"Und ihr habt ihnen freie Hand gelassen."
"Ja."
"Ihr wusstet, dass mein Kollege und ich bei euch auftauchen würden", stellte ich fest. "Ihr wusstet sogar den Weg..."
"SIE wussten es."
"Wer sind SIE?"
"Mein Gott, wenn ich das wüsste! Ich sagte doch, dass ich nie ein Gesicht gesehen habe."
"Und doch hast du ihnen vertraut?"
"Sie waren gut bewaffnet, wenn wir mit ihnen nicht zusammengearbeitet hätten, wären unsere Tage gezählt gewesen."
"Von IHNEN habt ihr also die Informationen über unseren Einsatz bekommen?"
"Ja."
"Wie lautete die Information genau?"
"Dass zwei G-men auf dem Weg zu uns wären und dass sie den Weg durch den Professor wüssten. Wir sollten euch gefangennehmen, wenn nötig auch töten. Was die mit euch gemacht hätten, weiß ich nicht..."
"Vielleicht hätte man uns als ausgeweidete Leichen irgendwo gefunden", vermutete ich. "Ohne Leber, Nieren und Augen..."
"Damit habe ich nichts zu tun!"
"Warum haben sie euch plötzlich angegriffen. Ich dachte, ihr habt in IHREM Auftrag gehandelt. Das macht doch keinen Sinn."
Der Tunnel King fuhr sich mit der flachen Hand über den tätowierten Schädel. Verzweiflung stand in seinem Blick. Er schnaufte hörbar. "Mein Gott, ich weiß es doch auch nicht!"
"Sie haben euer Vertrauen missbraucht."
"Ja."
"Sie sind Verräter."
"Ja."
"Du willst, dass sie bestraft werden?"
"Ja."
"Dann versuche dich jetzt an jede Einzelheit zu erinnern, die dir bei diesen Leuten aufgefallen ist. Jede Kleinigkeit kann wichtig sein."
Er schloss die Augen, saß da wie ein buddhistischer Mönch in tiefster Meditation.
Er sagte keinen Ton.
"Denk an deine Leute", sagte ich. "Denk daran, wie diese Bestien sie einfach niedergemetzelt haben..."
"Ich denke an nichts anderes", knirschte der Tunnel King zwischen den blassen Lippen hervor. Dann öffnete er wieder die Augen, sah mich an und meinte: "Der Kerl, mit dem ich verhandelt habe, hatte, glaube ich, an der rechten Hand keinen kleinen Finger."
"Glaubst du?", echote ich.
"Er trug Lederhandschuh. Aber der kleine Finger wirkte irgendwie...", er suchte nach dem richtigen Wort, "...schlaff!"
18
Mister McKee machte ein sehr ernstes Gesicht, als wir etwas später in seinem Büro platzgenommen hatte. Orry Medina und Clive Caravaggio waren auch anwesend. Fred LaRocca verspätete sich etwas. Außerdem hatten auch noch Max Carter aus der Fahndungsabteilung sowie die EDV-Spezialistin Karen Galway in den schlichten Ledersesseln platzgenommen.
Karen Galway hatte erst vor kurzem die FBI-Akademie in Quantico absolviert. Aber obwohl ihre Berufserfahrung noch nicht sonderlich groß war, war sie auf ihrem Gebiet eine Spitzenkraft.
Ihre Anwesenheit hatte ihren Grund.
Ein Grund, der keinem von uns gefallen konnte...
"Ich muss Sie über eine sehr beunruhigende Tatsache informieren", begann Mister McKee. Er wandte sich an mich. "Sie hatten einen Sicherheitscheck angeregt, Jesse. Die entsprechenden Abteilungen haben auf Hochtouren gearbeitet. Das Ergebnis ist niederschmetternd..." Er deutete auf Karen.
"Special Agent Galway glaubt Anzeichen dafür entdeckt zu haben, dass Unbefugte Zugriff auf unsere internen Datenbanken und Computersysteme hatten..."
"Einsatzpläne und Personaldaten?", fragte ich.
"Das Ausmaß ist noch nicht ganz ermittelt", erklärte Karen Galway anstelle von Mister McKee. "Allerdings wird mit Hochdruck daran gearbeitet."
"Aber es wäre möglich, dass jemand die Einsatzpläne, Einsatzprotokolle und so weiter angezapft hat?"
"Es ist leider sehr wahrscheinlich", korrigierte mich Karen. "Hacker sind schon in die Zentralrechner des Pentagon eingedrungen - und die sind weitaus stärker abgeschirmt, als unsere Computer. Außerdem stehen wir laufend in Kontakt mit zahlreichen Datenbanken und Verbundsystemen."
Wenn sich der Verdacht bestätigte, dann handelte es sich beileibe nicht um den ersten Hacker-Angriff dieser Art auf den FBI. So umfangreich die Sicherheitsvorkehrungen auch waren, es gelang immer wieder Computer-Freaks, alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen.
So war es erst ein paar Monate her, dass ein Hacker die Internet-Seiten des FBI-Districts Chicago verändert hatte.
Statt Fahndungsfotos von gesuchten Verbrechern konnte man daraufhin nur noch Micky-Maus-Gesichter sehen.
Um einen vergleichsweise harmlosen Spaßvogel dieser Art hatten wir es jedoch wohl nicht zu tun.
"Besteht die Chance, den Hacker zu ermitteln?", fragte Mister McKee an Karen Galway gewandt.
"Eventuell - und mit etwas Glück", erwiderte die EDV-Spezialistin. "Wenn der Täter noch einmal aktiv wird, stehen die Chancen gar nicht so schlecht, schließlich benutzt er vermutlich das normale Telefonnetz, um sich sich per Modem bei uns einzuklinken. Sollte derjenige jedoch seine Zelte hier abgebrochen haben, bekommen wir ihn vermutlich nie..."
19
Craig Lopez ließ die Billardkugel über den grünen Filz rollen. Schnurgerade zog sie ihre Bahn und beförderte zwei andere Kugeln rechts und links in die Löcher.
Lopez grinste zufrieden.
Er juckte sich an der rechten Hand, wo ihm der kleine Finger fehlte. Es war Jahre her, seit er den Finger in eine Kreissäge bekommen hatte. Aber die Wunde juckte noch immer, vor allem wenn sich das Wetter änderte.
Lopez bereitete den nächsten Stoß vor, während im Hintergrund Heavy Metal Musik lief.
Lopez liebte es, allein zu spielen.
Das beruhigte ihn.
Seiner Ansicht gab es ohnehin kaum jemanden, der mit ihm mithalten konnte.
Lopez setzte zum nächsten