Fanrea. A.E. Eiserlo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A.E. Eiserlo
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783847619727
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ausgerufen: »Das gibt es doch gar nicht! Dein Muttermal sieht aus wie ein Drache!«

      Damals hatte er über ihre blühende Fantasie gelacht, aber war erstaunt gewesen, als er sich abends im Bad das Muttermal genauer ansah: Es glich tatsächlich einem Drachen! Emma hatte keinen Unsinn geredet.

      Seine Mutter, die als Ärztin stets an die Gesundheit dachte, wollte das Mal weg schneiden lassen, aber so etwas wie eine innere Stimme hielt Ben davon ab. Allerdings juckte der Fleck in der letzten Zeit immer öfter unangenehm, was ziemlich nervte. Nachdenklich zog Ben ein frisches T-Shirt an und fühlte eine unendliche Erschöpfung.

      Ohne Licht anzuknipsen, setzte er sich schläfrig auf sein Bett, wo er den außergewöhnlichen Tag in Gedanken vorbeiziehen ließ. Aufgewühlt starrte er in die bleierne Dunkelheit, die mit langen Fingern nach ihm griff. Normalerweise fühlte er sich in der Nacht geborgen wie in einer kuscheligen Decke, aber nun empfand er Einsamkeit und Verunsicherung.

      Ben stand wieder auf, öffnete das Fenster, und ein Schwall kühler, regenfrischer Nachtluft schlug ihm entgegen. Mit angespanntem Körper starrte er nach draußen und atmete tief ein, um mit der klaren Luft seine trüben Gedanken zu vertreiben. Nach dem schweren Gewitter heute Abend war der Regenguss in einen sanften Landregen übergegangen. Ben lauschte den Tropfen, die draußen leise flüsterten, als ob sie ihm Geschichten erzählen wollten.

      Die finstere Gestalt aus dem Wald eroberte Bens Gedankenwelt. Wie hatte er selbst sich bei dem Kampf gefühlt? Die Hitze in seinem Inneren hatte ihm Mut verliehen, sodass er dem Gegner kühn entgegengetreten war. Wieso? Konnte er die Hitze vielleicht steuern?

      Ihm schwirrten die Worte der Elfe Amapola und die Erzählung von Tante Esther im Kopf herum. Was würde sie morgen erwarten? Für ihn gab es keine Wahl, er wollte nicht blind werden! Jedes Wagnis und jedes Risiko würde er eingehen, um das zu verhindern. Er musste durch das Weltentor, aber was war mit Emma? In was zog er sie da hinein? Welchen Gefahren würden sie begegnen? Wer war dieser geheimnisvolle Worak?

      Heute Mittag, im warmen Sonnenlicht, da reizte Ben die Gefahr ebenso wie das Ungewisse. Er fühlte sich stark wie Luke Skywalker oder Harry Potter, die jeder Situation gewachsen waren. Der Geschmack von Abenteuer hatte Ben gefallen, aber jetzt, allein in der Nacht, wirkte alles anders.

      Bens Grübeleien drifteten weg. Wieder einmal dachte er an den süßen, kleinen Mattes und daran, dass de Bruder das leibliche Kind der Eltern war, er selbst dagegen nicht. Er war nur adoptiert. Seine Mutter hatte Mattes unterm Herzen getragen, die Bewegungen des Babys im Bauch gespürt und es als winziges Neugeborenes im Arm gehalten. Ben wurde von dem schrecklichen Gefühl gequält, dass seine Mutter Mattes mehr liebte als ihn. Eifersucht schlug immer wieder ihre Krallen in Bens Herz und Seele.

      Zudem war die Wut grenzenlos, die er auf die fremde, namenlose Frau verspürte, die er nicht kannte und die er hasste, weil sie ihn abgegeben hatte. Was war das für eine Frau, die ihn zur Welt brachte und dann verstieß? Welche Gründe konnten entschuldigen, das eigene Kind zur Adoption freizugeben? Wie grausam und kaltherzig konnte eine Mutter sein? Dieser Frau, die ihm das Leben schenkte, konnte er nur Verachtung entgegenbringen. Niemals würde er auf die Idee kommen, sich auf die Suche nach ihr zu machen.

      Auch den leiblichen Vater wollte er niemals kennenlernen, weil er sich genauso lieblos verhalten hatte. Oder wusste er vielleicht gar nicht, dass er einen Sohn hatte? Das erschien Ben eher unwahrscheinlich, und über diese Möglichkeit mochte er lieber gar nicht nachdenken. Seltsamerweise war seine Wut auf diesen Mann geringer als auf die unbekannte Frau.

      Seine Gedanken kreisten oft um dieses Gift verspritzende Thema, das einerseits die Freigabe zur Adoption und andererseits seine Eifersucht auf Mattes zum Inhalt hatte. Tagtäglich meinte er an irgendwelchen Handlungen oder Sätzen der Mutter zu erkennen, dass sie ihn, Ben, weniger liebte als seinen kleinen Bruder.

      Beim Vater hatte er nicht das Empfinden, dass er Unterschiede machte, und er fragte sich oft, warum das so war. Vielleicht weil sie ihre eigenen kleinen Inseln aus Aktivitäten geschaffen hatten, die sie beide genossen? Bei Tim konnte Ben die Liebe spüren und die Freude darüber, dass er sein Sohn war.

      Ben wünschte, er hätte zur Mutter so ein großes Gefühl der Nähe wie zum Vater. Ja, das traf es am ehesten: Er fühlte sich ihr nicht wirklich nah, weil er nur ein adoptiertes Kind war!

      Unglücklich seufzte Ben und zog die Jeans aus. Dadurch fiel der magische Kieselstein heraus und polterte über den Boden. Ben schaltete das Licht ein, griff nach dem Stein und staunte: Er hatte seine Farbe verändert. Jetzt leuchtete er in einem kräftigen Rotorange! Was hatte das nun wieder zu bedeuten?

      Doch Ben fehlte die Kraft, weiter darüber nachzudenken. Deshalb nahm er den Stein und steckte ihn seufzend zurück in die Jeans. Dabei berührte er sein Smartphone, zog es heraus und schrieb Emma: »Schlaf schön. Bin froh, dich zu haben.« Danach legte er sich ausgelaugt auf das Bett, knipste das Licht aus und schlief im Nu erschöpft ein.

      Er geriet in einen wirren Traum, in dem ein Drache beruhigend zu ihm sprach: »Der Tausch für die Blindheit ist das Ende der Kindheit. Der Drachenreiter wird erweckt. Vertraue auf deine innere Stärke!«

      Wilde Kämpfe mit düsteren, unheimlichen Gestalten verschmolzen zu einem anderen Bild, in dem Ben schweißüberströmt in einer Schmiede stand und ein glühendes Schwert bearbeitete. Ihm erschienen Emma, die auf einem geflügelten Hirsch ritt, und kristallisierte Elfen, deren Hilferufe sich in seinem Kopf festsetzten. Ihre grenzenlose Qual war sogar im Traum spürbar.

      Schweißgebadet wachte er auf und fühlte sich noch mieser als vorher. Quälten ihn nun dieselben Alpträume wie Emma? War das ein Blick in die Zukunft? Das Bild der glitzernden Elfen fraß sich schmerzhaft in seine Gedanken.

      Fast glaubte er, dass einige dieser Bilder Erinnerungen an ein früheres Leben waren. Aber sie duckten und versteckten sich im hohen Gras des Vergessens, schlichen langsam etwas näher, bis sie schließlich wie Schatten in der Dunkelheit verschwanden. Ben fühlte, dass er sich einer ihm unbekannten Wahrheit näherte, er war ganz dicht dran.

      Gruselgeschichten, die er gelesen hatte, fluteten sein Gedächtnis. Ebenso Filme, die von Zauberern oder Hexen handelten. Haftete denen etwa immer auch ein Funken Realität an? Waren das gar keine Hirngespinste überbordender Fantasie?

      Unvermittelt dachte Ben an den schrillen Patienten seiner Mutter, Henk van Vaal, der immer wieder dieselben verrückten Geschichten erzählte von einer schönen, aber grausamen Hexe, schwarzen Panthern mit Fledermausflügeln und einem düsteren Schloss, in dem steinerne Wesen wachten.

      Angenommen, es wäre nur ein Fünkchen Wahrheit an diesen Geschichten, was bedeutete das dann für ihn und das bevorstehende Abenteuer? Hatte Henk das alles wirklich erlebt? Den Gedanken wollte Ben lieber nicht vertiefen, sondern versuchte, wieder einzuschlafen.

      Die Hüterin der Bücher

      Emma erging es in ihrem Zimmer nicht besser, sie konnte ebenfalls nicht einschlafen. Um nicht mehr über den Kampf im Wald grübeln zu müssen, hatte sie sich abends mit ihrer Mutter unterhalten und das Gespräch auf Esther gelenkt.

      Die Mutter erzählte von Esthers Rucksacktrip nach Amerika und davon, dass diese ihr Studium der Literatur und Biologie abgebrochen hatte, um eine Weile mit einem reichen Texaner unter Indianern und Schamanen zu leben.

      Emma dachte noch einmal an die Worte ihrer Mutter: ›Wir hatten damals nicht viel Kontakt. In Amerika hat Esther diesen Millionär kennengelernt, einen Aussteiger, und ihn geheiratet. Die beiden bekamen eine süße Tochter. Wenn ich damals mit Esther telefonierte, klang sie sehr, sehr glücklich. Hm, dann geschah der tödliche Autounfall. Nach einiger Zeit kehrte eine ziemlich unglückliche Esther hierhin zurück. Ich denke, diesen Schicksalsschlag überwand meine Schwester nie, auch wenn sie uns das nicht zeigen wollte. Wenigstens hat sie reich geerbt und muss sich keine Sorgen ums Geld machen.‹

      Emma beschloss, ihre Tante irgendwann auf ihren Mann und die kleine Tochter anzusprechen. Die Geschichte mit dem Unfall war Emma zu vage, sie spürte deutlich, dass diese nicht der vollen Wahrheit entsprach.

      Müde