»2 Jhwh kommt vom Sinai und leuchtet ihnen auf vom Seir, er strahlt auf vom Gebirge Paran und kam von Meribat Kadesch, von seiner Rechten ein Feuer der Dat.[48] 3a Er liebt die Völker, […] 5 Er wurde König in Jeschurun,[49] als die Häupter des Volkes sich versammelten […] 19 Völker laden sie ein auf den Berg, dort bringen sie rechte Opfer dar.« (Dtn 33,2–19)
Zugleich reflektiert der Pentateuch in seiner Endgestalt auch die Bedingungen der Existenz des Jhwh-Volkes in der Fremdlingschaft, d.h. im Raum von Völkerschaften, deren Religion sich von der eigenen unterscheiden. Der midianitische Schwiegervater des Mose gibt seine Religion nicht auf, Zippora wird mit Mose verheiratet und dieser lebt als fremder Schutzbürger unter dem arabischen Gastrecht, so wie einst die Brüder Josefs unter ägyptischem Gastrecht. Darum erlaubt das Qahalgesetz in Dtn 23,8 die Aufnahme von Ägyptern in den Qahal. Gegenüber den Edomitern, deren Vorfahr sich von der Isaaksippe entfernt hat, wiegt das Band der Bruderschaft stärker und ermöglicht darum ebenfalls eine problemlose Integration. Dass in der achämenidischen Epoche durch internationale Regeln des Gastrechts und des Respekts vor der Religion des anderen man sich den Gesetzen und Sitten des schutzgewährenden Aufenthaltsortes anpasste, war nicht nur für die Völker des Perserreiches Regel und geltende Rechtsordnung, es war auch unter den Bedingungen der israelitischen Religion selbstverständlich. Niemand wäre umgekehrt allerdings dann auf die Idee gekommen, dass der Fremde seine ursprüngliche religiöse Bindung verleugnen müsste oder dass er sich der Religion des Gastgebers in der Kultpraxis vollkommen fügen musste.[50]
|81|Mit der Achämenidenzeit assoziieren die Narrationen des Nehemiabuches die Benennung des Gottes Israels als Jhwh Elohej ha-schamajim – Himmelsgott[51] – (Neh 1,4; 9,6), der im Angesicht des heidnischen Königs lediglich Elohej ha-schamajim angeredet wird (Neh 2,4.20). In der Chronik wird in radikaler Abrogation das Bekenntnis formuliert: »Alle Götter der Völker sind Elilim, Jhwh aber hat den Himmel gemacht!« (1 Chr 16,26). Dieses Bekenntnis soll auch die Völker erfassen: Jhwh ist König (1 Chr 16,31; 29,11), der Himmel kann ihn nicht fassen (2 Chr 2,5). Wenn anders die Verehrung anderer Gottheiten durch die Völker nicht zu verleugnen ist, gilt doch die alte Unvergleichlichkeitsformel: »Jhwh, Gott Israels, kein Gott ist dir gleich, nicht im Himmel und nicht auf der Erde« (2 Chr 6,14). So lobt denn auch der Phönizier Churam den Gott Israels (2 Chr 2,11). Kyros bekennt, dass Jhwh, der Himmelsgott, ihn erwählt hat (Esr 1,2; 2 Chr 36,23). Im Tempelweihgebet betet Salomo, »Du allein kennst das Herz aller Menschen« (2 Chr 6,30), und er bittet ihn, die Gebete auch der fremden Völker zu erhören, die sich an ihn wenden (2 Chr 6,33). Im 3. Jahrhundert ist man in Jerusalem der festen Überzeugung, dass Jhwh über alle Königtümer und Nationen herrscht (2 Chr 20,6).
Die Elohîm-Theologie ist demnach ein Zeugnis der geistigen und religiösen Bewältigung des Umstands, dass die monotheistisch ausgerichteten Israeliten sowohl in der Diaspora als auch in den Provinzen Jehud und Samaria in einem multikulturellen und einem religiös vielfältigen Umfeld leben mussten. Gerade dies ermöglichte und erzwang die geschärfte Reflexion der eigenen religiösen Deutungskultur. Es ermöglichte aber auch das Aushalten großer Spannungen und Kontraste. Neben der Josua-Schriftrolle, die die vollständige Erfüllung der Landverheißung und Landnahme behauptete, konnte eine Richter-Schriftrolle liegen, die das schiere Gegenteil vertrat. Neben dem Deuteronomium mit seiner religiösen Theorie von einer Bannweihe des verheißenen Landes hält sich hartnäckig die Sage davon, dass die erste Kanaanäerin, welche den Israeliten Schutz gewährte, eine Prostituierte war, die sich und ihrer Familie das Überleben sicherte, |82|indem sie sich zu Jhwh bekannte. Eines der markantesten Beispiele eines Nebeneinanders von exklusiver und inklusiver Religionstheologie bietet die Erzählung von Naeman, dem nach seiner Bekehrung zu Jhwh erlaubt wird in Damaskus Jhwh Opfer darzubringen und gleichwohl mit seinem aramäischen Dienstherrn den Tempel des Gottes Rimmon zu besuchen (2 Kön 5,17–19).[52]
Die »Endlosschleife« der schriftgelehrten Deutungskultur ergibt sich demnach dadurch, dass in der Schriftensammlung des Tanakh für widersprüchliche und kontingente Sachverhalte Beispiele existieren, die eine theologische Bearbeitung nach mehreren Aspekten erzwingen und auch die Erörterung kontroverser Positionen einschließen.[53] Im schon zitierten prophetischen Lied des Mose kann es heißen:
»37 Wo sind ihre Götter, der Fels, der ihre Zuflucht war, 38 die das Fett ihrer Opfer aßen, den Wein ihres Trankopfers tranken! Sie mögen sich aufmachen und euch helfen, sie mögen ein Schirm sein über euch. 39 Seht nun, dass ich, ich es bin, und dass es keinen Gott gibt neben mir. Ich töte und ich mache lebendig, ich habe zerschlagen, ich werde auch heilen.« (Dtn 32,37–39)
|83|Und zugleich von der primordialen Ordnung der Welt:
»Als das Erbland zuteilte der Höchste den Völkern, als er die Söhne Adams voneinander unterschied, setzte er fest die Gebiete der Völkerschaften nach der Zahl der Söhne Gottes.« (Dtn 32,8)[54]
Elemente der Assimilation und der Dissimilation, der Attraktion und der Abstoßung religiöser Deutungskonzepte aus dem Umfeld der Religionen, mit denen Israel in Kontakt stand, sind zu beobachten. Der Grad der Verwerfung konnte in höchstem Maße rigoristisch sein und die Theoreme von Bann und Bannweihe begründen, von Ikonoklasmus und Synkretismusverbot, die Abgrenzung gegenüber den Unreinen und Unbeschnittenen konnte gänzlich rigoristisch vollzogen werden und die Frommen in Isolation und Verarmung führen. Die außerbiblischen Dokumente der Lebenspraxis in neubabylonischer Zeit sowohl aus Mesopotamien wie aus Elephantine zeigen aber auch, wie es gelang, sich mit der Existenz heterogener Religionskulturen zu arrangieren. Gerade die späten Schichten des Jesajabuches offenbaren eine große Bereitschaft zur Öffnung der Kultusgemeinde für Menschen aus kulturell heterogenen Bindungen. Selbst den Eunuchen wird hier Yad wa-Schem im Bethaus für alle Völker gewährt (Jes 56,4–7). Aber auch hier gibt es dann wieder Gegentendenzen aus Kreisen frommer Charedîm, die das Gericht Gottes fürchten angesichts von Praktiken aus dem Einfluss des griechischen Kulturkreises wie etwa dem Hantieren mit Schweineblut und Hunden (Jes 66,2–5) in heiligen Hainen und Gräberfeldern (Jes 65,3–6) oder von anderen, in der Golah erworbenen Praktiken (Esr 9,4).
Der Streit um die Frage des Synkretismus spaltet das nachexilische Israel. Die Aufnahme des Synkretismusverbotes in Dtn 12,2–7 führt zu einer Scheidung zwischen der Kultusgemeinde in Samaria und Jehud, die Errichtung eines zweiten Heiligtums neben dem Jerusalemer Tempel auf dem Garizim führte dazu, dass es fortan zwei Linien gab, die das Erbe der israelitischen Religion verwalteten und zwei grundsätzliche Fassungen des Pentateuch. Weitere Spaltungen sind nach dem Fall des zweiten Tempels erfolgt, deren gewichtigste wohl die Trennung von Kirche und Synagoge war.
Die in Weisheit, Prophetie und Tora in unterschiedlichen Gattungen gesammelten und schließlich kodifizierten Narrative sind kanonisch nur in einem diskursiven Sinne. Sie stehen zugleich in einem |84|Gegenüber zu der infiniten Möglichkeit weisheitlicher und religiöser Welterschließung in Gestalt der erforschenden Lehre und der religiösen Unterweisung, die im Spannungsfeld zwischen dem Zeugnis des Universums (Ps 19) und der Universalität der Tora möglich ist. Darum rechnet das Judentum mit dem Phänomen des Wiedererscheinens des Propheten (Mal 3,23–24), um die bis dahin entstandenen Widersprüche zwischen »Vätern und Söhnen« miteinander auszugleichen.
Einheit und Maß religiöser Erkenntnis und Aussagemöglichkeit wird dabei aus der Mitte der Religion selbst gewonnen, aus der Selbsterschließung dessen, der da sagt »Ich bin, der ich bin«. An ihm ist Sagbares und Nichtsagbares zu messen. Er ist der archimedische, Orientierung verleihende Punkt aller weiteren Erzählung, und zwar in seiner Relation zu Israel und zur Welt. Die sich hieraus erschließenden Gesetze dienen der Wahrung der Freiheit, denn es ist der Gott des Exodus aus der Sklaverei. Daraus resultiert einerseits die Ausformung von Schriften als Explikation dieser Tora und zur geistigen Orientierung. Neben diese Schriften tritt gleichwohl der Gedanke einer Verinnerlichung