Das schwarze Geheimnis der weißen Dame. Kolja Menning. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kolja Menning
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752916799
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Delacourt, entschuldigen Sie, wenn ich unterbreche«, meldete sich der junge Mann vom Empfang zu Wort, »Ihre Frau ist am Telefon. Darf ich sie Ihnen reichen?«

      Delacourt nahm wortlos den dargebotenen Hörer.

      »Hallo Anne?«, meldete er sich, »ja, Philippe hier ... Hör zu, hast du einen Moment Zeit? ... Ja, das wäre gut, ich habe jemanden mitgebracht ... Das weiß ich nicht genau, mindestens eine halbe Stunde, denke ich ... Gut, bis sofort. Wir gehen in den Raum ›Kanada‹.«

      Er reichte den Hörer zurück.

      »Sie kommt«, informierte er die Polizeibeamten.

      Anne Delacourt erschien, als sie gerade Platz genommen hatten. Die Gründerin von Mod’éco war mindestens ebenso elegant und attraktiv wie ihr Mann.

      »Frau Bouvier und Herr de Mirabeau sind von der Polizei«, stellte Philippe Delacourt vor. »Es gibt den Verdacht eines illegalen Insiderhandels bei uns, den sie untersuchen sollen.«

      Bei diesen Worten erbleichte die Gründerin von Mod’éco sichtlich.

      »Ich habe Frau Bouvier zugesagt, ihr alle mögliche Unterstützung zukommen zu lassen«, schloss Philippe Delacourt.

      »Natürlich«, pflichtete seine Frau ihm bei. »Ich habe nur Angst, dass etwas an die Presse gelangt.«

      »Gelangt es nicht«, versicherte ihr ihr Mann. »Diese Herrschaften behandeln die Sache als einen – sagen wir – außerpolizeilichen Fall. Ich habe sie privat beauftragt. Das müssen wir aber ja nicht jedem so klar sagen.«

      Anne Delacourt nickte.

      Clever, dachte Marie. Wenn sie sich als Beamten der Pariser Justiz- und Kriminalpolizei vorstellten, hatten sie eine natürliche Autorität, die jedem gewöhnlichen Privatdetektiv fehlte.

      »Ich würde vorschlagen, wir nehmen unseren CFO mit dazu. Er kennt sich am besten mit diesen Sachen aus. Ich prüfe mal, ob er Zeit hat.«

      »Er kommt«, verkündete Anne Delacourt nach einem kurzen Gespräch über ihr Mobiltelefon.

      Bald darauf betrat ein junger Mann den Konferenzraum und stellte sich als Gael Johnson vor. Sein Blick blieb an Marie hängen.

      »Gael, dies sind Marie Bouvier und Christophe de Mirabeau von der Pariser Justiz- und Kriminalpolizei«, stellte Philippe Delacourt vor.

      Marie beobachtete die Reaktion des jungen Finanzchefs, doch der warf ihnen nur einen weiteren interessierten Blick zu.

      »Woher haben Sie Ihren Namen?«, fragte Marie, während der junge Mann Platz nahm.

      »Den Vornamen von meiner Mutter, die sich schon als Kind unsterblich in die Bretagne verliebt hat«, erwiderte Johnson höflich, »den Nachnamen, auf den Sie vermutlich anspielen, von den kanadischen Vorfahren meines Vaters.«

      »Gael ist hier sozusagen in seiner zweiten Heimat«, bemerkte Philippe Delacourt und deutete auf das Schild mit dem Namen des Besprechungsraums.

      Alle lachten kurz auf.

      »Gut. Wollen wir beginnen?«, fügte Delacourt wieder ernst hinzu.

      Als alle nickten, warf er Marie einen aufmunternden Blick zu. Marie verstand das Signal.

      »Es geht um Folgendes«, begann sie sachlich. »Der AMF ist vor einiger Zeit eine Transaktion aufgefallen, bei der eine Anlegerin offenbar auf den Absturz der Aktie Ihres Unternehmens gesetzt hat und damit innerhalb weniger Tage ein kleines Vermögen gemacht hat – gut eine Viertelmillion Euro, um genau zu sein. Wie Sie sich denken können, besteht der Verdacht, dass die Anlegerin über Informationen verfügte, die dem Markt nicht zur Verfügung standen, was dies zu einem illegalen Insidergeschäft machen würde.«

      »Wie dieser Financier der Terroristen, Le Chiffre, in dem James-Bond-Film Casino Royale«, sagte Johnson nickend, »nur in kleinerem Stil. Ich erinnere mich. Die AMF hatte unser Insiderregister angefragt. Darauf sind alle Mitarbeiter von Mod’éco namentlich genannt, die über Insiderinformationen verfügen. Warten Sie einen Moment, ich bin sofort wieder zurück.«

      Mit diesen Worten stand Johnson auf und verließ den Besprechungsraum. Reflexartig blickte Marie auf ihre Armbanduhr. 13.12 Uhr. Als Johnson wiederkehrte, sprang ihre Uhr gerade auf 13.15 Uhr.

      »Ich habe nur kurz mein Handy geholt«, erklärte der junge Mann und fuhr mit dem Finger über das Touchdisplay. »Hier hab’ ich es ... Ja, wir haben den Herrschaften von der AMF unser Insiderregister am 22. April geschickt. Vor gut drei Wochen. Da wir weiter nichts gehört haben, bin ich davon ausgegangen, dass keiner unserer Mitarbeiter involviert war.«

      »Verstehe«, sagte Marie. »Die Frage ist nun: Kann es dafür aus Ihrer Sicht einen anderen Grund geben, als dass der Anlegerin – sie heißt Patricia Courtois – Insiderinformationen vorlagen?«

      Marie und beobachtete ihre Gegenüber, als sie den Namen erwähnte, bemerkte jedoch keine auffällige Reaktion.

      »Kann es schon, aber ich halte das für unwahrscheinlich«, erwiderte Johnson, ohne zu zögern. »Nicht nur, weil offenbar niemand außer ihr im großen Stil gegen uns gewettet hat, sondern auch, weil ich denke, dass mit den öffentlich zugänglichen Informationen eine solche Kursentwicklung nicht zu erwarten war.«

      »Aber mit den intern verfügbaren Informationen war sie zu erwarten?«, schaltete sich de Mirabeau ein.

      »Ja, aber auch nur für einen recht begrenzten Personenkreis. Genauer gesagt stand seit einiger Zeit fest, dass es die Gewinnwarnung geben würde. Die Kursentwicklung an sich entsteht durch das Verhalten am Aktienmarkt. Aber es ist üblich, dass der Markt auf Gewinnwarnungen negativ reagiert, zumal wir ein junges Unternehmen sind und der Börsengang nicht weit zurückliegt. Wir haben noch keine große Vertrauensbasis bei den Anlegern. Daher vermutlich die recht heftige Reaktion des Marktes, die sich in der Kursentwicklung unserer Aktie widerspiegelt.«

      »Also muss Frau Courtois mehr gewusst haben als der Markt«, schloss Philippe Delacourt, und Johnson nickte.

      »Die einzige andere plausible Möglichkeit wäre, dass Frau Courtois einfach gepokert hat. Wie ein Glücksspiel, bei dem die Eintrittswahrscheinlichkeit äußerst gering ist – aber das Upside umso größer.«

      »Und was macht Sie so sicher, dass Frau Courtois nicht in diese Kategorie fällt?«

      »Die Wahrscheinlichkeit«, erwiderte Johnson sachlich. »Das passt alles zu gut zusammen, um einfach ein glücklicher Zufall zu sein.«

      »Die Frage ist also, von wem Frau Courtois diese Informationen hatte«, stellte Marie fest.

      »Nun«, entgegnete Johnson, »das ist die Frage für Sie, denke ich. Oder für die AMF oder die Staatsanwaltschaft.«

      »Und für Sie nicht?«

      »Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, tue ich das natürlich, und wenn Sie es herausfinden, interessiert es mich«, erwiderte der CFO. »Aber es ist nicht mein Hauptanliegen.«

      »Das müssen Sie uns erklären!«

      »Bitte, Frau Bouvier! Sie kennen sich damit doch bestimmt aus! Insiderhandel – das ... passiert eben. Im kleinen Stil vermutlich jeden Tag. Initiiert bei harmlosem Smalltalk. Ein Freund fragt Sie, wie das Geschäft läuft. ›Dieses Quartal besonders gut‹, antworten Sie, ohne nachzudenken. Was Sie nicht ahnen – und der Freund, der ganz ohne Hintergedanken gefragt hatte, auch nicht – ist, dass der Vater dieses Freundes eine Woche später zu seinem Sohn kommt und im Plausch erzählt, er wolle mal wieder sein Aktienportfolio umstrukturieren. Ihr Freund, der seinen Vater beeindrucken möchte, erinnert sich an das, was Sie ihm gesagt haben. Na, und so kommt es dazu, dass der Vater ein paar tausend Euro in die Aktien Ihres Unternehmens investiert. Da Sie die Situation richtig eingeschätzt haben und auch der Markt entsprechend reagiert, kommt es bald zu einer erfreulichen Kursentwicklung. ›Insiderhandel gibt es nicht‹ – das wäre wie sagen, dass bei der Tour de France nicht gedopt wird. Was unseren Fall betrifft: Sehen Sie, Frau Courtois mag sich an dem Tag eine ganze Menge Geld erschwindelt haben. Aber tatsächlich