»Das sieht echt gekonnt aus!« Emma hatte jede seiner Übungen fasziniert beobachtet.
»Ihr erinnert euch! Das freut mich! Willkommen in Fanrea«, hörten sie plötzlich Amapolas Stimme.
Die Freunde hatten an die kleine Elfe nicht mehr gedacht, ja, sie hatten sogar vergessen, wo sie sich befanden. Beide waren begeistert von den Waffen und völlig überrumpelt von der Offenbarung, dass sie sich an ein anderes Leben mitsamt den alten Namen erinnerten. Rücksichtsvoll hatte die Elfe sie eine Weile in Ruhe gelassen.
»Amapola, das ist der Hammer!«, rief Ben und drehte sich mit einem angedeuteten Schwerthieb zu der Elfe um, die neben ihm in der Luft schwebte.
Amüsiert lächelte Amapola die beiden Freunde an: »Melvin, Maira, hier werden euch alle mit den Namen aus eurem alten Leben ansprechen, wenn ihr keine Einwände habt.«
Emmas Erkenntnis, dass sie schon einmal hier gewesen war, tauchte als vertrautes Gefühl aus den Tiefen der Vergangenheit an die Oberfläche. Wie zur Bestätigung sprach Emma ihren gerade wieder gefundenen Namen ein paar Mal aus und spürte, dass er tatsächlich zu ihr gehörte. Deshalb antwortete sie: »Für mich ist es okay. Maira passt hierhin und zu mir, auch wenn in meinem Kopf gerade Chaos herrscht. Wer waren wir damals? Was haben wir hier gemacht?«
Amapola nahm Platz auf einem großen Stein. »Ich sagte es bereits: Schon mehrmals seid ihr durch Zeit und Raum gereist, um uns im Kampf zur Seite zu stehen, und habt viele Siege davongetragen. Ihr gehört zu den Kriegern des Lichts und kämpft für das Gute. Jedes eurer Leben habt ihr der Vernichtung des Dunklen und Bösen geweiht.
Zuverlässige Freunde warten hier und freuen sich auf ein Wiedersehen. In einer anderen Zeit standen sie euch in bedrohlichen Gefahrensituationen helfend zur Seite. Immer wieder brauchen wir Naturwesen die Hilfe von Menschen, im Gegenzug sind wir ständig wachend an eurer Seite. Aber schaut nur, wer da kommt: ein alter Freund!«
Melvin grinste: »Mann, Amapola, du kannst dich ja richtig gewählt ausdrücken, wenn du mal ruhig bleibst!«
Die Blumenelfe zog eine Schnute und runzelte die Stirn. Bevor sie jedoch etwas Schnippisches erwidern konnte, hörten sie ein freudiges Wiehern. Sie schauten in die Richtung, aus der wildes Hufgetrappel kam.
Melvins Herz machte einen Freudensprung. Wie ein Blitz schossen Bilder von ihm und diesem Wesen, das auf sie zustürmte, durch seinen Kopf. Liebevolle Gefühle überschwemmten ihn, und er rief wie selbstverständlich: »Ilian, alter Kumpel!«
Ein großes, weißes Pferd galoppierte stürmisch auf Melvin, Maira und Amapola zu. Erst bei genauerem Hinsehen sahen sie, dass es kein gewöhnliches Pferd war, sondern ein Pegasus mit weiß gefiederten Flügeln, die eng am Körper lagen. Elegant und majestätisch waren seine Bewegungen. Die geschmeidigen Muskeln zeichneten sich unter dem glänzenden Fell ab und der Blick aus den dunklen Augen war furchtlos. Der Pegasus trug Provianttaschen und ein Schutzschild, von dem ihnen das Bild eines Drachen entgegensah.
»Ilian, toll, dich wiederzusehen!«, rief Maira freudestrahlend aus. Auch bei ihr kehrte die Erinnerung schlagartig zurück.
»Willkommen, Erdenkinder! Wie schön, dass ihr euch an mich erinnert. Endlich seid ihr wieder da, ich habe euch so vermisst!«, jubelte Ilian. Erst kurz vor der kleinen Gruppe stoppte er seinen zügellosen Galopp, stellte sich auf die Hinterbeine und wieherte ausgelassen. Die Hufe des riesigen Pferdes donnerten haarscharf an den Köpfen der Freunde vorbei, als Zeichen der unbändigen Freude.
Als Ilian schließlich still stand, schmiss Maira den Köcher mit den Pfeilen, ebenso ihren Bogen hin und umarmte den Pegasus. Sie schmiegte sich an den warmen Pferdehals, steckte ihre Nase tief ins Fell und roch die unbezähmbare Wildheit. »Ach, es ist doch gut, wieder hier zu sein«, murmelte sie zufrieden. Es fiel Maira leichter, einem Tier gegenüber zärtliche Gefühle zu zeigen als Menschen.
Melvin stand vor Ilian, schaute tief in dessen dunkle Augen, streichelte die samtweichen Nüstern und kraulte seinen Schopf.
»Mein lieber Freund Melvin! Komm wir reiten eine schnelle Runde. Mal sehen, ob du es noch kannst!«, schlug Ilian vor und scharrte dabei ungeduldig mit den Hufen.
Melvin legte sein Schwert auf den Boden. »Ich bin dann mal weg*!« Mit einem stürmischen Satz sprang er auf Ilians Rücken. Sobald Melvin sicher dort saß und seine Finger fest in der Mähne verkrallt hatte, stellte der Pegasus sich wieder auf die Hinterhand und raste anschließend in wildem Galopp davon.
Die Gelegenheit nutzend, sah Maira sich endlich um. Fanrea erinnerte an die Erde, wirkte aber dennoch ganz anders. Vor dem Mädchen breitete sich eine Lichtung aus, auf der die Schatten der Bäume einen Reigen tanzten. Baumriesen streckten die Äste Richtung Himmel und griffen nach den Wolken. Kleine, knorrige Bäume mischten sich dazwischen, die gemeinsam mit den Riesen die Waldlichtung einfassten. Im flirrenden Sonnenlicht schwirrten Insekten, die leise brummten. Blumen sprenkelten die Wiese, auf der sich jede Menge Schmetterlinge tummelten. Es sah aus, als hätte ein Maler seinen Pinsel genommen und in einem wilden Rausch die gesamte Farbpalette ausgeschüttet. Die Luft schmeckte nach dem lieblichen Duft der Blüten und Kräuter. Bienen stritten mit einigen Blumenelfen um den besten Nektar, andere dagegen tanzten singend auf tellergroßen Blättern umher.
Belustigt beobachtete Maira die kleinen Elfen. »Sind die süß!«
Eine Libelle, so groß wie ein Kolkrabe, flog an dem Menschenmädchen vorbei, musterte es dabei neugierig aus schimmernden, grünen Facettenaugen.
»Ups, ist die riesig!«, flüsterte Maira. Während sie voller Staunen der Libelle hinterher sah, stiegen weitere Fetzen aus der Vergangenheit in ihr hoch. Doch die Erinnerungen an das vorherige Leben bestanden leider nur aus Bruchstücken. Maira war überwältigt. »Weißt du, Amapola, es haut mich um, zu erkennen, dass wir wirklich schon einmal in Fanrea waren und hier Freunde haben. Das kommt mir alles vor wie in einem Traum. Ich verstehe es auch nicht. Trotzdem empfinde ich es als fast normal, dass wir hier in dieser anderen Welt stehen und Blumenelfen beim Tanz zusehen.«
Amapola nickte. »Du hast etwas sehr Wichtiges bemerkt. Dein Verstand engt dein Denken ein, aber dein Gefühl versichert dir, dass alles richtig ist. Und das ist der Punkt: Wenn du auf deinen Verstand hörst, dann verschließt du dich vielen Möglichkeiten. Öffnest du dich jedoch deinem Gefühl, dann steht dir die gesamte Magie des Universums zur Verfügung, und du kannst sämtliche Wunder erleben.«
Maira ließ die Worte wirken und seufzte schließlich: »Ich muss wohl langsam anfangen, die Wahrheit zu akzeptieren. Nichts ist so, wie wir Menschen es bisher geglaubt haben. Kennen wir beide uns denn auch aus einem früheren Leben?«
»Nein, ich bin relativ neu hier.«
»Schade!« Nachdenklich setzte Maira sich auf einen großen Stein, der neben der alten Eiche stand, und schaute wieder auf die Lichtung. Sie griff nach dem Bogen, der zaghaft in ihrer Hand zu vibrieren begann. Forderte er sie etwa auf, ihn zu benutzen?
Ein vertrautes Gefühl durchströmte Maira. Neugierig hob sie den Bogen auf, legte einen Pfeil ein und schoss ihn ab. Sicher traf dieser das anvisierte Ziel, das Vibrieren des Bogens verstärkte sich. Maira flüsterte: »Erkennst du mich wieder? Ist das deine Begrüßung?« Freude durchströmte sie zusammen mit der Gewissheit, mit dem Bogen verbunden zu sein.
In diesem Augenblick spürte sie, dass jemand sie beobachtete. Sich umdrehend legte Maira instinktiv einen neuen Pfeil ein und schaute in das lächelnde, runzelige Gesicht der alten Eiche. Das hatte Maira nun wirklich nicht erwartet!
Der alte Baum sprach sie an: »Sei gegrüßt, Menschenkind! Ich freue mich, dich wiederzusehen, meine hübsche Maira! Mit jedem Leben wirst du noch ein bisschen schöner. Zudem fühle ich noch mehr Stärke und Entschlossenheit in dir. Das ist gut, denn du benötigst diese Eigenschaften in diesem rauen Land, wo viele Gefahren und Kämpfe auf dich warten.«
Mit großen Augen starrte Maira den Baum an. Seine Worte hallten in ihrem Kopf nach. Waren sie eine Warnung gewesen? Was erwartete sie in Fanrea? »Hallo!« Mehr fiel Maira gerade nicht ein.
»Ich möchte dir einen Rat mit auf den Weg geben: Alles, was