Smartphone, Sorgen und Salbei. Karin Firlus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karin Firlus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746793252
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Kopf. Für solch einen Humbug hatte sie im Augenblick keine Zeit; jetzt gab es nur noch ausziehen, rein in die ausgebeulten Lieblingshosen und ein altes Sweatshirt darüber; dann ein Glas Rotwein und den saftigen Döner, den sie sich gekauft hatte.

      Sie wischte sich gerade Knoblauchsauce von der Handkante, als eine Dokumentation über „Gesund essen und dabei abnehmen“ anfing. Schon wollte sie umschalten, als eine Frau, die in etwa ihre Figur hatte, erzählte, dass sie dringend ihr Gewicht reduzieren wollte. Irene setzte sich aufrecht hin und hörte zu.

      So erfuhr sie, was sie eigentlich schon wusste, sich aber nicht so bewusst gemacht hatte. Nämlich, dass ihr sogenannter BMI außerhalb des akzeptierten Normbereiches lag und sie somit dringend abspecken sollte.

      Es folgten Berichte einiger Frauen, die verschiedene Diäten ausprobiert hatten und total glücklich über ihre jeweiligen Gewichtsverluste waren. Und natürlich wollten sie weiter abnehmen, bis sie ihr Idealgewicht erreicht hätten.

      Als Irene am nächsten Morgen ihre schwarzen Hosen anzog und den Knopf offenstehen lassen musste, dachte sie, ‚ich wäre schon froh, wenn diese Hose wieder passen würde‘.

      Im Laufe des Tages ging ihr der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass sie zumindest versuchen sollte, ein bisschen Gewicht zu verlieren. Wie lange hatte sie schon kein T-Shirt mehr angezogen, das nicht locker über ihren Hüften hing? Enge Shirts in die Hosen stecken konnte sie schon seit einiger Zeit nicht mehr. Als sie donnerstagsabends einkaufen ging, kaufte sie Karotten und Äpfel; die wollte sie ab jetzt statt Brot in ihrer Mittagspause essen. Und so beschloss sie, ihrem inneren Schweinehund den Kampf anzusagen.

      Kapitel 4: Beautyprogramm

      „Ich werde Ihnen jetzt eine Gurken-Aloe-Vera-Maske auflegen und danach Ihre Finger- und Zehennägel schneiden. Sie können hier schon einmal die Farbe des Nagellacks auswählen, die Sie tragen möchten.“

      Irene lag unter einer kuscheligen Frotteedecke auf einer Liege, am anderen Ende des Raumes Carola. Sie hatte doch nachgegeben und den Termin bei der Kosmetikerin am Freitag der folgenden Woche wahrgenommen. Carola bezahlte für den Besuch; sie habe sowieso noch einen Gutschein, der die Behandlung für sie beide locker abdecke, hatte sie ihr versichert.

      Entgegen ihrer anfänglichen Skepsis war Irene nicht so verkrampft, wie sie zuvor angenommen hatte. Zum Teil war dies sicherlich der Tatsache geschuldet, dass ihr neues Mittagsmahl aus frischem Gemüse bereits die ersten 400 Gramm hatte purzeln lassen und die schwarze Hose nicht mehr so eng saß.

      Im Hintergrund erklang eine mystische Melodie, Mandolinenklänge, die wohl entspannen sollten, und ihre Wirkung ging allmählich auf Irene über. Die Maske roch angenehm frisch und lag samtig auf ihrer Haut. Sie spürte, wie ein Teil ihrer allgemeinen Anspannung, unter der sie eigentlich immer stand, von ihr abfiel.

      Die Kosmetikerin schnitt ihr nicht nur die Zehennägel, sie massierte auch die Fußsohlen, und Irene entschlüpfte gelegentlich ein wohliger Seufzer, als sich die Verkrampfung rund um ihre Schultern löste. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren und döste ohne konkreten Gedanken vor sich hin.

      Nachdem Frau Herziger die Maske von Irenes Gesicht getupft hatte, rasierte sie ihr die Augenbrauen und legte ein leichtes Makeup auf. Irenes Fuß- und Fingernägel glänzten in einem mutigen Dunkelrot und als sie in den Spiegel schaute, starrte sie sich verwundert an: Die Frau, die ihr daraus entgegenblickte, schien mit der alternden, frustrierten Mittfünfzigerin, als die sie sich kannte, nicht mehr viel gemeinsam zu haben. Ihre Haut hatte einen gesunden Farbton, sie wirkte glatt und samtig, sie fühlte sich auch so an, und die Fältchen um ihre Augen waren nicht zu erkennen. Irene war beeindruckt.

      Carola zahlte mit ihrem Gutschein, so dass Irene nicht sehen konnte, wie viel diese magische Verwandlung gekostet hatte.

      Frau Herziger gab ihr eine Visitenkarte. „Bis bald, Frau Hofmann“, sagte sie fröhlich lächelnd.

      Irene antwortete: „Gern!“ und stellte erstaunt fest, dass sie das durchaus auch so meinte.

      Auf der Straße grinste Carola sie triumphierend an. „Na, was hab ich dir gesagt: Wenn du da rausgehst, fühlst du dich wie ein neuer Mensch. Hab ich übertrieben?“

      Irene schüttelte den Kopf. „Nein, ich muss zugeben, dass du recht hattest. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich mich so gut fühle; irgendwie runderneuert, sozusagen.“

      „Ganz soweit würde ich noch nicht gehen; zuerst musst du etwas an deinen Haaren ändern.“

      „Morgen um zehn habe ich einen Termin.“ Irene lächelte stolz.

      „Sehr gut! Weißt du was, komm doch abends auf unsere Party. Es sind nur einige wenige Leute da und bei dieser Gelegenheit kannst du gleich deine Wirkung auf das männliche Geschlecht ausprobieren.“

      „Um Himmels Willen! Ich bin doch nicht auf der Suche nach einem Mann!“, wehrte Irene erschrocken ab.

      „Wieso eigentlich nicht? Du bist schon ewig solo, jünger wirst du nicht, und ein bisschen Sex ab und zu wirkt Wunder!“ Carola lächelte ihr spitzbübisch zu, dann drehte sie sich um und winkte ein Taxi herbei. „Morgen Abend um sieben! Und zieh dir was Hübsches an!“

      Irene starrte dem davonfahrenden Taxi entgeistert nach und dachte, ‚Worauf hab ich mich da nur eingelassen‘? Erst als sie einige Schritte gegangen war, fiel ihr ein, dass sie sich nicht einmal bei Carola bedankt hatte. Der Besuch bei dieser Frau Herziger hatte bestimmt ein kleines Vermögen gekostet.

      Sie schlenderte an den Schaufenstern der Kleiderläden vorbei und besah sich müßig die Auslagen. Plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen. In der Boutique, an der sie öfter vorbeiging, hing noch immer das schwarze Cocktailkleid, das sie seit Wochen anhimmelte. Wegen des bisher exorbitanten Preises war es nur ein unerreichbarer Traum aus Crêpe-de-Chine gewesen. Es war einfach geschnitten und der enge Rock endete an den Waden. Der breite Gürtel aus rotem Leder gab dem Teil den nötigen Pepp. Auf dem dezenten Schild daneben war der bisherige Preis rot durchgestrichen und der neue sprang Irene förmlich in die Augen. Das Kleid war fast um die Hälfte reduziert!

      Ohne sich dessen bewusst zu sein, stieß sie die Tür zu dem Laden auf. Erst als die Verkäuferin sie ansprach, realisierte sie, dass sie im Begriff war, sich etwas zu leisten, was nicht unbedingt notwendig war.

      „Darf ich fragen, warum Sie dieses Teil reduziert haben?“ Sie zeigte auf das Kleid in der Auslage.

      „Es ist ein Einzelstück, wir führen es nur noch in einer Größe.“ Die elegant gekleidete Verkäuferin musterte Irene unauffällig, dann lächelte sie. „Und ich glaube, das ist genau Ihre Größe! Kommen Sie, probieren Sie es an; es sieht an Ihnen bestimmt bezaubernd aus; es passt zu Ihren schwarzen Haaren.“ Die Verkäuferin nahm es vom Bügel und reichte es ihr. „Die Kabinen sind da hinten.“

      Irene zog Bluse und Hose aus und schlüpfte in das schicke Teil. Es war zwar körperbetont geschnitten, aber nicht so eng, dass unerwünschte Fettpölsterchen sich abgezeichnet hätten. Und der weiche, rote Ledergürtel passte im vierten von fünf Löchern.

      Zehn Minuten später verließ sie den Laden mit einer Einkaufstüte und verzücktem Lächeln. Sie hatte das Kleid tatsächlich gekauft! Durch die Preisreduzierung war es für Irene zwar immer noch eine teure Anschaffung, aber sie konnte es sich leisten, ohne ein allzu großes Loch in ihre Ersparnisse zu reißen. Außerdem hatte sie sich seit längerem nichts mehr zum Anziehen gegönnt.

      Auf dem Nachhauseweg fiel ihr ein, dass irgendwo in ihrer Nachttischschublade noch die rote Korallenkette liegen musste, die Hannes ihr damals während ihrer Hochzeitsreise auf Kreta gekauft hatte.

      Samstagsmorgens auf dem Weg zum Friseur schalt sie sich, ihrem Leichtsinn nachgegeben und diesen Fummel gekauft zu haben, den sie kaum tragen konnte. Ins Büro jedenfalls nicht, und wo ging sie denn sonst hin außer zu ihrer Mutter ins Heim? Bei den monatlichen Treffen mit ihren Bekannten oder dem gelegentlichen Kino- oder Restaurantbesuch mit Gabriele war es auch unpassend. Sie war praktisch gezwungen, an diesem Abend wirklich zu der Party bei Carola zu gehen, damit sie es wenigstens einmal ausführen konnte.

      Ihre