Smartphone, Sorgen und Salbei. Karin Firlus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karin Firlus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746793252
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die Firma verließ, rief sie noch vom Handy aus ihre Freundin Gabriele an und verabredete sich mit ihr spontan zum Kaffee. Sie war so aufgeregt, dass sie sich noch im Auto eine Zigarette anzündete, was sie noch nie getan hatte.

      Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt, die Temperatur war gefühlte zehn Grad gesunken und die schönen, sonnigen Oktobertage schienen endgültig vorbei zu sein. Gabriele und Irene kamen gleichzeitig im Café an. Gabriele war zwei Jahre jünger als sie und auch alleinstehend; allerdings hatte sie außer einer großen Eigentumswohnung von ihren Eltern noch einiges an Erspartem geerbt. Das bescherte ihr zumindest die Sicherheit, das nötige Kleingeld für Dinge zu haben, die sie kaufen wollte, aber nicht unbedingt brauchte. Und im äußersten Notfall hätte sie von ihrem Ersparten leben können, bis sie Rente bekommen würde. Diese finanzielle Unabhängigkeit fehlte bei Irene und insgeheim beneidete sie ihre Freundin um diese Sicherheit.

      Sie umarmten sich, dann sah Gabriele Irene kritisch an. „Dir geht’s gar nicht gut, stimmt’s? Was ist los?“

      Irene schnaubte. „Du glaubst nicht, was mir heute Morgen passiert ist!“, und dann erzählte sie atemlos von dem Gespräch mit ihrem Chef und dem mit Britta.

      Als sie geendet hatte, lehnte Gabriele sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und wie gut kennst du deine Kollegin?“

      Irene sah sie überrascht an. „Wie man eben jemanden kennt, mit dem man fünf Tage die Woche in einem Raum zusammenarbeitet.“

      Gabriele zog die Augenbrauen hoch. „Es scheint mir, als habe diese Britta durchaus von der Absicht deines Chefs gewusst, und zwar deshalb, weil sie scharf auf deinen Job ist!“

      Irene starrte ihre Freundin ungläubig an. „Du meinst, sie wäre so fies, mir jeden Tag ins Gesicht zu lächeln, obwohl sie in Wirklichkeit nach meiner Stelle giert?“

      „Was heißt hier ‚fies‘? Die heutige Arbeitswelt ist eine Kampfarena und der Stärkere gewinnt. So einfach ist das. Und so brutal. Jeder gegen jeden; da ist kein Platz mehr für Kollegialität.“

      Irene sah entmutigt drein. „Das ist furchtbar! Früher bin ich ganz gern arbeiten gegangen, aber seit Meinert unser Geschäftsführer ist, dreht sich alles nur noch darum, den Gewinn der Firma jedes Jahr zu steigern. Wie die Angestellten sich dabei fühlen, dass sie auch noch den letzten Tropfen Energie ausgesaugt bekommen, ist denen in der Chefetage doch völlig egal! Und unser früheres gutes Arbeitsklima ist dahin.“

      „Kein Wunder, wenn euer Chef damit droht, Leute zu entlassen. In solch einer Situation ist sich jeder selbst der Nächste.“ Gabriele trank von ihrem Grünen Tee. „Ich habe großes Glück, dass es bei uns nicht ganz so schlimm ist. Im öffentlichen Dienst gehen zwar auch mehr Leute als früher, die meisten allerdings in Altersteilzeit. Und Fachfremde haben’s mittlerweile in unserer Bank auch schwer; die werden gerne rausgemobbt. Aber ich müsste mir schon einen groben Schnitzer erlauben, um entlassen zu werden.“

      *

      Die bedrohliche Situation an Irenes Arbeitsplatz war auch am Samstagnachmittag Hauptgesprächsthema, als sie sich mit ihren drei Bekannten traf. Einmal im Monat kamen sie abwechselnd bei einer von ihnen zu einem Kaffeekränzchen zusammen. Zunächst wollte Irene zu sich einladen, um ihren Geburtstag nachzufeiern, aber Carola, die als Gastgeberin an der Reihe war, hatte sie dazu überredet, wie geplant zu ihr zu kommen. „Dann hast du keine Arbeit mit Kuchenbacken und Tisch richten. Sieh es als Zusatzgeburtstagsgeschenk an.“ Und Irene hatte angenommen, weil sie wusste, dass auch Carola keine Arbeit haben würde. Ihre Haushälterin erledigte das alles für sie.

      Sie hatte zunächst damit gerechnet, dass ihre Tochter und ihr Schwiegersohn samstags zu ihr kommen würden. Doch die beiden verbrachten ihre Herbstferien mit Freunden in Griechenland. Irene war sich nicht sicher, ob sie enttäuscht war, dass ihre Tochter einfach so wegfuhr über ihren Halbrunden – schließlich sahen sie sich sowieso nicht sehr oft – oder ob sie erleichtert war, sich nicht krampfhaft in netter Konversation mit den beiden üben zu müssen. Sie hatten kein enges Verhältnis zueinander, was Irene bedauerte, aber sie wusste auch nicht so recht, wie sie das hätte ändern können.

      So ging sie also an diesem Samstag zu Carola in ihre schicke Villa. Die vier Frauen waren alle ungefähr im selben Alter und bis auf ihre heutige Gastgeberin gingen sie arbeiten. Monika, eine frühere Kollegin, die Jahre zuvor in eine andere Firma gewechselt war, und Beate, mit der sie sich bei einer Fortbildung zehn Jahre zuvor angefreundet hatte, arbeiteten nur halbtags. Sie waren verheiratet und somit finanziell abgesichert. Carola, Irenes Banknachbarin vom Gymnasium, hatte das große Los gezogen; sie genoss das Privileg, mit einem wohlhabenden Mann verheiratet zu sein. Nur Irene hatte keinen finanziellen Rückhalt, sie musste arbeiten gehen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.

      Sie sank in die weichen Polster der beigen Ledercouch, über der ein großes Bild hing. Es war mit einem roten Holzrahmen eingefasst, was eher ungewöhnlich war. Dieser Farbtupfer an der Wand war der einzige fröhliche Akzent in dem ansonsten eher dezent eingerichteten Raum. Die wenigen Möbelstücke aus hellem Holz mit beigem Überzug schienen wie zufällig in dem großen Zimmer platziert, was dem Raum eine lässige Atmosphäre gab.

      Das Bild hatte noch nicht dort gehangen, als sie sich das letzte Mal hier getroffen hatten; Irene betrachtete es genauer.

      Eine Frau in einem weich fließenden, grünen Kleid saß auf einer roten Couch, den linken Arm lässig auf ihrem Oberschenkel ruhend, den rechten Arm hinter ihrem Kopf verschränkt. Neben ihr standen auf einem Tischchen zwei Schalen mit Obst. Der Blick der Frau war entspannt, vielleicht auch nachdenklich. Oder gelangweilt? Irene war sich nicht sicher. Die Lampe darüber schien, ob bewusst gewählt oder zufällig, die Brüste der Frau hervorzuheben, die sowieso durch den weichen Stoff ihres Kleides betont wurden.

      „Unser neues, ein Matisse“, sagte Carola. „Alex hat ihn bei einer Auktion in London erstanden.“

      Irene besah sich die Frau in dem Bild noch einmal genauer; sie strahlte eine lässige Selbstsicherheit aus, die Irene auch gerne wenigstens manchmal empfunden hätte. Wenn jemand in solch einer Gemütsverfassung war, hatte er jedenfalls keine großen Sorgen, finanzielle schon gar nicht.

      Seufzend wandte sie sich den anderen zu. Beate beugte sich zu ihr und übergab ihr ein Kuvert. „Das ist von uns allen, damit du’s dir mal so richtig gutgehen lassen kannst!“

      Irene bedankte sich und öffnete den Umschlag. Sie hatten ihr einen Gutschein für einen Nachmittag in einem Wellnesshotel geschenkt. Irene wusste, dass sie ihr damit eine Freude hatten machen wollen; schließlich sollten ein paar Stunden Massage, Sauna und Dampfbad entspannend wirken. Doch bei Irene krampfte sich alles zusammen bei dem Gedanken daran, dass sie nicht die teure Kleidung besaß, die viele Frauen, die den geeigneten finanziellen Hintergrund hatten, bei solch einer Gelegenheit trugen. Und unter keinen Umständen wollte sie zusammen mit anderen Frauen nackt auf einer heißen Bank sitzen und schwitzen. Das war einfach nicht ihre Welt.

      Sie überlegte fieberhaft, wie sie diesem Dilemma entgehen könnte. Aber ihren Bekannten gegenüber wollte sie dies nicht zugeben. „Toll! Da habt ihr euch ja richtig ins Zeug gelegt. Vielen Dank!“

      „Wir können doch mal zusammen hingehen, wenn du willst“, ließ Carola verlauten. „Ich bin regelmäßig dort.“

      Spontan dachte Irene ‚Um Gottes Willen, nein‘! Laut sagte sie: „Mal sehen, ich bin im Moment ziemlich beschäftigt. Mein Chef deckt mich mit Arbeit ein, wo er nur kann.“ Um ihre recht brüske Reaktion abzumildern, lächelte sie zaghaft, dann konzentrierte sie sich auf die Kaffeetafel.

      Sie war üppig gedeckt. Nebst edlem weißem Porzellan mit Goldrand und beigen Kerzen standen drei Kuchenplatten mit Torten aus einer Konditorei. Carola hatte sie wahrscheinlich nicht einmal selbst gekauft; so etwas Profanes erledigte ihre Haushälterin. Irene besah sich ihre Bekannten und dachte, dass die drei ihre Panik vor einem Jobverlust nicht wirklich nachvollziehen konnten.

      „Nimm das Ganze doch nicht so ernst!“, säuselte Carola denn auch prompt. „Falls er dich wirklich rausekelt, hast du schließlich noch Hannes‘ Pension.“ Sie sah in die Runde. „Wer möchte