Wer war das nun wieder? Rettung? Noch jemand Schlimmeres?
Bei der Stimme zuckte der Zylindertyp zurück. Seine Augen weiteten sich und Todesangst zeichnete sich in seiner Mimik ab. In Windes-eile wirbelten die Blätter und Äste auf, legten sich um ihn, bis er von ihnen umhüllt wurde.
»Zeig mir dein Gesicht.« Die Frauenstimme näherte sich uns. Sie stellte sich vor mich. Ihr Haar war zu einem Turm hochgesteckt. »Geht es dir zumindest okay?« Sie warf nur einen knappen Blick über die Schulter.
»Äh, ja, ich denke schon.«
»Wer bist du?« Sie näherte sich ihm. Unmöglich mit dieser Kutte und der Kapuze zu erkennen, wie die Frau aussah, außerdem spielte die Nacht ihr in die Karten.
Er wich zurück. Trotz ihrer Deckung wirkte es, als erkannte er sie.
»Hat er seinen Namen genannt?«
»Nein, nicht dass ich wüsste, oder Daphne?«
Ihre Augen straften mich mit einem bösen Blick. Oh, ja, sie konnte gerade nicht sprechen.
»Können Sie meiner Freundin helf-« Noch bevor ich meinen Satz beendet hatte, schnappte mich ein Ast, der meine Hand umklammerte, und zog mich seitlich weg.
Mein Kopf schlug gegen etwas Hartes. Schon wieder. Der Schmerz zog sich wie ein Blitz von oben bis unten. Langsam wurde meine Sicht Schwarz. Schon wieder.
»Liebes! Darf ich dich retten? Darf ich dich mit mir nehmen?«
Mitnehmen? Retten? Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Jammernde Geräusche drängten sich aus mir heraus. Angst schwoll in mir an. Lange konnte ich mein Bewusstsein nicht mehr aufrechterhalten, also musste ich mich beeilen.
»Sag! Sag es!«
Wie sollte ich in diesem Augenblick entscheiden, wie ich wählen sollte? Daphne war sonst der Kopf in diesen Dingen. Niemandem trauen. Mit dieser Devise lebte ich seit Jahren besser als früher, als ich naiv gedacht hatte, es gäbe nette Menschen.
»Ich brauche deine Erlaubnis.« Stimmfetzen flehten mich an und auch, wenn ich es bereute, kam ein unmissverständliches Geräusch aus mir: »Mhm.«
Nachdem ich ihre Frage bestätigt hatte, fraß mich die Dunkelheit mit Haut und Haar auf.
Vier
Was wäre ohne die Klippe passiert?
Getrocknete Rosenblätter gemischt mit frisch gemähten Grashalmen. Diese Duftkombination kam mir als Erstes in den Sinn.
Nach und nach wachte mein Bewusstsein auf und die unendliche Schwärze, die mich in ihrem Nichts gefangen hielt, wurde weniger schwer. Ein Lichtstrahl inmitten der Dunkelheit. Trotzdem konnte ich nicht diesen einen Gedanken fassen, der mir sagte, warum ich schlief. Ich wusste, tief in mir steckte die Gewissheit dessen, was passiert war. Leider gelang es mir nicht, sie zu fassen.
Immer mehr Sinne erwachten. Ich fühlte, dass es feucht war. Meine innere Stimme taute auf. Das krächzende »Wach auf, du blöde Kuh«, hallte in meinem Kopf, erzielte nicht den gewünschten Effekt. Irgendetwas in mir hatte sich fest verschlossen, als wollte mich meine Seele vor etwas schützen.
»Margo!«
Daphnes Stimme? Daphne! Da war doch etwas.
Ich kniff die Augen fester zusammen. Der kleine Finger zuckte. Die Freude darüber hielt jedoch nicht lange, als ich merkte, wie die Migräne an meine Schläfen klopfte.
Abrupt kehrten all meine Kräfte in meinen Körper zurück und ich schreckte hoch. »Daphne!«
Die Helligkeit überraschte mich und es dauerte, bis meine Augen sich an die Umgebung gewöhnt hatten. Verschwommen erblickte ich Grün, Braun und andere bunte Farben.
War es nicht eben noch Nacht gewesen?
Mein Magen zog sich zusammen und die Hektik, die in mir einen Marathon lief, heizte mich auf. Was war hier los? Ich wollte Antworten. Ich rieb meine Augen, riss sie auf, zog die Lider mit den Fingern hoch. Ich wollte sehen. Ich wollte erkennen. Und ich wollte es jetzt.
Ein Garten? Ein Garten. Warum wachte ich in einem Garten auf?
Das konnte doch nur ein Scherz sein, oder? Hatte mich diese Frau hierhergebracht? Vorsichtig stand ich auf. Wohin ich meinen Kopf auch drehte, überall empfingen mich Bäume, Gras, Kletterpflanzen, die sich unter einer Kuppel aus milchigem, schmutzigem Glas als Decke durch den Garten schlängelten.
Ich stand vor einem weitläufigen Blumenfeld mit den verschiedensten Arten, einige, nein, viele, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Die Farbenpracht erschlug mich. Wie konnte ein Indoorgarten derart groß sein?
»Gefällt dir der Ursprungsgarten?«
Ich zuckte zusammen. Diese Nacht ließ einen lebensveränderten Geschmack zurück und doch hatte ich die Hoffnung, wieder in mein altes Leben zurückgleiten zu können.
»Wo bist du?« Die Stimme war überall und nirgends.
Langsam drehte ich mich um und tat, als verfolgte ich eine Spur von Gänseblümchen, während ich meine Hände knetete. Sie sollte nicht denken, dass ich nervös war.
»Weshalb so nervös?«
Verdammt.
»Bin ich nicht.« Kopfschüttelnd seufzte ich. Das brachte doch nichts. »Weil du mich entführt hast?«
»Entführt? Ich habe dich gerettet.« Ihre Stimme tauchte hinter mir auf.
Wie konnte das sein? Ich wandte mich zu ihr.
Der schwarze Umhang samt Kapuze auf dem Kopf passte nicht zum Bild des bunten Blumenfeldes.
»Wo ist meine Freundin?« Die Fragen explodierten in meinem Kopf und ich hatte keine Ahnung, wo ich anfangen, welches Thema ich verfolgen sollte.
Ihre Finger verhakten sich ineinander und sie hielt die Hände gelassen vor sich. »Ich weiß es nicht.«
Fältchen umgaben ihre Lippen, die ich durch den nach unten hin mehr transparent werdenden Schleier erkannte.
»Warum nicht?«
»Soll ich dich anlügen?« Dass sie so ruhig und gelassen sprach, ließ den Zorn in mir hochkochen.
Sie tat, als wäre nichts, und doch war so viel.
»Warum zeigst du dich mir nicht? Nimm deine Kapuze ab.«
Andächtig umfasste sie mit ihren dünnen Händen, deren Haut beinah durchsichtig war, die Kapuze und zog sie zurück. Darunter offenbarte sich mir nur der Schleier. Ein Schleier, der ab der Nase fast blickdicht war. Wollte die mich verarschen?
»Lady –«
»Callidora Poutachidou.«
Je ruhiger sie blieb, desto mehr geriet ich in Rage. Ich konnte nicht mehr an mich halten und begann, von links nach rechts hin- und herzulaufen. »Lady, ich …« Ja, was wollte ich überhaupt sagen? Ich strich mit meinen Fingern meine feuchten Haare zurück. »Lady Poutachidou. Ich will wieder nach Hause.«
»Du bist zu Hause.«
»In einem Garten?«
»Wäre das wirklich dein schlechtester Schlafplatz? Das ist doch nicht so. Außerdem habe an dem Morgen, an dem ich dich gerettet habe, gespürt, dass etwas in Thessaloniki nicht stimmt, wie eine Vorahnung. Okay, und eine Prise Tarotpflanzenhilfe. Bin extra mit der Limousine angereist. Zum Glück – so konnte ich rasch bei dir sein.« Wie eine Statue stand sie vor mir, während ich wie ein störrischer Esel im Kreis wanderte.
Ach,