, was er will. Der Eine gibt damit vor Freunden an. Der andere wird von Freunden gefragt und wird schwach. Der Nächste unterschätzt den potenziellen Wert dieser Informationen und plauscht ein bisschen zu viel. Und schließlich gibt es Menschen, die den Wert der Information erkennen und sie gezielt weitergeben.
Was für mich viel wichtiger ist: An dem Tag haben all unsere loyalen Aktionäre viel Geld verloren – zumindest vorübergehend. Der Betrag, den Frau Courtois sich erschwindelt hat, mag auf den ersten Blick recht beeindruckend wirken. Wenn man jedoch das große Ganze betrachtet, ist es nichts, womit wir uns lange aufhalten würden. Dass wir überhaupt eine Gewinnwarnung herausgeben mussten, das ist das eigentliche Problem! Aber da das nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, müssen wir nach vorne blicken. Wir müssen besser werden, aus unseren Fehlern lernen! Vermeiden, dass es wieder passiert, damit wir langfristig Wert für unsere Aktionäre schaffen.«
Kein schlechter Vortrag, dachte Marie. Dieser Gael Johnson war charismatisch.
»Wie kam es denn zu der Gewinnwarnung?«, fragte sie.
Der CFO hob die Schultern.
»Wir waren zu hungrig. Wir haben uns überschätzt. Wir haben dem Markt Ergebnisse versprochen, die wir nicht erreichen konnten.«
»Schon klar«, sagte Marie. Mit einer so oberflächlichen Antwort würde sie Johnson nicht davonkommen lassen, »aber ich meine, wie kann man sich so täuschen?«
»Sehen Sie«, erklärte Johnson und beugte sich etwas vor, »wir sind ein junges, extrem dynamisches Unternehmen. Wir sind in den letzten paar Jahren sehr schnell gewachsen. So was kriegt man nur hin, wenn man unternehmerisch denkt und handelt. Und dazu gehört, sehr schnell wichtige Entscheidungen zu treffen. Sehr ambitioniert zu sein. Risiken einzugehen. Und Fehler zu machen. Nur wer wagt, gewinnt!«
»Ein bisschen wie bei Ihrem Glücksspiel«, meinte Marie. Sie hatte genug gesehen und gehört, um zu wissen, warum Gael Johnson der Finanzchef eines grundsätzlich erfolgreichen jungen Unternehmens war. Der Mann verfügte über genau die Fähigkeiten, die er gerade aufgezählt hatte. Doch sie waren nicht zum Schmusen gekommen. Es war durchaus möglich, dass Johnson selbst mit der Sache zu tun hatte. Also entschied sie sich, nachdem nun alles Grundlegende erzählt war, für Konfrontation, um zu sehen, ob sie ihn aus der Reserve locken konnte.
Einen Moment lang starrte Gael Johnson Marie mit seinem intensiven Blick an, als überlege er, wie er mit diesem Kommentar umgehen wollte.
»Sie haben sicher recht«, sagte er dann, und Marie bildete sich ein, dass um seine Mundwinkel ein Lächeln spielte, das nur für sie bestimmt war. »Es gibt da gewisse Parallelen. Aber vielleicht auch den ein oder anderen Unterschied.«
»Schon klar«, sagte sie, bevor Johnson fortfahren konnte. »Aber geht es nicht am Ende des Tages um Ergebnisse? Und da stehen Sie im Moment ziemlich schlecht da. Wie war das? Sieben Millionen Euro Verlust im letzten Quartal, obwohl sie angekündigt hatten, profitabel sein zu wollen? Und Patricia Courtois hat den Jackpot.«
»Indem sie falschgespielt hat«, entgegnete Johnson.
»Im Gegensatz zu Ihnen«, sagte Marie bemüht, einen Hauch von Zweifel in ihre Stimme zu legen. Gespannt beobachtete sie die Züge des jungen CFOs. Dieser zögerte zum ersten Mal. Zu gern hätte Marie gewusst, was in seinem Kopf vorging.
Ich habe ihn verunsichert, dachte Marie, wenn ich ihm jetzt keine Zeit lasse nachzudenken, sagt er vielleicht mehr, als er eigentlich tun würde.
»Wie gut kennen Sie Patricia denn?«, fragte sie unschuldig, bewusst nur den Vornamen benutzend.
Wieder starrte Johnson sie an. Dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, verschränkte die Arme und grinste.
»Sie glauben, dass ich in die Sache involviert bin«, stellte er sachlich fest. Seine Stimme war ruhig, und nichts deutete darauf hin, dass er verunsichert war.
Mist!, schimpfte Marie innerlich. Er ist mir nicht in die Falle gegangen.
»Sind Sie’s?«, fragte sie.
»Sicher«, antwortete Johnson, ohne zu zögern, und überraschte Marie damit seinerseits. Auch Anne Delacourt zuckte merklich bei Johnsons Worten.
»Sie geben also zu, Frau Courtois Insiderinformationen zugespielt zu haben?«, schaltete de Mirabeau sich erneut ein.
»Was?«, fragte Johnson in verächtlichem Ton. »Ich kenne Frau Courtois gar nicht!«
»Können Sie das beweisen?«
»Das ist eine merkwürdige Frage«, antwortete der CFO. »Scarlett Johansson kenne ich auch nicht – zumindest nicht persönlich – und das, obwohl ihr Name meinem sehr ähnlich ist. So bedauerlich das auch sein mag, ich wüsste nicht, wie ich Ihnen das beweisen sollte.«
»Schon