Dennoch gibt es bekanntlich im Alten Testament eine Narration, die zwischen allgemeinmenschlichen religiösen Vorstellungsgehalten von der Welt des Göttlichen und der spezifischen Erfassung derselben in der Epoche der Ursprünge der Religion Israels unterscheidet. Somit wird innerhalb der religiösen Narration selbst eine Erzählung von den Ursprüngen der Religion in einem allgemeinen humanen Sinne möglich in Gestalt der Elohîm-Theologie des Pentateuch. Hinzu kommt, dass der – auch für das Bewusstsein der jüdischen Weisheit – infinite Charakter der vorfindlichen Wirklichkeit und der dahinterstehenden Gottheit (Prov 8; Hi 28)[5] auch für den Prozess |61|weisheitlich-gedanklicher Erschließung bedeutet, dass dieser zwangsläufig infinit sein muss. Der Pluralität der im Universum zu erfassenden Phänomene, die das »Spiel der Weisheit vor Gott« hervorgebracht hat, entspricht darum selbst im Horizont der alttestamentlichen Schriftensammlung eine Pluralität der Narrationen, die nun ihrerseits das Universale nur dadurch abbilden kann, dass sie sich selbst im Horizont der Gegenwart, des Angesichts Gottes expliziert und so sich selbst und die Welt versteht und deutet, also in demütiger Ehrfurcht wie in lustvoller Abbildhaftigkeit, und dass dabei die Erfassung von normativen Aussagen allein auf der Grundlage nur einer Aussage in einer Perspektive überhaupt nicht möglich ist. Vielmehr erschließt sich die Wirklichkeit des Besprochenen stetig neu in einem Diskursverfahren komplementärer Denkungsarten, das Widersprüchliches nicht nur aushält, sondern geradezu als notwendig zur Erfassung der Wirklichkeit und »wahrer«, d.h. Bestand habender Aussagen (hebr. ’æmæt), empfindet. Es ist dies ein Denken, das seinerseits infinit ist und darum ja in der jüdischen Tradition auch in der haggadischen und halachischen Auslegungsliteratur mündet, die schon in den Spätschriften der Bibel ihren Anfang nimmt.
Da diesem Denken der Gottesbegriff und der Gottesname selbst ja schon in letzthinniger Weise nicht fasslich erscheint, verbleibt es in Bezug auf seinen Gegenstand immer in einer spannungsvollen Korrelation von Interiorität und Exteriorität, Benennung und Umschreibung, Metapher und Symbol, und verweist somit stets auf den Umstand, dass der Mensch von der Wahrheit ergriffen sein kann, ohne doch dabei die Grenzen des Aussagbaren und des Unsäglichen je vollkommen zu erreichen. Die Illusion, hieraus eine systematische Theologie gewinnen zu wollen, die nicht im Moment ihrer Fixierung schon immer auch in sich überholt sein muss, lässt sich vor diesem Gegenstand nicht halten.
Wie aber innerhalb eines solchermaßen gearteten Prozesses dennoch Orientierung, ja tiefste Überzeugung einer Orthopraxie entsteht, wie Identität, ist die Frage. Die Antwort besteht eigentümlicherweise darin, dass in dem aus ökonomischer Pragmatik und religiöser Überzeugung gewonnenen Kanon selbst die Spannung zwischen Heiligem und Profanem, zwischen Gottesnähe und Gottesferne, zwischen |62|Gotteswirklichkeit und Negation derselben, zwischen Inklusivität und Exklusivität integriert ist. Die von Friedhelm Hartenstein in seinem Aufsatz über »The Beginnings of YHWH and ›Longing for the Origin‹«[6] beklagte Spannung zwischen religionsgeschichtlichen und theologischen Aussagen hat hier ihren Ort. Die Frage ist also, welche Faktoren bei der Generierung der biblischen Narration und der darin zutage tretenden Gottesbekenntnisse eine Rolle gespielt haben.
2. Gottesverehrung und Gottesbekenntnis
Der Begriff der Gottesverehrung umfasst auch im Blick auf die Geschichte des Alten Israel die Vielfalt und Vielgestaltigkeit von Gottesvorstellungen und religiösen Praktiken, mit der sich in unterschiedlichen sozialen Kontexten die Gottesbeziehung der Menschen Ausdruck und Form gibt. In ihr bleiben Elemente der Mythen wie der heilsgeschichtlichen Narrationen einer ständig neuen Aktualisierung und Transformierung unterworfen.
Gottesbekenntnisse bilden indes Kern und Fokus einer identitätsbildenden Darstellung eines Vorstellungskomplexes, der von der sie initiierenden und explizierenden formbildenden Generation Schriftgelehrter in einer bestimmten historischen Auseinandersetzung formuliert und verschriftet wird, und, seine gemeinschaftsstiftende Deutungskraft vorausgesetzt, fortan als weithin durch die Religionsgemeinschaft anerkannte normative Gestalt erhält. Die Phasen der Ausbildung solcher Gestalten können annäherungsweise benannt und beschrieben werden. Gleichwohl nimmt bekanntlich die Religionspraxis, also die Gottesverehrung selbst, auf diese Gestalten keineswegs überall und zu allen Zeiten gleichermaßen Bezug, sodass immer ein Hiatus zwischen formulierter und erzählter Religion und gelebter und praktizierter Religion besteht. Da nun aber der diskursive Charakter der schriftgelehrten Fortschreibungsarbeit an dem Fluss der Auseinandersetzungen um beides immer Anteil hat, ergibt sich aus dem alttestamentlichen Schrifttum auch schon aus formalen Gründen keine gedanklich geschlossene religiöse und philosophische Systematik und Lehre, sondern vielmehr eine Sammlung von anerkannten |63|Leittexten,[7] die ihrerseits nach stets neuer Deutung verlangen, welche wiederum auch nur auf diskursive Weise und strittig gewonnen werden kann. Die Einheit dieses Diskursfeldes ist durch den Gegenstand bestimmt und durch die Übereinkunft der gemeinsamen Orientierung auf diesen Gegenstand. Dass Jhwh der Gott Israels ist, muss darum immer wieder neu erkannt werden, so wie die andere Seite, dass und in welcher Hinsicht die Gemeinschaft der im Diskurs Stehenden das Volk des Gottes Israels sind. Es steht im Zeichen der Verschmelzung der alttestamentlichen Bundesformel und der Erkenntnisformel, wie sie die Priesterschrift in Ex 6,7 formuliert: »Und ich nehme euch an als mein Volk und ich werde euer Gott sein, und ihr sollt erkennen, dass ich Jhwh, euer Gott, bin, der euch herausführt aus der Fron Ägyptens.«[8]
Hinzu kommt die Heterogenität der Gottesaussagen selbst. Die Zuschreibungen bestimmter Wirkmächtigkeiten und Eigenschaften an eine Gottheit, die mit dem Epitheton des »Vaters« verbunden sind, hat es in unterschiedlichsten Gestalten in den Religionen des Alten Orients gegeben, also auch in der alttestamentlichen Religion. Religionsphänomenologisch gibt es keine differencia specifica der Jhwh-Religion gegenüber den nicht-jahwistischen Religionen. |64|Gleichwohl war es im Überlebenskampf der Stammesgesellschaften der Levante im Verlauf der Geschichte des 1. Jahrtausends v. Chr. notwendig für Israel, um die Identität des Volkes zu wahren, eine mosaische Unterscheidung zu formulieren, was zu der durchaus sehr spezifischen Ausprägung der israelitischen Religion geführt hat.[9] Diese hat die Phasen ihrer Ausbildung in einem Narrativ ausgeprägt, der die eigene Religionsgeschichte als gestufte Offenbarungsgeschichte beschreibt, was dazu geführt hat, dass die Tradenda aus diesen Phasen jeweils in neuer differenzierter Rahmung und Neudeutung integriert werden konnten und keinesfalls alle abgestoßen werden mussten. Es ist auch nicht möglich, mythische Elemente der religiösen Metaphorik als eine frühe, unausgeprägte Entwicklungsstufe späterer systematisch-philosophischer Konzeptionen auszugrenzen. Auch unter den Bedingungen eines ausgeprägten monotheistischen Gottesbildes bleiben die Elemente des Mythischen als offensichtlich notwendige symbolische Formen religiöser Aussage erhalten und werden nur teilweise retuschiert oder umgedeutet.
Die Theologie wird also dazu tendieren, die Leitgedanken der konzeptionellen Formen der Gottesbekenntnisse zur Orientierung aufzunehmen und dabei die wechselhaften Impulse integrativer und exklusiver Prozesse in unterschiedlichem Gewicht zu verarbeiten. Für eine Theologie, die konsequent aus der Perspektive kontextueller