Parallels. Sven Hauth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sven Hauth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750237810
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sein als in einem King–Size–Hotelbett. Shane startete. Acht Zylinder wurden lebendig, was man lediglich an einem subtilen Vibrieren der Karosserie spüren konnte. Selbst das Ticken der Uhr im Armaturenbrett war lauter als der leerlaufende Motor. Vorsichtig zog Shane am Lenkradhebel der Automatik–Schaltung, bis der rote Zeiger auf den Buchstaben „D“ rutschte. „Ka–lunk“ sagte das Getriebe, und der Wagen schüttelte sich kurz. Dann setzte er sich schwerfällig in Bewegung. Dabei hatte Shane das ungute Gefühl, dass der Wagen eher ihn kontrollierte als umgekehrt. Wie der Kapitän eines Supertankers kurbelte er an dem monströsen Lenkrad. Folgsam schwenkte der Cadillac seine lange Nase in einem ausladenden Winkel in Richtung Straße. Die Hälfte des Eldorados hatte bereits den Hof verlassen, als Shane hinter sich ein metallisches Knirschen hörte. Erschrocken trat er auf die Bremse und blickte in den Außenspiegel, in dem ein durch den Lärm aufgeschreckter Hank herbeigeeilt kam. Der Wagen musste an irgendetwas hängen geblieben sein. Shane stieg aus und betrachtete das Unglück. Die Ecke der hinteren Stoßstange hatte sich am Pfosten des Eingangstores verfangen, war halb aus ihrer Halterung gerissen worden und stand jetzt in einem 45°–Winkel ab wie ein geknicktes Streichholz. Wenigstens schien der stabile Zaun die Aktion unbeschadet überstanden zu haben. Das Grinsen war aus Hanks Gesicht verschwunden und einem erschrockenen O gewichen.

      „Hey, Mann, was machst du denn?“ Er kniete sich vor dem Heck nieder und versuchte eine Weile erfolglos, die Stoßstange wieder in ihre alte Form zu drücken.

      „Tut mir leid. Bin wohl nicht an so große Autos gewöhnt.“ Beides entsprach der Wahrheit.

      Hank gab seine Reparaturversuche auf und blickte traurig auf das Hinterteil seines verunstalteten Wagens. Ratlos kratzte er sich am Hinterkopf.

      „Eigentlich müsstest du den jetzt kaufen.“

      Etwas in der Richtung hatte Shane befürchtet.

      „Aber ich sag dir was. Honest Hank ist kein Unmensch. Ich mach da morgen ’ne neue Stoßstange dran, dann kommst du noch einmal wieder und wir machen gemeinsam eine Probefahrt.“

      Shane akzeptierte das Angebot und radelte erleichtert vom Hof. Zwanzig Minuten später erreichte er sein letztes Ziel und bog in die Einfahrt eines schmucken Einfamilienhauses.

      Ein buntes Blütenmeer trennte den kurzen Weg zur Haustür vom frisch gemähten Rasen, auf dem sich ein ganzes Arsenal kitschiger Vorgartenobjekte ausgebreitet hatte. Noch bevor Shane die Klingel erreicht hatte, sprang die Haustür auf. Ein grauhaariger Mann, Typ zerstreuter Professor, eilte hinaus, als hätte er hinter dem Fenster gewartet. Er musste bereits an die 70 Jahre alt sein, bewegte sich aber mit einer für sein vermutetes Alter erstaunlichen Agilität. Während sein hellwacher Blick keine Sekunde von Shane wich, schnappte er sich ohne zu zögern dessen Hand und schüttelte sie begeistert. „Matthew Carpenter ist der Name. Herzlich Willkommen.“

      Alte Schule, kam es Shane in den Sinn. Fehlte nur noch, dass er einen Diener machte.

      „Du bist hier, um das Oldsmobile zu kaufen.“ Mehr Feststellung als Frage.

      Auf eine gewisse Art wurde der Kauz Shane sympathisch.

      „Weißt Du“, holte Carpenter aus, „dieses Auto hat noch nie einen anderen Besitzer gehabt. Der Wagen hat mir immer treue Dienste geleistet. Die Winter verbringe ich mit meiner Frau im Süden, und mit dem Oldsmobile sind wir jeden November dorthin gefahren – und im April wieder zurück. Aber jetzt werden wir alt und die Fahrt zu anstrengend. Wir werden uns wohl dauerhaft in der Sonne einrichten. Es wird Zeit, dass das Olds in gute Hände kommt. Tja, hier steht das gute Stück.“ Mit einer theatralischen Geste öffnete er das Garagentor. Eine gleißende Helligkeit blendete Shane. Vor ihm stand ein strahlendweiß lackierter Wagen, rein wie eine unbefleckte Leinwand, ein gewecktes Schneewittchen. Die Farbe schien von einer selbstleuchtenden Intensität, welche die Konturen des Blechs zu einer einzigen hellen Fläche verschwimmen ließ. Es war, als hätte Shane Jahre in der Dunkelheit verbracht und schaute nun auf eine sonnige Schneefläche. Dann gewöhnten sich seine Augen an den neuen Reiz und vor ihm stand ein gewöhnliches weißes Auto.

      Carpenter klopfte mit der flachen Hand viermal auf das Dach. „Oldsmobile. Delta. 88. Royale.“ Jedes Wort ein Befehl, ein Staccato des Besitzerstolzes. „Sieht aus wie gerade vom Fließband gelaufen, nicht wahr? Dabei ist das schon 15 Jahre her.“

      Shane ging langsam um das Oldsmobile herum. In der Tat machte der Wagen einen neuwertigen Eindruck. Nicht die kleinste Spur von Rost. Neue Reifen. Eine spiegelartige Lackierung. Anscheinend hatte er die letzten Jahre liebevolle Pflege genossen.

      „Einen minimalen Schönheitsfehler hat er allerdings“, sagte der Mann, als Shane gerade an der Motorhaube angekommen war. „Die Kühlerfigur ist nicht komplett“.

      Auf dem breiten Chromrand des Kühlers thronte das glänzende Oldsmobile Logo. Shane verglich es mit dem Emblem auf den Radkappen. Carpenter hatte recht. Es fehlte der rechteckige Rahmen. Übrig geblieben war eine Art Pfeil mit Flügeln, der senkrecht nach oben zeigte wie ein vertikales Flugzeug.

      „Das ist schon okay“, sagte Shane. Nichts interessierte ihn an diesem Auto gerade weniger als der Zustand der Kühlerfigur.

      Carpenter hob einen warnenden Finger. „Pass nur auf, dass sich niemand daran verletzt.“

      Meinte der Alte das ernst? Shane rang sich ein zustimmendes Lächeln ab, nur für den Fall.

      „Steig ein“, drängte Carpenter und öffnete die Fahrertür. Shane sank tief in das weiche Velourspolster. Eigentlich handelte es sich nicht um einen Sitz, sondern um eine durchgehende Bank, auf der bequem drei Personen Platz finden würden. Sitze, Teppich, Dachhimmel – der komplette Innenraum präsentierte sich in königsblauem Velours. Auch die mit Kunstleder überzogene Armaturentafel trug denselben Blauton, hier und da abgesetzt durch spiegelnde Chromzierleisten und polierte Flächen aus dunkelbraunem Holzimitat. Ein altmodisches Radio dominierte die Mitte des Armaturenbretts. Seine beiden überdimensionalen Drehknöpfe funkelten, als seien sie noch nie benutzt worden. Alles wirkte wie neu.

      Behände glitt der Alte neben Shane auf die Beifahrerseite und steckte gleichzeitig einen Schlüssel ins Zündschloss.

      „Auf geht’s. Fahren wir ein Stück.“ Er klatschte auffordernd in die Hände.

      Shane drehte den Zündschlüssel ein Stück im Uhrzeigersinn. Das Armaturenbrett erwachte zum Leben. Kleine Lichter flammten auf, und ein leiser Gongton mahnte höflich zum Anlegen des Sicherheitsgurts. Den Schlüssel noch eine Stufe weiter gedreht, und aus dem Motorraum erklang ein tiefes Blubbern.

      Fast lautlos rastete der Rückwärtsgang ein. Shane nahm den Fuß von der Bremse und das Oldsmobile setzte sich sanft in Bewegung. Den Vorfall bei Honest Hank noch frisch in Erinnerung, dirigierte er das breite Fahrzeug äußerst sorgsam aus der Garage.

      Unter Mr. Carpenters Führung erkundeten sie die schmalen Vorortstraßen. Das Oldsmobile war nicht ganz so ausladend wie der Cadillac, besaß aber immer noch respektable Maße. Trotzdem ließ es sich buchstäblich mit dem kleinen Finger lenken. Die weiche Federung vermittelte das Gefühl, in einem Boot zu sitzen. Jede Unebenheit der Straße wurde mit einem verzögert gedämpften Schwanken beantwortet. Shane kniff ein Auge zu und peilte über die Spitze der verstümmelten Kühlerfigur den Straßenrand an. Während er sich unbewusst in den Wagen verliebte, redete sein Besitzer unablässig auf ihn ein.

      „..., es war eine schöne Zeit. Aber nun bin ich schon einige Zeit pensioniert. In meinem Alter hat man das meiste schon hinter sich, du verstehst. Die Kinder sind längst aus dem abbezahlten Haus. Keine Verpflichtungen mehr. Da kann man sich ganz auf die schönen Seiten des Lebens konzentrieren. Bisher hatten wir unser Gärtchen und bald haben wir den Süden. Was brauchen wir noch zum Glücklichsein?“

      Shane nickte abwesend. Er hatte nur halb hingehört, zu gefesselt von dem Fahrerlebnis.

      Carpenter zeigte auf ein grünes Straßenschild. „Bieg dort auf den Expressway. Und gib mal ordentlich Gas, sonst merkst du ja nie, wie der Wagen wirklich fährt.“

      Shane folgte dem Befehl, beschleunigte, und das Oldsmobile schoss mit 60 Meilen pro Stunde über den Asphalt.