Für einen Moment konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich mich um den verschütteten Kaffee – der inzwischen kurz davor war, auf den Teppich zu tropfen – kümmern oder Pat folgen sollte. Meine Neugier siegte, bestärkt durch die Tatsache, dass es nichts zum Aufwischen in der Nähe gab.
Der Kopierraum war Enge und Tonergeruch, Maschinengeräusche und ein müder Linoleumboden. Grifflose Panoramafenster an der Rückwand, ähnlich denen in Pats Büro, nur schmutziger, streckten sich vom Boden bis zur Decke und schickten Tageslicht in den Wettkampf mit der optischen Kälte der Neonröhren. Ein Raum, der hunderte, tausende Besucher gesehen haben musste. Einer von vielen ähnlichen im College. Meine neue Heimat.
Vor dem größeren der beiden Kopierer stand eine Frau. Ich tippte auf eine der Collegeprofessorinnen. Sie trug einen altmodisch klein gemusterten Rock, der ihr bis zu den Knöcheln reichte. Das ergrauende Haar hatte sie streng nach hinten gekämmt und zu einem kompliziert aussehenden Dutt gebunden. Eine Person aus der Vergangenheit, die gezwungen war, sich mit moderner Technik abzugeben.
Energisch schlug sie mit der Handfläche auf die Oberseite der Maschine ein, als handelte es sich um ein störrisches Maultier, das sie einen Berg hochtreiben wollte. Anscheinend war ein guter Teil des Papiers, das sie in den Blatteinzug des Kopierers hineingestopft hatte, entgegen ihrer Erwartung nicht wieder am anderen Ende aufgetaucht, sondern irgendwo in den Untiefen des Geräts verschwunden.
Unbemerkt hatte sich Pat mit in die Hüfte gestemmten Armen hinter der Frau aufgebaut und wurde Zeugin, wie diese ihre Strategie dahingehend verlagerte, in einem sinnlosen Anfall von Ratlosigkeit alle Knöpfe, die auf dem Bedienfeld vorhanden waren, gleichzeitig zu drücken. Der Kopierer reagierte auf diese Form blinden Aktionismus mit der stoischen Gelassenheit, die nur einer Maschine eigen ist. Ganz im Gegensatz zu Pat, deren pochende Halsschlagader erkennen ließ, dass sich in ihr gerade ein gefährliches Wutpotenzial aufstaute.
„Wissen Sie...“, hob sie mit lauter Stimme an.
Die Frau, die Pat kaum bis zur Schulter reichte, fuhr herum. Ein Gesicht mit versteinerten Zügen, auf dem es keinen Platz gab für Freundlichkeit.
„Bei diesen Maschinen handelt es sich um relativ teures Schuleigentum. Wenn Sie auf etwas einschlagen möchten, gehen Sie doch nach Hause zu Ihren Enkeln.“
Pat öffnete eine Tür an der Vorderseite des Kopierers, zog die vermissten Blätter hervor und drückte sie der verblüfften Professorin in die Hand.
„Hier trage ich die Verantwortung, und hier benimmt man sich nicht wie ein Neandertaler. In Zukunft benutzen Sie bitte den Kopierraum in Gebäude Acht.“
Ein leichtes Beben lief durch den Körper der Frau, Folge unterdrückter Wut und Empörung über die ungewohnte Behandlung. Ihr Kopf nahm einen bedenklichen Rotton an, die ohnehin schmalen Lippen wurden zu einem dünnen Bleistiftstrich. Sichtlich rang sie um Fassung und Worte. Als sie keine fand, stürmte sie mit einem Bündel zerknitterter Kopien unter dem Arm davon.
Pat zwinkerte mir fröhlich zu.
„Man sollte meinen, dass diese Leute einen gewissen Grad an Intelligenz besitzen. Ich meine, immerhin haben sie studiert und unterrichten andere. Aber du wirst dich wundern, wie sich das Verhalten mancher Menschen verändert, sobald sie sich unbeobachtet fühlen. Natürlich sind nicht alle so. Aber erstaunlich viele. Die Bedienung eines Kopierers scheint das Schlechteste in ihnen hervorzurufen.“
Sie tippte mir mit einem Finger hart auf die Brust.
„Genau deshalb brauche ich dich“.
In der folgenden halben Stunde gab mir Pat eine gründliche Einweisung in alles, was man als zukünftiger Bewacher des Kopierraums wissen musste.
Es gab zwei Kopierer, welche von Pat und den Nutzern, die den Kopierraum regelmäßig frequentierten, informell nach ihren Herstellern nur als „der Kodak“ und „der Xerox“ betitelt wurden.
Bei dem Kodak, den die unbekannte Professorin gerade noch misshandelt hatte, handelte es sich um einen sogenannten Industriekopierer. Mit seinen über zwei Metern Länge nahm er die gesamte rechte Wand des Raumes ein. Er war ungleich beliebter als sein kleinerer Bruder und wurde dementsprechend stärker beansprucht, denn mit ihm ließen sich zentimeterdicke Seitenstapel in wenigen Sekunden duplizieren und bei Bedarf zusätzlich sortieren und heften. Gesteuert wurde er über eine kompliziert wirkende Schalttafel. Diese enthielt neben einer Reihe bunter Knöpfe auch einen kleinen Monitor, über den der Kopierer mit seinem jeweiligen Benutzer kommunizierte und ihm gelegentlich Halbsätze wie „Kein Papier mehr“ einblendete.
Dagegen war der Xerox ein typischer Kleinkopierer, wie sie in vielen Bibliotheken und Büros standen. Er war nicht besonders schnell und akzeptierte immer nur ein einzelnes Blatt zur Zeit, machte dafür aber auch nur halb so viel Lärm und stellte keine großen Ansprüche, was seine Pflege betraf. Pat öffnete das einzige Möbelstück im Raum, einen Metallschrank neben dem Xerox.
„Ein Kopierer lebt von zwei Dingen: Toner und Papier. Ersteres findest du hier.“ Ich sah in den Schrank. Auf den Regalen stand ein ordentlich aufgereihtes Heer halbtransparenter Plastikkartuschen, gefüllt mit einem schwarzen Pulver. Leuchtende Aufkleber warnten vor dem Einatmen und sonstigen Formen der Einnahme.
„Pass auf, dass die Leute da nicht selbst beigehen und hier alles vollsauen. Die müssen lernen, dir Bescheid zu sagen. Was Papier angeht...“
Sie machte eine ausschweifende Armbewegung über eine niedrige Mauer aus Pappkartons, die vor den Fenstern aufgestapelt waren. Jeder von ihnen war bedruckt mit dem roten Xerox–Logo und gefüllt mit 12 Quadern DIN A4–genormtem Kopierpapier.
„Wenn es zur Neige geht, gib rechtzeitig Laut, sodass ich nachbestellen kann. Und es geht erstaunlich schnell zur Neige. Leere Kartons kommen sofort in die die Tonne. Der Raum ist schon voll genug.“
Dann führte Pat mich in die Geheimnisse der beiden Kopierer ein. Ich lernte, wie man Toner und Papier nachfüllt. Die Bedeutung der verschiedenen Fehlermeldungen. Und wie verloren geglaubte Kopien doch noch aus dem tiefsten Inneren der Maschine gerettet werden konnten.
„Halb so schlimm, oder? Der zweite Teil des Jobs ist allerdings etwas unangenehmer. Weil er mit Menschen zu tun hat.“
Sie zog ein gefaltetes Blatt Papier aus der Tasche ihrer Jeans. Es war eng bedruckt mit Namen und Zahlencodes.
„Es gibt nur zwei Gruppen, welche die Kopierer benutzen dürfen. Entweder sind es Professoren, die ihre Schreibarbeiten oder was auch immer eigenhändig vervielfältigen. Oder studentische Aushilfen, die manchmal die Büroarbeiten für ganze Abteilungen erledigen. Billige Arbeitskräfte, so wie du.
Jeder, der Kopien machen will, muss seinen fünfstelligen Code eingeben. Falls er ihn vergisst, findest du ihn auf der Liste. Falls er nicht auf der Liste steht – Pech gehabt. Kein Code, keine Kopien. Hier soll nicht jeder x–beliebige Spinner reinlaufen und seine Fanzines oder religiösen Pamphlete herstellen.“
Pat machte eine Kopie der Liste und gab sie mir.
„Das war’s.“
„Und wenn es nichts zu tun gibt?“
Pat zuckte mit den Schultern.
„Dann tue nichts. Trink Kaffee. Leiste mir im Büro Gesellschaft. Hab dir gesagt, dass es kein aufregender Job ist. Mach dich erstmal mit allem vertraut. Wenn was ist, weißt du ja, wo du mich findest.“
Das Collegegebäude war konstruiert wie die moderne Variante einer mittelalterlichen Burg. Ein flacher, in die Breite gezogener Bau, an den Seiten von zwei fünfstöckigen Türmen flankiert. Die Türme besaßen einen quadratischen Grundriss, dessen Kern auf jeder Etage ein Hörsaal