1.4 Gott als Vater der Schöpfung: Die kreatorisch-kosmologische Referenz der Vater-Metapher
Blickt man auf die biblischen, also auf die jüdischen, jesuanischen und frühchristlichen Referenzen der Vater-Metapher, entdeckt man einige wenige Fälle, wie etwa 1 Kor 8,6, in denen die kreatorisch-kosmologische Referenz der Vater-Metapher im Fokus ist.[28] So ist etwa für Philon Gott Vater im Sinne des Schöpfertums. Dabei rezipiert Philon die Vorstellung einer kosmologischen Vaterschaft Gottes aus der platonischen und stoischen Philosophie und verschmilzt sie mit der im zeitgenössischen Judentum dominierenden Vorstellung des sein Bundesvolk schützenden und umsorgenden Vaters. Während das Vater-Sein Gottes im herkömmlichen Sinn auf Israel als auserwähltes Volk konzentriert ist, gewinnt die Vater-Metapher durch die Integration der kosmologischen Perspektive einen universalen Aspekt hinzu: Als Schöpfer ist Gott zugleich Vater der gesamten Schöpfung, die ihn daher auch – unabhängig von ihrer religiösen Provenienz – als alleinigen Gott anerkennen kann. Diese Entwicklung gewinnt ihr Aussagepotential auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Deifizierung der römischen Kaiser, deren Anspruch es war, Vater des Vaterlandes respektive des römischen Weltreiches zu sein.[29]
Innerhalb der kanonischen frühchristlichen Schriften verwendet besonders der Epheserbrief die Vater-Metapher für Gott in kreatorisch-kosmologischer Perspektive.[30] Wie Eph 4,6 deutlich macht, |100|ist Gott nicht mehr nur »unser Vater« (1,2), sondern πατὴρ πάντων, ὁ ἐπὶ πάντων καὶ διὰ πάντων καὶ ἐν πᾶσιν. Das Genetivattribut πάντων ist einerseits abstrakt zu fassen »von allem«, andererseits – gerade mit Kenntnis der ursprünglichen Formulierung des Textes in 1 Kor 8,6 – personal »von allen«. Aus der in Anlehnung an stoische Formulierungen[31] gewonnenen Beschreibung des einen Gottes und Vaters, »der über allem und durch alles und in allem ist«, wird nun extrahiert, dass Gott der Vater »von allen/m« ist. Der Schöpfergott wird hier zum kosmischen All-Vater. Die im Epheserbrief als »ein Leib« gedachte Kirche, deren Haupt Christus ist, setzt sich zusammen aus »allen«, deren Vater der Schöpfergott ist, der zugleich »über allem, durch alles und in allem ist«. Der Epheserbrief greift hier auf der Grundlage der Harmonisierung von Schöpfertum und kosmologischer Vaterschaft Gottes Formulierungen auf, die pantheistische Gedanken implizieren.
Nach dem Vater (πατήρ) benennt sich nun nach Eph 3,14f. jede πατριά im Himmel und auf Erden. Die Paronomasie von πατήρ und πατριά ist sicherlich nicht zufällig: Der Verfasser des Briefes hebt damit auf die Verbindung des Vaters und des sich vom Vater ableitenden Volksstammes (»Vaterstammes«) ab. Gott ist der Namensgeber für die einzelnen Völkergruppen des Himmels und der Erde. Zugleich wird damit die in einzelnen πατριαί vorgestellte Welt unter der Familienperspektive gesehen, wobei ebenfalls der Gedanke der kosmologischen Vaterschaft eine Rolle spielt. Der Verfasser des Epheserbriefs führt hier implizit die etymologische Begründung der kosmologischen Vaterschaft vor: Weil sich jede πατριά nach dem πατήρ benennt, muss sie folgerichtig auch von diesem abstammen.[32] Der Vater ist der alles durchwaltende Schöpfergott, die von ihm geschaffene Welt strukturiert sich in einzelne πατριαί. Alle Glaubenden, egal welcher Provenienz, haben nun Zugang zum Vater. Nirgendwo wird der Gedanke der universalen Vaterschaft so deutlich wie im Epheserbrief, der durch die Verbindung von jüdischem Schöpfergedanken und der ursprünglich griechischen Vorstellung der kosmologischen Vaterschaft Gottes formuliert wird.[33]
|101|2. Konnotationen der Vater-Bezeichnung in den kanonischen Schriften des frühen Christentums
Vor dem Hintergrund der dreifachen Referenzialität der Bezeichnung Gottes als Vater im frühen Christentum ist die Frage nach den Konnotationen dieser Vater-Bezeichnung zu stellen.
Mit Joh 3,16 (»Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab«) ist die Liebe (ἀγάπη) Gottes als grundlegendes Kennzeichen, das aufs Engste mit der Vater-Bezeichnung harmoniert, im Blick. Gott liebt die Welt (Joh 3,16), Gott liebt den Sohn (Joh 3,35; 10,17; 15,9), Gott liebt die, die Jesus lieben (Joh 14,21.23; 16,27). Nach 2 Thess 2,16 ist Gott der Vater, »der uns liebt und ewigen Trost gibt«. Jedoch lassen sich auch noch weitere Konnotationen der Vater-Bezeichnung erheben.
Die Pragmatik der Rede von Gott als Vater im frühen Christentum kann nur dann wirklich erschlossen werden, wenn man den Blick darauf lenkt, »was von der antiken Vatervorstellung jeweils konkret auf Gott übertragen wird«.[34] »Vater« ist zunächst ein Relationsbegriff. Die Vater-Bezeichnung qualifiziert das Verhältnis des Menschen, und auch das der Schöpfung, zu Gott als ein exklusives, da jeder Mensch nur einen Vater hat, – auch wenn sich durch die metaphorische Verwendung nun ein breiteres Spektrum an möglichen »Vätern« ergibt; andererseits ist das Verhältnis Gottes zu den Menschen ein inklusives, insofern ein Vater mehrere Kinder haben kann: Der göttliche Vater kann göttliche und menschliche Kinder haben, ja er kann »Vater« auch anderer Lebewesen und der ganzen Schöpfung sein. Besonders relevant für das frühe Christentum ist jedoch die Vaterschaft Gottes Jesus und den Glaubenden gegenüber. Mit der Vater-Bezeichnung wird zugleich auf einen besonderen Status der dem Vater zuzuordnenden Kinder abgehoben, der in der Antike auch über Adoption erreicht werden konnte. Durch Texte wie Gal 4,6 (»Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, der ruft: ›Abba, Vater‹.«) wird deutlich, wie wichtig im frühen Christentum der nun besonders betonte Status der Kindschaft für die Glaubenden wurde. Die Vater-Bezeichnung lässt dieses Bewusstsein der Glaubenden, Kinder Gottes zu sein, immer mitanklingen. Sie sollen versuchen, ihren Vater nachzuahmen (Mk 11,25; |102|Lk 6,36) und sie schulden ihm Gehorsam. Zugleich ist aus Gal 4,6 deutlich, dass der Zugang zur Gotteskindschaft nur über Christus und den Glauben an dessen eigene Gottessohnschaft erfolgen kann, der im Johannes-Evangelium im Glauben an die »Einheit« von Vater und göttlichem Sohn gesteigert hervortritt.[35] Doch was evoziert die Verwendung der Vater-Bezeichnung neben der Hervorhebung dieser Relation und des damit verbundenen Status der Glaubenden?
Die Jesusüberlieferung steht, wie gesagt, zunächst in der Tradition der frühjüdischen Verwendung der Vater-Metapher für Gott, in den Gebeten Jesu geht es um die Erwartung der Erhörung des Gebets durch den Vater, speziell um Schutz bzw. Rettung aus der Not (Mk 14,36). Die Kommunikation mit dem Vater ist jedem möglich, der Gott als Vater betrachtet; der Vater ist erreichbar, auch wenn er – wie bei Matthäus explizit – im Himmel lokalisiert ist (ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς/οὐράνιος, vgl. etwa Mt 5,16; 6,9.14). Und der Vater hat Interesse an der Errettung seiner Kinder. Er kann sie präsentisch, aber auch zukünftig vor Bösem bewahren (Mt 6,13). Er ist barmherzig (Lk 6,36; vgl. auch 2 Kor 1,3) und wird ihnen mehr noch als ein irdischer Vater »Gutes« geben (Mt 7,11/Lk 11,13), sie aber auch im Alltag mit dem Nötigsten – wie dem täglichen Brot – versorgen (Mt 6,11/Lk 11,3). Der Vater ist den Kindern an Wissen voraus (Mk 13,32; Mt 6,32/Lk 12,30; Mt 6,4.6.18); er ist jedoch bereit, ihnen sein Wissen zu offenbaren (Lk 10,21f./Mt 11,25–27). Der Vater hat dementsprechend einen besonderen Willen (Mt 6,10; 26,42), der autoritative Geltung hat; darin ähnelt er jedem Herrn. Ihm ist alles möglich (Mk 10,27; 14,36), er ist vollkommen (Mt 5,48). Daher kann er seinen Kindern ihre Schuld vergeben (Mk 11,25; Mt 6,13/Lk 11,4) und er tröstet sie (2 Thess 2,16). Andererseits sieht der Verfasser des Hebräerbriefs auch die Züchtigung der Söhne in Zusammenhang mit der göttlichen Vaterschaft. In Hebr 12,5f. erinnert der Verfasser mittels des Zitates von Spr 3,11f. an die Stellung Gottes den Söhnen gegenüber, die auch leidvolle erzieherische Maßnahmen impliziert: »Mein Sohn, achte die Erziehung seitens des Herrn nicht gering und lass dich nicht entmutigen, wenn du von ihm gestraft wirst. Denn wen der Herr liebt, den erzieht er, (und) er schlägt