Aber nicht nur im Rahmen von Bekenntnis- und Gebetstexten, auch in den apokryphen Evangelien und in weiteren apokryphen Schriften wird die Vater-Bezeichnung besonders innerhalb der |108|Jesus-Logien weitertradiert. In den apokryphen Evangelien, aber auch in der Epistula Apostolorum ist die Vater-Bezeichnung im Munde Jesu fest etabliert. Im Thomas-Evangelium ist »Vater« die häufigste Gottesbezeichnung. Die Glaubenden sind die »Erwählten des lebendigen Vaters« (EvThom 50).[52] Jesus versteht sich als aus dem Vater hervorgekommen, »der (stets) mit sich eins ist« (61). Das Königreich wird nun explizit zum »Königreich des Vaters« (57; 76; 96–99; 113 – vgl. Mt 26,29). In anderen apokryphen Texten fehlt die Vater-Bezeichnung für Gott allerdings völlig, wie etwa im Protevangelium des Jakobus. Doch auch in weiteren Kindheitsevangelien wird sie kaum verwendet, was damit zusammenhängen dürfte, dass Joseph hier verstärkt als Vater erscheint, wenngleich er kaum als solcher bezeichnet wird. Des Weiteren finden sich hier nun Reflexionen über den Vater-Namen wie etwa im EvPhil 11a: »Die Namen, die den Weltmenschen mitgeteilt werden, verursachen eine große Irreführung. Denn sie wenden ihren Sinn weg vom Feststehenden (und) hin zu dem Nichtfeststehenden. So erfaßt, wer (den Namen) ›Gott‹ hört, nicht das Feststehende, sondern er erfaßt das Nichtfeststehende. Ebenso verhält es sich auch mit (den Namen) ›Vater‹, ›Sohn‹ ›Heiliger Geist‹.«[53]
Die Schriften der Apostolischen Väter belegen alle die Vater-Bezeichnung, jedoch auf sehr unterschiedliche Art und Weise:[54] Der erste Clemens-Brief verwendet achtmal die Vater-Bezeichnung für Gott, wobei er den Vater jeweils durch Adjektive und Appositionen näher charakterisiert. Der Vater wird mit dem Schöpfer parallelisiert (1 Clem 19,2; 35,3; vgl. auch 61,2), er ist heilig (35,3), barmherzig (23,1; 29,1) und gut (56,16) und verteilt Wohltaten (19,2; 23,1). Auch als Erzieher ist er gut und voller Erbarmen (56,16). Durch die Nachahmung des Vaters wird der Glaubende vor dem Vater Gefallen finden (61,2). Der Vater ist der Vater vor allem in Bezug auf die Glaubenden, die sich zu ihm mit dem »Vater«-Ruf bekehren (8,3), die ihn als Vater anbeten (29,1). Nur in 7,4 wird er als Vater Christi benannt. Dennoch ist die herrscherliche Seite Gottes für 1 Clem sehr viel wichtiger; dies zeigt neben der Verwendung von δεσπότης auch |109|die Ersetzung der Vater-Bezeichnung in der Gnaden- und Friedensformel im Briefpräskript durch παντοκράτωρ θεός. Insofern bestimmt auch die eigentlich herrscherliche Qualität Gottes seine Vaterschaft: Diese Vaterschaft gründet nicht in der Tatsache, dass er der Vater Jesu Christi ist, sondern darin, dass er der δεσπότης ist (56,16). »Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, wird zum Vater der ganzen Schöpfung, weil er der δεσπότης ist.«[55] 1 Clem lässt die Vater-Bezeichnung also vor dem Hintergrund eines stark herrscherlich bestimmten Gottesbilds zurücktreten.
Die Ignatianen weisen hingegen eine kontinuierliche Institutionalisierung der Vater-Bezeichnung auf. Neben der Gattungsbezeichnung θεός ist πατήρ die häufigste Gottesbezeichnung der Briefe. Dabei erscheint in den Briefpräskripten und in den Schlussgrüßen die asyndetische Form θεὸς πατήρ wie bereits in den kanonischen Briefen. Meist ist hier jedoch nicht Gott als »unser Vater« thematisiert,[56] sondern als Vater Jesu Christi.[57] Hier findet sich nun auch die Bezeichnung Christi als »Sohn des Vaters« (υἱὸς τοῦ πατρός, IgnRöm Präskript). Im Briefkorpus bevorzugen die Ignatianen die absolute Form ὁ πατήρ; auch hier ist zumeist die Vaterschaft Gottes gegenüber Christus angesprochen. Dieser Vater ist der »höchste« und er ist treu (IgnRöm Präskript; IgnTrall 13,2). Die Vater-Sohn-Metapher dient nun als Vorbild des als »Einheit« (ἑνότης) beschriebenen Verhältnisses der Gemeinde zu ihren Vorgesetzten (IgnEph 4–5; vgl. IgnMagn 1,2; 3,1). Die »Einheit« von Vater und Sohn (vgl. auch IgnRöm 3,3: Der Sohn ist »im« Vater) soll in der »Einheit« von Bischof und Gemeinde ihr Spiegelbild finden. Die Vater-Metapher wird so auf den Bischof übertragen (IgnMagn 3,1; 6,2; IgnTrall 3,1), die Intimität des Vater-Sohn-Verhältnisses damit auch auf das Verhältnis von Glaubenden und Bischof projiziert, wobei auch Christus als Sohn nun vorbildlichen Charakter für die Glaubenden annimmt: Wie Christus seinen Vater nachgeahmt hat, soll nun die Gemeinde Christus bzw. den Bischof nachahmen (IgnPhld 7,1; IgnSm 8,1). Die Gemeinde wird als Bauwerk (IgnEph 9,1) bzw. Pflanzung (IgnTrall 11,1; IgnPhld 3,1) des Vaters verbildlicht. Die Kirche in Rom kann nun sogar als πατρώνυμος bezeichnet |110|werden, d.h., sie ist Trägerin des Namens des Vaters (IgnRöm Präskript) oder die Gemeinde »Gottes, des Vaters« (IgnPhld Präskript; IgnSm Präskript). Auch in den Ignatianen lassen sich liturgische Elemente erkennen: IgnRöm 2,2 fordert die Glaubenden auf, dem Vater zu singen, und in 7,2 mag ein Taufbezug vorliegen, wenn es heißt: »[Es] ist lebendiges und redendes Wasser in mir, das innerlich zu mir sagt: Auf zum Vater!«[58] Theologisch wertet die Vater-Bezeichnung daher vor allem Ignatius aus, der durch den Vergleich des Bischofs mit dem Vater die Vater-Sohn-Metaphorik (in Aufnahme paulinischer Gedanken) auf das Verhältnis der Gemeinde zu ihrem Vorgesetzten überträgt und durch den Gedanken der »Einheit« füllt.
Während das Vater-Sohn-Verhältnis in den Briefen des Barnabas und Diognet zwar vorausgesetzt, jedoch nicht weiter thematisiert wird, rekurriert der zweite Clemens-Brief stark auf die Logientradition unter Bevorzugung der Texte, die – wie besonders das Mt-Evangelium – vom »Willen des Vaters« sprechen (2 Clem 8,5; 9,11; 10,1; 14,1). Im Gegensatz zu den toten Göttern ist der Vater nun der »Vater der Wahrheit«. Diese Bezeichnung dürfte der Rede vom »wahren Gott« im Unterschied zu den Götterbildern wie sie etwa in 1 Thess 1,9 vorliegt, entsprechen.[59]
Die Vater-Bezeichnung Gottes etabliert sich also sowohl durch den rituellen Gebrauch als auch durch die Schrifttradition bereits in den ersten christlichen Jahrhunderten konsequent und wird schließlich auch durch die trinitarischen Diskussionen weiter festgeschrieben. In Auseinandersetzung mit paganen Kritikern wird auch die Rede vom Vater als »Schöpfer« wichtiger, der etwa bei Irenäus wiederholt als πατὴρ τῶν ὅλων erscheint.[60]
|111|4. Die Funktion der Vater-Bezeichnung im Apostolikum
»Ich glaube an Gott, den Vater […].« Das Apostolikum formuliert in strikter Konsequenz zur im frühen Christentum pointiert entwickelten Überzeugung, dass das entscheidende Verhältnis zwischen Gott und Glaubenden ein Vater-Kind-Verhältnis ist. Dabei ist auch für das Apostolikum nicht nur an die Liebe in diesem Vater-Kind-Verhältnis zu denken. Auch im Apostolikum dürften zahlreiche weitere Aspekte der Vater-Kind-Beziehung wie die Strenge und Autorität des Vaters, seine Fürsorge, seine Zuverlässigkeit, sein machtvolles Eintreten für seine Kinder und seine Vorbildlichkeit impliziert sein. Die Vater-Bezeichnung beinhaltet auch Konsequenzen für das Selbstbild der Gott als Vater bekennenden Glaubenden, die als Kinder ihren Vater imitieren, ja imitieren sollen.
Die Vater-Bezeichnung impliziert allerdings auch immer die Vaterschaft Gottes Jesus gegenüber; denn die Rede vom Gottessohn lässt stets die Vater-Metapher mitanklingen. So klingt auch im Apostolikum spätestens mit seinem zweiten Artikel die christologische Referenz der Vaterschaft mit an.
Die Verfasser des Apostolikums haben schlüssigerweise die bereits durch das frühe Christentum etablierte Vater-Metapher als diejenige an den Anfang des Credos gesetzt, die das Gottesbild entscheidend neu bestimmt hat. In ihr wird sowohl an die Sendung des Gottessohnes als grundlegende Neuzuwendung Gottes zu den Menschen erinnert als auch an das auf dieser Sendung basierende neue Gottesverhältnis der Glaubenden als Kinder des göttlichen Vaters.
Als Vater ist Gott der Spender individuellen Lebens, insofern betont der Anfang des apostolischen Bekenntnisses den entscheidenden Aspekt der Gottesrelation für das glaubende Subjekt. Die Vater-Metapher korreliert mit ihrer kosmologischen Referenz jedoch auch mit dem Bekenntnis zu Gott als Schöpfer des Himmels und der Erde, das die Trias zu Beginn des Apostolikums beendet. Als Vater ist Gott aber auch Vater des einziggeborenen Sohnes, wie es der zweite Artikel des Apostolikums impliziert. Doch die Vaterschaft