Smartphone, Sorgen und Salbei. Karin Firlus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karin Firlus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746793252
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      Nach einer kurzen Pause sagte sein Stellvertreter: „Hat einer von euch gewusst, dass er verheiratet ist und sogar ein Kind hat?“

      Allgemeines Kopfschütteln war die Antwort. Irene dachte bei sich, dass das allein schon alles erklärte. Meinert war so unnahbar, dass keiner irgendetwas Privates von ihm wusste. Eine Kollegin aus der Buchhaltung brachte es auf den Punkt: „Es ist mir, ehrlich gesagt, egal, was ich von ihm weiß und was nicht. Uns fragt er ja auch nicht nach unseren privaten Verhältnissen, weil er es gar nicht wissen will. Wir sind doch sowieso nur Schachfiguren für ihn, die er nach Belieben hin und herschiebt, wie es ihm passt.“

      Daraufhin erhob sich zustimmendes Gemurmel, jeder fing an, irgendetwas zu sagen, und nach einigen Minuten war eine lebhafte allgemeine Unterhaltung im Gange. So wurde die letzte Stunde doch noch fast gemütlich, wobei allerdings immer noch alle darauf achteten, nichts allzu Unbedachtes zu äußern, denn am nächsten Tag im Büro stand schließlich wieder jeder allein für sich gegen die anderen. Und schließlich wusste man nicht, wer unter ihnen als Meinerts Spitzel fungierte; denn dass er die unter den Mitarbeitern hatte, da war Irene sich sicher.

      Als habe er nicht am vorherigen Abend mit ihnen zusammengesessen, kam Meinert noch früher als sonst ins Büro, wie immer ohne zu grüßen. Irene hatte gerade ihren Computer hochgefahren und war dabei, Kaffee zu kochen, als er hereingerauscht kam, den Mantel über dem linken Arm, die Zeitung in der rechten Hand.

      „Gut, dass Sie da sind, dann können Sie gleich mit den Briefen für heute beginnen. Es gibt jede Menge zu tun, also zack, zack!“ Er ging strammen Schrittes in sein Büro, kam gleich darauf wieder heraus und knallte Irene seinen MP3-Player auf ihren Schreibtisch. „Das muss heute Mittag noch raus. Also lassen Sie Frau Augstein den Kaffee kochen und legen Sie los!“

      Irene murmelte seinem Rücken ein „Guten Morgen“ hinterher und sobald er die Tür zu seinem Büro geschlossen hatte hob sie den rechten Mittelfinger und streckte ihn aus. Schließlich war Britta noch nicht da und somit konnte sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen.

      Sie schaffte es an diesem Dienstag nicht, eine Mittagspause zu machen. So schob sie sich kurz nach eins beim Tippen eine Banane in den Mund und wagte es, sich zwischendurch eine Tasse Tee zu kochen. Um vier hatte sie Kopfschmerzen und konnte sich auf nichts mehr konzentrieren. Britta war zwar morgens gekommen, aber eine halbe Stunde zu spät. Danach hatte sie auf ihrem Stuhl herumgehangen und gejammert, wie schlimm ihre Erkältung sei. Zur Untermauerung dieser Feststellung putzte sie ein-, zweimal die Nase und schniefte.

      Kurz nach elf stöhnte sie auf einmal und verkündete theatralisch: „Ich kann nicht mehr! Mein Kopf ist total zu und ich krieg keine Luft. Ich muss nach Hause auf die Couch!“

      Irene, die von einer Erkältung bei ihrer Kollegin weder jetzt noch am Abend zuvor etwas bemerkte hatte, sah überrascht auf. „So schlimm kann es ja wohl nicht sein, dass du gleich gehen musst. Wir haben hier jede Menge Arbeit und Meinert hat heute Morgen ganz klar gesagt, dass alles noch heute raus muss.“

      „Tja, meine Liebe“, Britta zog sich mühsam aus ihrem Stuhl hoch und griff sich an die Stirn, „das wirst du dann alleine schaffen müssen, denn ich kann einfach nicht mehr.“ Damit stolzierte sie zu Meinert ins Büro, schloss die Tür hinter sich und kam nach kaum einer Minute wieder heraus. „Ich habe ihm gesagt, dass er in den nächsten Tagen nicht mit mir rechnen kann. Ich muss mich erst einmal auskurieren.“ Sie nahm ihre Handtasche, zog die Winterjacke an und band sich ihren Schal doppelt um den Hals, als herrschten draußen statt schlappe zehn Grad plus eher Minustemperaturen. Dann ging sie.

      Irene starrte ihr mit offenem Mund nach und fragte sich, wie diese Frau ungestraft krankmachen und sie mit der ganzen Arbeit allein hängen lassen konnte. Hatte sie denn gar kein Gewissen?

      Als sie abends nach der Tagesschau mit Gabriele telefonierte, stieß die ein verächtliches „Pff“ aus. „Das macht diese Britta doch extra, um dir eine reinzuwürgen. Wahrscheinlich will sie in Ruhe ihre Weihnachtseinkäufe erledigen. Oder, wenn ich es mir recht überlege, kann der Zeitpunkt kein Zufall sein. Möglicherweise ist das sogar mit eurem Chef abgesprochen, damit er dich mit der Menge an Arbeit, die noch vor Weihnachten unbedingt erledigt werden muss, ordentlich unter Druck setzen kann. Denn irgendwie muss er dich doch dazu bringen, dass du Fehler machst, sonst hat er keinen Kündigungsgrund.“

      Britta Augstein ließ sich von ihrem Arzt tatsächlich den gesamten Rest der Woche krankschreiben und Irene kroch freitagsnachmittags, statt um zwei um fünf und nach etlichen Überstunden in dieser Woche, auf dem Zahnfleisch aus dem Büro. Sie ging beim Supermarkt vorbei, holte sich Fertigsuppen und Bananen, dann fuhr sie nach Hause, zog sich bequeme Klamotten an und sank auf die Couch. Sie fragte sich, wie lang sie dieses Arbeitstempo noch würde beibehalten können und war sehr erleichtert, dass sie in der kommenden Woche nur noch montags würde arbeiten müssen, bevor sie fast zwei Wochen Weihnachtsurlaub genießen konnte.

      Sie hatte zwar ihren Urlaubsbeginn am 23. eingetragen, aber am Tag zuvor hatte Meinert ihr verkündet, dass sie unbedingt montags noch einige unerledigte Arbeiten würde beenden müssen. Es waren völlig belanglose Vorgänge, die sie locker im neuen Jahr hätte angehen können; aber ihr Chef wollte sie nun einmal bewusst provozieren, und Irene tat ihm nicht den Gefallen, dagegen zu protestieren. Sie nickte nur stumm und füllte direkt einen neuen Urlaubszettel aus, den er mit zusammengepressten Lippen unterschrieb.

      An diesem Freitagabend bekam sie von dem spannenden Krimi nach acht nur den Mord mit, danach schlief sie ein. Ihr letzter Gedanke war, dass solch eine Tötung im Affekt durchaus nachvollziehbar war.

      *

      Samstags erledigte sie die letzten Weihnachtseinkäufe, damit sie montagsabends nach Arbeitsschluss nur noch Brot, Obst und ähnliches würde besorgen müssen. Sie fühlte sich innerlich gehetzt und hatte das unbestimmte Gefühl, sofort noch alles tun zu müssen, was nötig war. Nachmittags legte sie eine CD mit weihnachtlichen Melodien auf, um wenigstens ein bisschen in die richtige Stimmung zu kommen, und packte die wenigen Geschenke ein, die sie gekauft hatte. Auf einen Baum hatte sie dieses Jahr verzichtet; sie hatte ja seit Wochen jeden Tag länger gearbeitet, und schon die Vorstellung, an einem ihrer kostbaren und kurzen Feierabende noch einen Baum zu besorgen, ihn in ihrem Kleinwagen nach Hause zu bringen und auch noch schmücken zu müssen, trieb ihr den Schweiß auf die Stirn.

      So hatte sie sich morgens ein paar Zweige für die Bodenvase gekauft; sie hängte einige schöne Kugeln daran und beschloss, dass diese spärliche Weihnachtsdekoration in diesem Jahr reichen musste.

      Innerlich komplett ausgepowert und überhaupt nicht in vorweihnachtlicher Stimmung erwärmte sie sich kurz vor acht einen Teller Kartoffelsuppe von abends zuvor, als das Telefon klingelte.

      „Frau Hofmann, hier ist Beimert vom Seniorenheim. Wir mussten den Notarzt rufen, der eben Ihre Mutter ins Krankenhaus hat einweisen lassen. Sie hatte heute Morgen schon -“

      Irene ließ den Hörer sinken. ‚Na toll, das passt doch. Es ist mal wieder ein Feiertag in Sicht, ich muss mich dringend ein paar Tage entspannen, und ausgerechnet jetzt muss meine Mutter ins Krankenhaus‘. Seufzend stand sie auf, zog Schuhe und Mantel über und machte sich auf den Weg.

      Ihre Mutter lag auf einer Liege in der Notaufnahme. Im Wartebereich saßen und standen etliche weitere Menschen herum, die genervt auf die Uhr sahen.

      Irene ging zu ihrer Mutter. Sie lag da und wimmerte vor sich hin, aber als Irene sie fragte, ob sie Schmerzen habe und wenn ja, wo, bekam sie keine Antwort. Sie fragte sich, wie die Ärzte herausfinden sollten, wo das Problem war, wenn weder ihre Mutter noch die Pflegekräfte im Heim wussten, was ihr fehlte. Die Heimleiterin hatte nur gesagt, dass Frau Hofmann schon morgens wimmernd im Bett gelegen hatte und nicht fähig gewesen war aufzustehen. Irene fragte sich, wieso sie dann bis abends gewartet hatte, bis sie den Notarzt rief.

      Eine gute Stunde später war die Reihe an ihrer Mutter. Sie schob sie selbst in das Behandlungszimmer und erklärte den Ärzten, dass ihre Mutter unter fortgeschrittener Alzheimer litt. Dass sie wimmerte und nicht ganz bei sich zu sein schien, bemerkte die Ärztin selbst. Sie ließ zunächst den Blutdruck messen, nahm Blut – „Es wird etwas dauern, bis