Der Tunnel machte eine Biegung, dahinter leuchtete etwas hervor. Es wirkte wie ein gleichmäßiges, elektrisches Licht, nicht wie der Schein eines Feuers.
Wir kamen um die Biegung herum.
Ein ganzer Zug stand auf den Gleisen. Er war schon seit Jahren nicht mehr in Betrieb und rostete hier, auf diesem stillgelegten Schienenstrang vor sich hin. Irgendwie musste es jemandem gelungen sein, eine Stromleitung anzuzapfen und die Innenbeleuchtung der Triebwagen soweit instand zu halten, dass sie nach wie vor funktionierte.
Ein eigenartiger Anblick waren diese Wagen.
Es waren insgesamt fünf.
Vermummte Wächter patrouillierten im Schein der Beleuchtung auf und ab.
Dies musste das Hauptquartier des legendären Tunnel King sein!
Die Vermummten stießen uns vorwärts.
Die Wächter musterten uns.
Aber keiner von ihnen sagte etwas.
Wir gingen an dem ersten Wagen vorbei. Sie führten uns bis zum Eingang des dritten. Es handelte sich um ein besonders großes und gut erhaltenes Exemplar. Eine ächzende Hydraulik sorgte dafür, dass sich eine Schiebetür teilte.
Wir stiegen die wenigen Metallstufen hinauf.
Das Innere des Wagens war einem Wohnzimmer nachempfunden. Zusammengewürfelte Einrichtungsgegenstände waren hier zu finden, so dass es ziemlich eng war. Ein niedriger Eichentisch, zwei dicke Plüschsessel, ein Kleiderschrank. In einem der Sessel saß ein sehr dicker Mann, dessen Kopf vollkommen kahl war.
T-KING hatte er sich auf den Schädel tätowieren lassen.
Unter der Fellweste trug er ein Schulterholster, aus dem der Griff eines 45er Magnum herausragte.
Er blickte auf.
Sein linkes Auge war offensichtlich blind.
Ein breites Grinsen erschien auf seinem totenbleichen Gesicht, das jahrelang keinen Sonnenstrahl mehr gesehen haben musste. Der Mann war höchstens 35 Jahre alt, aber er hatte kaum noch Zähne im Mund.
"Das sind die Beiden, King", sagte Tiger. Er kicherte dabei.
"Freut mich sehr", zischte der Tunnel King.
"Sollen wir sie jetzt abknallen?", fragte Tiger. "Ich persönlich bin ja dafür, Munition zu sparen und es mit dem Messer zu machen... Macht übrigens auch mehr Spaß!
"Halt's Maul, Tiger!"
Der King erhob sich. Er atmete tief durch.
"Mein Freund Crazy Joe hat mir einiges über euch erzählt", wisperte er dann. "Leider konnte ich zur letzten Verabredung nicht kommen. Ich war kurzfristig verhindert... Geschäfte. Das werden Sie verstehen, denke ich." Er kratzte sich am Kinn, musterte uns nacheinander und fuhr dann fort: "Leider muss man sich auch manchmal von Freunden trennen..."
"Sie sprechen von Crazy Joe?", fragte ich.
"Er wurde eine Belastung. Es hat mir weh getan, ihn zu beseitigen. Aber sehen Sie, ich sage mir in diesem Fall, dass eigentlich ihr beide ihn auf dem Gewissen habt..."
"Tut mir leid, da kann ich nicht folgen", erwiderte ich gallig.
"Ach nein? Schließlich habt ihr ihn doch soweit gebracht, bis er euch auf meine Fährte gesetzt habt. Ihr seid gottverdammte G-men, und schon deswegen würde ich euch gerne persönlich den Bauch aufschlitzen. Aber es gibt da jemanden, dem das noch viel mehr am Herzen liegt. Und der auch bereit ist, dafür etwas springen zu lassen, euch lebendig in die Finger zu bekommen!"
"Woher weißt du, dass wir FBI-Leute sind?"
"Ich habe so meine Quellen", lachte er. "Schließlich bin ich der Tunnel King. Hier unten steht alles unter meiner Kontrolle. Niemand atmet hier, ohne dass ich das nicht will. Niemand kann hier überleben, den ich hier nicht haben will. Ich bin der Herr über Leben und Tod in den Tunneln. Kapierst du das? Und das wird auch immer so bleiben..."
"Wer ist es, der an uns interessiert ist?", hakte ich nach.
"Die Fragen stelle ich hier. Kapiert?", knurrte mich der King an.
In diesem Moment brach die Hölle los.
Maschinenpistolen ratterten los. Die Scheiben der Subway-Wagen zersprangen.
Der Mann, der sich Tiger nannte taumelte zurück, während sich auf der Strickmütze, die er über dem Gesicht trug, ein dunkelroter Fleck bildete. Die Wucht des Geschosses nagelte ihn gegen den Kleiderschrank, an dem er dann leblos hinuntersackte.
Milo warf sich seitwärts, gegen einen der anderen Vermummten. Der Kerl war so verdutzt, dass er noch nicht einmal seine Waffe hochgerissen und einen Schuss abgegeben hatte.
Ein Geschosshagel prasselte in Fensterhöhe in den Triebwagen hinein. Die Projektile fetzten durch die zusammengewürfelten Möbel, ließen das Holz splittern.
Ich warf mich nach vorn.
Mit voller Wucht prallte ich gegen den massigen Körper des Tunnel-King, der gerade seinen Magnum Revolver aus dem Schulterholster herausreißen wollte.
Wir landeten hart. Der niedrige Eichentisch brach unter uns zusammen, während von draußen wie wild gefeuert wurde. Die Kugeln gingen zum Teil einfach durch die Außenbleche der Triebwagen durch. Die Projektile stanzten kleine Löcher hinein, bevor sie in den dicken Polstern der Sessel steckenblieben.
Der King ächzte.
Ich war über ihm, hielt mit aller Kraft sein Handgelenk fest. Ein Schuss löste sich aus dem Magnum-Colt und durchschlug auf der anderen Seite des Triebwagens das Außenblech. Die Kugel vom Kaliber 45 riss ein beinahe faustgroßes Loch.
Ich bog den Waffenarm des Tunnel-King zur Seite. Dann riss ich ihm die Waffe aus der Hand. Ich richtete sie auf ihn und er sah mich starr an.
"Keine Bewegung!", schrie ich, um die Schießerei zu übertönen.
Todesschreie gellten und mischten sich in das Geknatter der MPis.
Wer immer da draußen auch diesen erbarmungslosen Angriff gestartet haben mochte - unsere Leute waren das auf keinen Fall!
Ich wandte mich an den Tunnel-King.
"Rühr dich dich nicht von der Stelle!", brüllte ich ihm zu, um die Schussgeräusche zu übertönen.
Er knurrte mir etwas Unverständliches zu. Ich rollte mich über den Boden, bis ich die zerschossene Blechwand erreicht hatte.
Durch die kleinen Löcher hindurch sah ich hier und da Mündungsfeuer aufblitzen. Schreie gellten. Es war ein furchtbarer, verzweifelter Kampf auf Leben und Tod.
Ich tauchte hoch, so dass ich über den Rand des zerschossenen Fensters blicken konnte. Maskierte Gestalten liefen in dem Gewölbe herum, duckten sich, feuerten aus Maschinenpistolen. Ich erkannte an ihrer Ausrüstung sofort, dass es sich um jene maskierten Killer handeln musste, vor denen Milo mich in letzter Sekunde gerettet hatte.
Nur ihre Nachtsichtgeräte hatten sie jetzt nicht angelegt.
Bei der Helligkeit hier war das auch überflüssig.
Die Männer des Tunnel King hatten der geballten Feuerkraft der Maschinenpistolen nichts entgegenzusetzen. Die vermummten Wächter lagen tot auf dem Boden. Nur hier und da wurde aus den verrosteten Subway-Triebwagen heraus noch gefeuert. Aber die Verteidiger verfügten nicht über MPis, die Feuerstöße von 20-30 Schuss pro Sekunde abgeben konnten. Mit Revolvern, Pumpguns und ähnlichem hatte man gegen derartigen Beschuss auf die Dauer kaum eine Chance.
Eine MPi-Salve knatterte in meine Richtung. Ich duckte mich.
Dann gab es eine furchtbare Explosion im Nachbarwagon.
Die