Smartphone, Sorgen und Salbei. Karin Firlus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karin Firlus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746793252
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würde vorschlagen, wir schneiden stufig, insgesamt, da hinten und hier oben auch, und vorher mach ich Ihnen Strähnchen rein.“ Die junge Frau war in ihrem Element.

      Irene lehnte sich zurück und ergab sich ihrem Schicksal; jetzt war es sowieso zu spät, um noch einen Rückzieher zu machen.

      Zwei Stunden später hatte sie sich in den aktuellen Zeitschriften über die neuesten Trends und Must-Haves informiert und kam sich spätestens jetzt hoffnungslos veraltet vor. Offensichtlich zählte nur noch, dass man jung war, genug Geld hatte, um sich jedweden Luxus zu leisten, wobei die neuesten technischen Errungenschaften, wie Smartphones und Tablet-PCs, keine Luxusgegenstände, sondern lebensnotwendige Anschaffungen waren. War man nicht bereits jenseits von Gut und Böse, also wollte man für voll genommen werden, waren dies selbstverständliche Voraussetzungen. Und dass man sich all dies leisten konnte, musste man auch zeigen – das schien extrem wichtig zu sein, um anerkannt zu werden – und man musste über die notwendigen „Connections“ verfügen, um sich in den Vordergrund spielen zu können. „Verpackung“ und auffallendes Äußeres waren wichtig, um sich verkaufen zu können.

      Irene fühlte sich extrem verunsichert. Welchen Stellenwert hatten in diesem Schema Ausbildung und Wissen, fragte sie sich.

      Zumindest ein Artikel hatte sie interessiert; sie hatte ihn in einer Zeitschrift über Gartenbau entdeckt. Dort waren über dreißig verschiedene Kräuter aufgeführt und ihre Wirkung als Tee, Sud und zum Kochen.

      Sie dachte wehmütig an die Jahre zurück, als sie jung verheiratet war und auf ihrem Balkon etliche Sorten Kräuter angebaut hatte. Von den üblichen Küchenkräutern bis hin zu den weniger bekannten, die gut kleine Wehwehchen wie Erkältungen, Darmbeschwerden und Bauchkrämpfe beseitigten, hatte sie alles auf Vorrat gehabt.

      Sie wusste damals auch noch, wofür sie welches Kraut einsetzen konnte, wie es zubereitet werden musste und wie es wirkte. Offensichtlich hatte ihre Großmutter ihr die Liebe zu Kräutern und etliches an Wissen mit auf den Weg gegeben.

      Nach Hannes‘ plötzlichem Tod fehlte ihr die Zeit, sich weiter um ihr Lieblingshobby zu kümmern, und sie hatte auch nicht die innere Ruhe und Muße, die man zum Zubereiten der Kräuter haben sollte. Sie verdorrten. Und als sie aus ihrer Vier-Zimmer-Wohnung in eine kleinere umziehen mussten, warf sie alle Kästen weg. Auf dem Minibalkon in der neuen Wohnung hätten sie sowieso keinen Platz gehabt.

      Nach ihrem Friseurbesuch ging sie über den Markt, um frisches Gemüse und Obst zu kaufen. Da lief ihr die Nachbarin mit dem Enkel über den Weg. Der Kleine saß in seinem Buggy, knabberte an einem Apfel herum und schaute wissbegierig um sich.

      „Frau Hofmann!“, wunderte sich Grete Hinrichs, „ich hätte Sie doch beinahe nicht erkannt. Sie haben sich ja hübsch machen lassen. Steht Ihnen gut, die neue Frisur und die Strähnchen.“ Sie beugte sich zu ihr und flüsterte: „War aber auch mal Zeit, dass Sie sich ein bisschen aufgepeppt haben; schließlich sind Sie doch noch jung!“

      Jung … naja, Frau Hinrichs war um die siebzig, da war Irene mit Mitte fünfzig gewissermaßen noch jung. Aber die neue Frisur, da hatte sie recht, die gefiel Irene auch. Ihre Haare waren jetzt kürzer und stufig geschnitten, so dass sie nur noch bis zu ihrem Kinn hingen; fülliger wirkten sie jetzt auch. Und die roten Strähnen, die zwischen den schwarzen Haaren aufblitzten, gaben ihrer Frisur einen fröhlichen Akzent.

      Nachmittags lag sie mit steifem Genick, um nur ja nicht die frisch gelegten Haare nass zu machen, in der Badewanne und überlegte krampfhaft, ob sie sich dieser Herausforderung von Carolas Party wirklich stellen sollte. Dort wären nur Leute mit Geld, die selbstsicher und von sich überzeugt waren. Außerdem wusste sie gar nicht mehr, worüber man sich bei solchen Gelegenheiten mit Menschen, die man nicht kannte, unterhielt. Im Smalltalk war sie noch nie gut gewesen; sie sagte entweder offen und ehrlich ihre Meinung zu einem Thema, das sie interessierte, oder sie hielt den Mund. Bei Häppchen und Sekt irgendwelche Belanglosigkeiten von sich zu geben, war einfach nicht ihr Ding.

      Von der Wanne aus schielte sie zu ihrem Bett, auf dem das neue Kleid, die Korallenkette und die schwarze Strumpfhose lagen. Das alles und der Besuch beim Frisör und bei der Kosmetikerin konnte doch nicht so sang- und klanglos stattgefunden haben, ohne dass jemand diese Neuerungen bemerkte. Außerdem hatte sie auf dem Markt für Carola einen hübsch arrangierten Strauß von Herbstblumen gekauft. Was sonst hätte sie ihr mitbringen sollen? Teuren Rotwein konnte sie sich nicht leisten, den hatte Carola selbst, aber Blumen mochte eine Frau immer.

      Kapitel 5: Ein Bisschen von Allem

      Carola bedankte sich artig für die Blumen. „Ich freue mich, dass du dich aus deinem Schneckenhaus herausgetraut hast und gekommen bist. Meinen Mann kennst du noch, oder? Ihr habt euch vor Jahren einmal auf einer Gartenparty kennengelernt.“

      Ein grauhaariger Endfünfziger kam strahlend auf Irene zu und drückte ihr einen Sektkelch in die Hand. „Schön Sie wiederzusehen. Fühlen Sie sich wie Zu Hause, Sie kennen sich ja hier aus.“ Damit ließ er sie stehen. Carola hatte sich den Gästen zugewandt, die nach Irene gekommen waren. Also stand sie mit ihrem Glas in der Hand mitten im Wohnzimmer und schaute sich um.

      Auf dem Esstisch weiter vorne lag eine weiße Satindecke, auf der sich Teller, Platten und Warmhalteschalen türmten. Ein Koch oder Kellner, da war Irene sich nicht sicher, arrangierte weitere Kostbarkeiten. Sie wäre gerne hingegangen, um nachzusehen, was Carola alles hatte auffahren lassen. Aber sie dachte, dass dies vielleicht ein Fauxpas gewesen wäre. Schließlich hätte es gewirkt, als sei sie nur des Essens wegen gekommen. Also wandte sie sich dem Wohnbereich zu.

      Auf dem Tisch, an dem sie zwei Wochen zuvor bei ihrem Treffen gesessen hatten, stand eine hohe, durchsichtige Vase, prall gefüllt mit langstieligen roten Rosen, die in einer Art Gel zu stehen schienen, Wasser war es jedenfalls nicht. Das hatte irgendwie Klasse, wie alles in diesem Haus. Einen Blick für angenehmes Ambiente hatte Carola, das musste man ihr lassen.

      „Dieser Matisse ist eine Wucht, finden Sie nicht auch?“ Irene drehte sich zu der Stimme um. Neben ihr stand eine Frau, die in etwa in Irenes Alter war. Sie hatte kurz geschnittene, hellblonde Haare, die ganz offensichtlich gefärbt waren, und war sehr schlank, eher schon dürr, und der dunkelblaue Glitzerfummel schlackerte unvorteilhaft um ihren Körper. Irene hätte ihr, schon rein aus egoistischen Motiven, gerne ein paar Kilos abgegeben.

      Die Frau starrte wie gebannt das Bild in dem roten Rahmen an. „Diese laszive Lässigkeit hat was. Wer ihm da wohl Modell stand?“

      Irene zuckte unbeholfen die Schultern. Sie hatte sich bisher weder mit Matisse noch mit anderen Malern beschäftigt, als dass sie eine sinnvolle Aussage hätte treffen können. „Ich kenne mich mit Malerei nicht aus, tut mir leid.“

      „Macht nichts, man kann ein Bild auch so genießen. Und der Rahmen ist wirklich gewagt.“ Die Frau schlürfte von ihrem Glas und verdrehte die Augen. „Ach, und dieser Moët schmeckt wieder köstlich; darauf freue ich mich immer, wenn ich bei Carola bin. Der Champagner ist jedes Mal perfekt gekühlt und genau richtig: nicht zu süß und nicht zu herb!“ Damit drehte sie sich um und schlenderte zu einem Grüppchen von Leuten, die vor dem Buffettisch standen.

      Irene trank einen Schluck von ihrem - wie sie jetzt wusste - Champagner, und seufzte innerlich. Genauso hatte sie sich diese Menschen hier vorgestellt: oberflächlich und bar jeglicher Sorgen.

      Carola kam auf sie zu. „Na, amüsierst du dich gut? Meine Freundin Charlotte hast du ja eben schon kennengelernt. Die Arme! Sie war lange nicht mehr hier.“ Sie beugte sich zu Irene und flüsterte: „Zuerst starb ihr Mann plötzlich an einem Infarkt und dann bekam sie die Diagnose Brustkrebs! Zum Glück scheint sie inzwischen geheilt zu sein, aber so etwas muss man erst einmal verkraften.“

      Irene war verblüfft. Die Frau war wohl doch nicht so sorglos, wie sie es vermutet hatte. Sie nahm sich vor, diese Leute nicht stur vorzuverurteilen, wie sie das gerne tat, wenn sie sich in einer Gruppe minderwertig fühlte.

      Carola drehte sich zu den anderen Gästen um. „Freunde, es ist angerichtet. Ihr dürft euch auf die Häppchen stürzen. Guten Appetit!“

      Und Irene sah erstaunt zu,