Fanrea. A.E. Eiserlo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A.E. Eiserlo
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783847619727
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Gestalt. Er wurde zu einer schwarzen Königskobra, die sich vor Emma zischend auf dem Boden wand. Den Oberkörper angehoben, spreizte die Schlange ihre Halsrippen und stieß zischende Drohlaute aus.

      Emma erschrak fürchterlich und fixierte wie gelähmt die sich ringelnde Schlange, die sie aus kalten Augen herablassend ansah. Ekel flutete Emmas Gedanken und Körper. Für sie war eine Schlange das widerlichste Tier auf der Erde, dagegen fand sie Spinnen geradezu niedlich. Emma hielt den Atem an und fühlte eine so große Angst, dass sie glaubte, daran zu ersticken. Sie versuchte, nicht die Beherrschung zu verlieren, sondern tastete nach einem Buch, das hinter ihr lag. Ihre Finger umschlossen es. Mit Schwung schleuderte Emma es auf die Schlange, verfehlte diese jedoch um Haaresbreite.

      Die Kobra stieß schlagartig zu. Im selben Moment schrie Emma hysterisch auf. Sie schloss die Augen, wartete darauf, dass die mörderischen Zähne sich in ihr Fleisch bohrten. Doch als nichts geschah, öffnete Emma mit angehaltenem Atem die Augen.

      Das Reptil verwandelte sich gerade zurück in den kleinen Magier, der erneut den leicht belustigten Gesichtsausdruck zur Schau trug.

      Voller Entsetzen blickte Emma auf ihn herab. Ihre Hände zitterten, gleichzeitig rang sie um Atem.

      Der Zauberer ignorierte ihren inneren Aufruhr, erklärte stattdessen schmunzelnd: »Gut reagiert, Menschenkind. Ich wollte dir mit dieser kleinen Demonstration nur zeigen, dass schwarze und weiße Magie in mir vereint sind. Der Besitzer bringt die jeweilige Seite hervor. Es liegt nun also bei dir, wer die Macht hat, das Licht oder die Dunkelheit. Beide Seiten können das Zauberbuch nutzen!«

      Jetzt platzte Emma vor Wut: »Du spinnst ja wohl, du Ekelpaket! Du bist total durchgedreht! Musste das sein? Ich hab panische Angst vor Schlangen!«

      »Genau deswegen! Du musst deine schlimmsten Ängste bekämpfen! Außerdem konnte ich dir so am besten demonstrieren, wie gefährlich das Buch sein kann. Das musste dir bewusst werden. Aber nun habe ich genug geredet, ich werde dich jetzt wieder verlassen. Höre auf dein Herz, gib niemals auf in einer schlimmen Lage, sondern glaube an deine Kraft. Lerne zu vergeben und arbeite beständig an dir, du hast noch einiges aufzuarbeiten. Bis bald!«

      Bevor Emma noch etwas erwidern konnte, verbeugte sich der Zauberer höflich, murmelte einen kurzen Zauberspruch und verschwand. Das Buch klappte zu wie von Geisterhand. Emma war wieder allein.

      Mit weichen Knien fiel Emma aufs Bett. Das eben Geschehene musste sie erst einmal verdauen, der Schock saß ihr noch tief in den Knochen und wollte nicht weichen.

      »Was ist das denn für ein blöder, unangenehmer Typ? So ein Oberlehrergehabe!«, schimpfte Emma. »Und es bleibt dabei, ich entscheide über mein Leben! Soll er sich doch seine Weisheiten und klugen Ratschläge an den Zauberhut stecken!«

      Nach diesem schrecklichen Tag flatterten ihre Nerven. Emma brauchte dringend Ruhe. Deshalb kroch sie unter ihre Bettdecke, in die sie sich schläfrig hineinkuschelte. Erschöpft von der Aufregung, fielen ihr die bleischweren Augen zu. Der Schlaf umfing sie mit tröstenden Händen, um sie in das Land des Vergessens zu führen und alle Grübeleien aus ihrem Kopf zu vertreiben.

      Esthers Entscheidung

      In der Zwischenzeit hatte Esther ihr Gespräch mit den Rattenbrüdern Jidell und Quidell geführt, doch beide hatten beim heiligen Einhorn geschworen, dass sie mit dieser Geschichte auf dem Speicher nichts zu tun hatten. Nun saßen die beiden Brüder diskutierend in ihrem Körbchen, welches ihnen als Schlafplatz diente.

      Mit bebenden Schnurrbarthaaren fragte Jidell: »Was meinst du, wer das gewesen sein kann? Da stimmt etwas nicht, das stinkt doch nach Drachenkacke!«

      Quidell rümpfte die Nase. »Eh, Alter! Dat stinkt gewaltig! So, ’nen Mist, jetzt ist hier endlich mal was los und wir verpassen alles. Die fette Ratte kam bestimmt aus Fanrea, wir müssen die Barthaare auf Empfang stellen!«

      »Der hätte ich zu gern die Backen dick gehauen!« Jidell schnaufte und deutete ein paar Boxschläge an.

      Währenddessen bereitete Esther sich einen Tee. Dazu griff sie gedankenverloren in verschiedene Dosen, aus denen sie die Zutaten herausnahm, ließ Wasser in einen verbeulten Teekessel einlaufen und stocherte in den knisternden Flammen des Herdes herum. Sie benutzte einen ganz altmodischen, der mit Holz befeuert wurde und die Küche zum Zentrum des Hauses machte, besonders, wenn es draußen klirrend kalt war.

      Der Teekessel pfiff lautstark. Esther schüttete das brodelnde Wasser auf die getrockneten, bunten Früchte. Der intensive Duft nach den Genüssen des Sommers zog durch die Küche und vermischte sich mit dem Geruch des brennenden Holzes. Schließlich setzte sie sich mit ihrem Tee an den Eichentisch, um in einem abgegriffenen Fotoalbum zu blättern.

      Ihr Blick blieb an einem Foto hängen, auf dem ein gutaussehender, blonder Mann mit sonnengebräunter Haut ein kleines Mädchen auf dem Arm trug. Die beiden lachten fröhlich in die Kamera, das Kind schlang seine Arme liebevoll um den Hals des Mannes. Lange, ungebändigte, braune Locken umrahmten ein hübsches Mädchengesicht mit blaugrünen Augen.

      Esthers Augen füllten sich mit Tränen, die langsam ihre Wangen entlangliefen. In dem Moment sprang ein wuseliges Fellknäuel auf ihren Schoß und leckte tröstend ihre Hände.

      »Merkst du, dass ich mich schlecht fühle, mein Schätzchen? Ich habe so viel über Fanrea erzählt, dass mich jetzt schmerzhafte Erinnerungen quälen.«

      Versonnen kraulte sie ihren Hund hinter den Ohren. »Schau mal, da, auf dem Foto! Das ist meine kleine Tochter, das da mein geliebter Mann. Ich habe dir das nie erzählt, aber damals …« Esther konnte nicht weitersprechen, sie schluchzte und weinte aus tiefstem Herzen. Der Schmerz des Verlustes erfüllte ihr ganzes Denken und Fühlen, die verdrängte Trauer stieg an die Oberfläche. Fips leckte ihr die Tränen von den Wangen. Esther ließ es einfach geschehen, untröstlich in ihrem Kummer.

      Hätte sie Emma und Ben von ihrem zweiten Aufenthalt in Fanrea erzählen sollen?

      »Ach Fips, mein Lieber, ich mache mir solche Sorgen um Emma und Ben!«

      Plötzlich ging ein Ruck durch ihren Körper. Esther setzte sich kerzengerade auf. Mit der Faust donnerte sie auf den Tisch, sodass das alte Teil wackelte und knarzte, als ob es sich über die rohe Behandlung beschweren würde.

      »Nein! Auf keinen Fall kann ich Emma mit ihrem Freund allein nach Fanrea lassen! Ich werde sie begleiten und alles in meiner Macht Stehende tun, um die beiden vor dem Bösen zu beschützen. Was meinst du, Fips?«

      Der Angesprochene wedelte fröhlich mit dem Schwanz. Er spürte, dass Esther sich wieder gefangen hatte und die Stimmung in Tatendrang umschlug.

      »Komm, mein Kleiner, wir gehen packen. Das blöde Geheule hier macht meine Lieben auch nicht wieder lebendig, aber Ben und Emma kann ich helfen. Die leben noch, die brauchen mich jetzt! Ich kenne mich doch aus in Fanrea! Ha! Fanrea, ich komme!«

      Energisch schob sie den Stuhl nach hinten, klappte das Fotoalbum zu und lief, mit Fips im Schlepptau, in ihr Schlafzimmer. Dort kramte sie nach Taschenmesser, Kerzen und einem Stück Schnur. Im Badezimmer fand sie die Kräutersalbe für offene Wunden, die Flasche mit dem Nebelzauber sowie den Zauberstein, der in einem sanften Licht leuchtete.

      Wo war nur ihr selbst geschmiedeter kleiner Dolch? Esther schaute in allen möglichen Schränken nach, sogar im Keller, doch fand ihn nirgends. Sie war sich sicher, dass er in ihrem Nähkasten lag, aber auch dort war er nicht. Schließlich wurde er von ihr im Kühlschrank aufgespürt. »Wer ihn da nur reingelegt hat?«, murmelte Esther belustigt, die ihre gesamte Ausrüstung in einen geräumigen Rucksack steckte.

      Emma und Ben würden staunen, wenn Esther am nächsten Tag überraschend am Treffpunkt erschiene, um die beiden zu begleiten. Aber erst einmal würde sie die zwei morgen früh sehen. Mit einem guten Gefühl ging Esther endlich zu Bett und schlief ein.

      Das Weltentor

      Am nächsten Morgen war es Ben nicht