Parallels. Sven Hauth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sven Hauth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750237810
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aber nicht sehr lange. Mindestlohn hin oder her, so wie Pat die Arbeit beschrieben hatte, schien sie wie geschaffen für mich, und das war es, was zählte. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass ich mit Pat gut klarkommen würde. Als sie nach fünf Minuten wiederkam, teilte ich ihr meine Entscheidung mit.

      „Sehr gut. Dann sehe ich dich morgen, 9 Uhr.“

      „Brauchen Sie nichts Schriftliches?“

      Sie lachte auf. „Scheiße, nein. Schriftliches habe ich schon viel zu viel.“

      Ein formloser Händedruck besiegelte meinen neuen Lebensabschnitt. Mrs. Norris, die lieber Pat genannt werden wollte, verschwand wieder hinter ihrem Monitor.

      – 5 –

      Über eine Stunde und viele Meilen hatte sich das Radio an den Heimatsender geklammert. Jetzt musste es sich der wachsenden Distanz geschlagen geben. Fremde Töne schlichen sich in die Lieder, durchlöcherten die Musik mit Knacken und Knistern, bis nichts übrig blieb außer einem weißen Rauschen. Ein eindeutiges Zeichen, dass Shane sich bereits weit von zu Hause entfernt hatte. Zu weit zum Umkehren.

      Er drehte den dicken Chromknopf der Sendersuche. Das Rauschen wich einer rauchige Männerstimme, die einer gewissen Sandy von Feuerwerk und Jahrmarkt vorsang.

      Ein bernsteinfarbenes Licht im Armaturenbrett leuchtete auf, erinnerte daran, dass das Benzin zur Neige ging und lenkte gleichzeitig Shanes Aufmerksamkeit von dem vorbeirauschenden bunten Straßenschild ab. „Willkommen in...,“ konnte er gerade noch aus dem Augenwinkel erkennen. Genug, um sein mulmiges Gefühl zu bestätigen, dass er irgendwo auf den letzten Meilen die richtige Abfahrt verpasst haben musste. Dies war nicht der Weg in den Westen.

      Inzwischen unterschied sich die Farbe des Himmels nur noch wenig vom Grau des Asphalts, und im Gegenverkehr fanden sich mehr und mehr Fahrzeuge mit eingeschalteten Scheinwerfern. Er sah auf die kleine Uhr neben der Geschwindigkeitsanzeige. Es war nicht nur höchste Zeit, das Oldsmobile zu füttern, sondern auch, einen Schlafplatz für die erste Nacht zu suchen. Morgen, im Tageslicht, würde es viel einfacher sein, den Highway Richtung Westen zu finden.

      Er bog in die nächste Tankstelle ein und hielt unter einem Schild, das Full Service versicherte. Prompt erschien am Seitenfenster ein tabakkauendes Gesicht und blickte ihn fragend an.

      „Voll bitte“, sagte Shane.

      „Yessir“. Der Tankwart schlug bestätigend mit der flachen Hand aufs Wagendach und verschwand.

      Gleich darauf war das Gesicht wieder da. „Auch mal nach Öl sehen?“

      „Okay“, antwortete Shane und entriegelte die Motorhaube. Es konnte nicht schaden.

      Die Haube wurde hochgeklappt und eine weiße Blechwand versperrte Shane die Sicht. Durch einen schmalen Spalt konnte er flinke Finger erkennen, die geschickt am Motor hantierten. Hinter ihm blubberte das Benzin in den Tank und verbreitete einen scharfen Geruch. Shane hörte den Tankwart mit einem anderen Mann reden, den er nicht sehen konnte. Gab es ein Problem? Dann erklang Gelächter. Anscheinend hatten sie sich nur einen dreckigen Witz erzählt.

      Der Tankwart klappte die Haube wieder zu und spuckte genüsslich eine braune Mischung aus Tabak und Speichel aus.

      „Alles in Ordnung. Das macht 18 $.“

      Shane zog einen Zwanziger aus seiner Tasche.

      „Gibt es hier irgendwo eine Möglichkeit zu übernachten?“, fragte er.

      „Einfach weiterfahren. Da hinten gibt es jede Menge Motels.“

      Shane bedankte sich und lenkte das vollbetankte Oldsmobile zurück auf die Hauptstraße. Kurze Zeit später fand er sich tatsächlich inmitten einer Allee von Leuchtreklamen wieder. Er bog auf den Parkplatz des erstbesten Motels und hielt neben der Rezeption unter einem summenden Neonschild, auf dem in geschwungenen Buchstaben „The DooWop Motel“ stand. Etwas tiefer versprach das leuchtende Wort „Vacancy“ freie Zimmer.

      Die Rezeption – wenn dieser leere Raum, dessen einziger Schmuck ein verfärbtes Poster des Tadsch–Mahal und ein ornamentreicher Vorhang waren, diese Bezeichnung verdiente – war nicht besetzt. Auf dem Tresen gab es weder eine Klingel noch sonst etwas, um Aufmerksamkeit zu erregen.

      „Hallo?“, rief Shane in die Leere und hätte sich nicht gewundert, das mehrfache Echo seiner Stimme zu hören.

      Von irgendwo erklang das Scharren eines zurückgeschobenen Stuhls. Hinter dem Vorhang erschien ein dunkelhäutiger Mann mit einem Turban, mürrisch dreinblickend, als sei er gerade bei etwas Wichtigem gestört worden. Zwischen dem respekteinflößend dichten Bart und dicht gewachsenen Brauen glühte ein schwarzes Augenpaar. Da der Mann keine Anstalten machte, etwas zu sagen, fragte Shane nach einem Zimmer.

      Der Inder (bestärkt durch Poster und Turban hatte Shane beschlossen, dass der Mann indischer Abstammung war) – nuschelte etwas, das zu gleichen Teilen in Bartgestrüpp, leiser Stimme und starkem Akzent verloren ging. Shane blieb nichts anderes übrig, als zu raten. Die fragende Stimmlage als einzigen Hinweis, tippte er, dass sein Gegenüber die Anzahl der geplanten Nächte wissen wollte.

      „Nur eine“, wagte Shane eine Antwort und legte einige Dollarscheine auf den Tresen. Anscheinend hatte er den Wortwust richtig interpretiert, denn als Antwort verschwand das Geld und er bekam er einen Zimmerschlüssel und eine Quittung in die Hand gedrückt.

      Froh, aus dem stickigen Büro wieder heraus zu sein, entriegelte Shane die Heckklappe des Oldsmobiles. Sie schwang mit einer würdevollen Langsamkeit nach oben, als würde der Kofferraum einen wertvolleren Schatz enthalten als den abgewetzten Lederkoffer, den Shane vor seiner Abreise mit einer spontanen Selektion seiner Habseligkeiten gefüllt hatte. Er fischte Zahnbürste und Zahnpasta aus dem Durcheinander. Viel mehr würde er in der ersten Nacht nicht benötigen.

      Das Zimmer mit der Nummer Acht befand sich in der zweiten Etage. Ähnlich spartanisch eingerichtet wie die Anmeldung, hatte man dem düsteren Raum lediglich ein schmales Bett und einen veralteten Fernseher gegönnt. Es musste genügen.

      Der Anblick der Matratze erinnerte Shane daran, wie müde er war. Er beschloss, das Zähneputzen zu vertagen, und versank für die nächsten acht Stunden in traumloser Leichtigkeit.

      Der Morgen, an dem das Oldsmobile Shane im Stich ließ, begann unspektakulär mit ein paar staubigen Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch die fleckigen Fenster des DooWop direkt in Shanes Gesicht bahnten. In der „Anmeldung“ genehmigte er sich das im Zimmerpreis enthaltene Frühstück. Neben einem Getränk, das Kaffee sein sollte, aber wie Tee aussah, bestand es hauptsächlich aus einigen Scheiben blassem Toast, denen auch das Aufstreichen diverser Marmeladen keinen Geschmack mehr abringen konnte. Halbwegs ausgeruht und froh, die erste Nacht ereignislos überstanden zu haben, checkte Shane aus.

      Keine fünf Minuten vom Motel entfernt, fing der Wagen an, ungewohnte Geräusche von sich zu geben. Ein ungesundes metallisches Husten erklang aus dem Motorraum, als wäre das Auto kurz davor, sich zu übergeben. Ein rotes Warnlicht ging an. Die Motortemperatur stieg so schnell wie die Geschwindigkeit sank. Obwohl Shane das Gaspedal bereits bis zum Bodenblech durchtrat, fuhr er keine 30 mph. Die ersten Fahrer hinter ihm fingen an zu hupen, doch Shane hatte nur Ohren für die Geräusche seines Motors, die gerade in eine höhere Tonlage abglitten. Der Wagen bäumte sich noch einmal auf, als wollte er das drohende Ende nicht akzeptieren. Ein letztes Keuchen, und der Motor war aus. Mit letzter Kraft rollte das Oldsmobile auf den Standstreifen. Weißer Qualm drang aus den Spalten der Motorhaube und vernebelte die Sicht.

      Hatte Carpenter ihn betrogen? War das Oldsmobile tatsächlich in so einem schlechten Zustand gewesen, dass es schon jetzt den Geist aufgab? Noch während Shane überlegte, wie es nun weitergehen sollte, tauchten hinter ihm gelbe Warnlichter auf. Im Rückspiegel sah er den massigen Kühlergrill eines LKWs, der das gesamte Heckfenster ausfüllte. Ein Mann stieg aus und stützte seine oberschenkeldicken Arme auf Shanes Tür. Zwischen der umfangreichen Sammlung an Tätowierungen, die sich unter der starken Unterarmbehaarung verbargen, stach besonders das Bild eines gekreuzigten Jesus hervor.