»Das Werk eines Profis?«, fragte mein Partner.
Der Doc nickte. Eine tiefe V-Falte befand sich über seiner Nasenwurzel. »Davon würde ich ausgehen.«
Ich trat näher und beugte mich über die Tote. Ihr geliftetes Gesicht war wächsern. Ihre Augen waren geschlossen. In mir regte sich Mitleid.
Warum hatte sie so enden müssen? Weil sie mit Andrew Holden verheiratet gewesen war? Genauso wie Yvonne Bercone hatte sterben müssen, weil sie Holdens Sekretärin gewesen war?
»Können wir sie fortschaffen?«, fragte Larry Brown.
Ich nickte und trat zurück. Die Leiche wurde in einen schwarzen Plastiksack gelegt. Ich hörte das Ratschen des Reißverschlusses - und Laura Holden war nicht mehr zu sehen.
Ich wandte mich an Lieutenant Kramer. »Irgendwelche Spuren?«
Der Leiter der Mordkommission Brooklyn schüttelte den Kopf. »Bis jetzt noch nicht.«
»Wer hat die Frau gefunden?«, fragte ich.
»Ein junger Mann namens Lee Cheadle.«
»Ein Junkie?«, fragte ich.
»Wie kommen Sie auf so etwas?«
»Was hatte er hier unten zu suchen?«
»Das soll er Ihnen selbst erzählen«, gab Lieutenant Kramer zur Antwort. Er trug seinem Assistenten auf, den Jungen zu holen.
»Weiß Andrew Holden schon Bescheid?«, fragte ich den Chef der Homicide Squad.
Kramer schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«
»Wir übernehmen das«, bot ich an.
Lieutenant Kramer nickte. »Okay.«
Larry Brown schleppte Lee Cheadle an. Der Leichensack wurde an ihnen vorbeigetragen. Cheadle presste sich an die Wand und wandte den Blick ab.
Ich sagte ihm, wer wir waren und zeigte ihm meinen Dienstausweis.
»Ich hab damit nichts zu tun, Agent Trevellian«, stieß er krächzend hervor. »Ich habe diese Frau nicht umgebracht.«
»Niemand behauptet das, Mr. Cheadle«, gab ich sanft zurück.
Er seufzte. »Wenn man einen Hund schlagen will, findet man einen Stock. Und wenn die Polizei einen Sündenbock braucht...«
»Greift sie sich den Erstbesten«, sagte ich.
»Ist es nicht so?«, fragte Cheadle.
»Nein, Mr. Cheadle. So ist es nicht. Jedenfalls nicht im richtigen Leben, sondern höchstens in einem schwachsinnigen B-Movie aus Hollywood.«
»Wissen Sie, wen Sie gefunden haben?«, fragte mein Partner.
»Man hat es mir gesagt«, antwortete Lee Cheadle.
»Kam Ihnen die Tote nicht bekannt vor?«, fragte Milo.
»Doch, schon. Aber... Es war zunächst mal ein mächtiger Hammer für mich, einer gefesselten Frauenleiche gegenüberzustehen.«
»Wieso waren Sie überhaupt hier unten?«, wollte ich wissen.
Er zögerte, es uns zu verraten, nagte verlegen an seiner Unterlippe.
»Mr. Cheadle«, sagte ich. »Haben Sie meine Frage nicht verstanden?«
»Ich hab sie verstanden, Agent Trevellian.«
»Und wie lautet die Antwort?«
Er senkte den Kopf, wurde rot und starrte auf seine Schuhspitzen. »Es ist so... Ich - ich liebe ein Mädchen...« Es dauerte sehr lange, bis er alles herausgewürgt hatte. Er brach zwischendurch immer wieder ab und wäre wohl vor Scham am liebsten im Erdboden versunken. Nachdem er geendet hatte, sah er mich ängstlich an. »Werde ich deswegen Ärger kriegen, Agent Trevellian?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ganz bestimmt nicht.«
»Haben Sie hier unten außer der Toten noch jemanden gesehen, Mr. Cheadle?«, fragte Milo.
»Nein. Wen hätte ich denn...«
»Den Mörder zum Beispiel«, sagte mein Partner.
Lee Cheadle riss die Augen auf. »Großer Gott, nein. Ich bin heilfroh, dass ich den nicht gesehen habe. Der - der hätte mich garantiert nicht am Leben gelassen.«
Wir entließen ihn und vereinbarten mit Lieutenant Kramer, dass er sämtliche Unterlagen, die mit dem Mord an Laura Holden zusammenhingen, duplizieren und uns umgehend zukommen lassen würde.
Mit düsteren Mienen stiegen wir anschließend die Kellertreppe hinauf und verließen das Abbruchhaus, in dem sich eigentlich schon seit Monaten niemand mehr hätte aufhalten dürfen.
Sobald wir in meinem Jaguar saßen, sagte Milo, er glaube nicht, dass Andrew Holden auf eine so grausame Weise den Verkauf seines Skandalbuchs ankurbeln wollte.
»Das sieht mir eher danach aus, dass jemand Andrew Holden den Krieg erklärt hat«, fügte er hinzu.
20
Betroffenheit. Trauer. Erschütterung. Das trafen wir im Hause Holden an. Janis und Dudley Holden machten einen verstörten Eindruck auf uns.
Der Verlust der Mutter ging ihnen beiden sichtlich nahe. Jeder versuchte auf seine Weise damit fertig zu werden. Janis weinte ununterbrochen, und Dudley schien Gott und die ganze Welt zu hassen und für den Mord an seiner Mutter verantwortlich zu machen.
Selbst Andrew Holden, den bisher so gut wie nichts aus der Fassung bringen konnte, war merklich aus dem Tritt geraten. Er versuchte sich mit Cognac einigermaßen gerade zu halten. Er hatte zuerst seine Sekretärin und nun seine Ehefrau verloren.
Nachdem sich Janis und Dudley in ihre Zimmer zurückgezogen hatten, wollten wir von ihm wissen, welche Gedanken sich ihm in diesem Zusammenhang aufdrängten, Holden hob matt die Schultern. »Ich kann Ihnen nicht sagen, wer hinter all dem steckt.«
Milo äußerte auch ihm gegenüber seinen Verdacht, jemand könnte ihm den Krieg erklärt haben. Holden gab zu, dass dies möglich wäre.
»Haben Sie irgendeinen Verdacht?«, fragte mein Partner.
Holden schüttelte ratlos den Kopf. »Ich habe soviele Feinde... Und es werden von Tag zu Tag mehr...«
Zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, dass ihm das nicht recht war. Bedauerte er etwa schon, sich mit so vielen einflussreichen Menschen - zuerst als Politiker und dann als' aggressiv-provokanter Skandalbuch-Autor - angelegt zu haben?
Wir brauchten Namen, um effizient arbeiten zu können, doch Holden nannte uns keine. Wieso war er auf einmal so rücksichtsvoll? Hatte er Angst Um sein Leben? Schwärzte er deshalb sicherheitshalber niemanden an?
»Es muss irgendwelche Leute geben, die Sie verdächtigen, Mr. Holden«, bohrte mein Partner.
»Arme, arme Laura«, sagte Andrew Holden, als hätte er nichts gehört. »Sie war ein wunderbarer Mensch, eine gute Ehefrau und Mutter. Sie hat mir zwei prachtvolle Kinder geschenkt.«