3. Parallelfall: Weltlich-kirchliche Einrichtungen
In der Literatur präsenter als die Diskussion zu ökumenischen als kirchlich-kirchliche Einrichtungen ist die Frage, ob weltlich-kirchliche Einrichtungen am Selbstbestimmungsrecht teilhaben können. Aus den hieraus gewonnenen Erkenntnissen können möglicherweise hilfreiche Schlüsse gezogen werden. Weltlich-kirchliche Einrichtungen werden von einem kirchlichen und einem nicht-kirchlichen Träger gemeinsam getragen. Bei dem nicht-kirchlichen Träger handelt es sich in der Praxis häufig um eine Kommune oder einen Landkreis.531 Generell werden Mischträgerschaften von kirchlichen und kommunalen Trägern sowohl seitens der Kirchen532 als auch von Teilen der Literatur533 kritisch betrachtet. Im Schrifttum werden gegen weltlich-kirchliche Einrichtungen vor allem der drohende Profilverlust kirchlicher Einrichtungen, die Trennung von Staat und Kirche, das Neutralitätsgebot des Staates sowie die kommunale Eigenständigkeit (Art. 38 Abs. 3 GG) angeführt.
Andere Teile der Literatur stehen Mischträgerschaften von kirchlichen und kommunalen Trägern offener gegenüber.534 Glawatz betont, dass das Selbstbestimmungsrecht nicht dahingehend missverstanden werden dürfe, dass eine strikte Trennung staatlicher und kirchlicher Aktivitäten erforderlich sei.535 Robbers argumentiert ähnlich: Der Staat sei zu Neutralität in Religions- und Weltanschauungsfragen verpflichtet, daher müsse er dem religiösen Wirken entsprechend Raum geben.536 Die Frage ist demnach nicht, ob eine weltlich-kirchliche Einrichtung prinzipiell teilhaben kann am Selbstbestimmungsrecht, sondern ob sie im konkreten Fall einer Kirche zuzuordnen ist. Die Beteiligung eines weltlichen Partners an der Trägerschaft schließt diese nicht prinzipiell aus. Materiell muss es sich bei der Einrichtung um eine „Wesens- und Lebensäußerung“ der Kirche handeln, d.h. sie muss einen kirchlichen Zweck verfolgen. Weiterhin muss die Kirche über ein Mindestmaß an Einflussmöglichkeit verfügen.537 Dies ist anhand einer Gesamtschau der Indizien im Einzelfall zu beurteilen.538 Selbst bei einer Minderheitenbeteiligung des kirchlichen Trägers im Verhältnis zum weltlichen Träger kann eine Zuordnung nach Ansicht weiter Teile der Literatur noch bejaht werden.539 Entscheidend ist weniger die quantitative Beteiligung als die Qualität der Einflussmöglichkeit.540
Für ökumenische Einrichtungen lässt sich hieraus folgern: Wenn schon eine weltlich-kirchliche Einrichtung am verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht teilhaben kann, muss dies erst recht für eine kirchlich-kirchliche Einrichtung gelten.541 Entscheidend ist, dass die ökumenische Einrichtung einer oder allen beteiligten Religionsgemeinschaft(en) zugeordnet werden kann.
4. Ein Blick auf § 118 Abs. 2 BetrVG
Der Begriff Religionsgemeinschaft in § 118 Abs. 2 BetrVG wird ebenso verstanden wie der der Religionsgesellschaft in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV. Das BetrVG findet gemäß § 118 Abs. 2 BetrVG als Ausprägung des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts nicht auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen Anwendung. Der Wortlaut der Norm bezieht sich auf „ihre“ Einrichtungen. Nach teilweise vertretener Auffassung fallen hierunter nicht ökumenische Einrichtungen, die keiner verfassten Kirche institutionell zuzuordnen sind.542 Eberle führt dies auf die Entstehungsgeschichte des § 118 Abs. 2 BetrVG zurück. Bei der Konzeption des Gesetzes spielte es zwar eine Rolle, dass die Kirchen eine Autonomie gegenüber dem Betriebsverfassungsrecht genießen sollten543, nicht jedoch die Förderung der Ökumene.544 Zudem würde § 118 Abs. 2 BetrVG auch aus teleologischer Sicht lediglich den Normgehalt des Art. 137 Abs. 3 WRV vollziehen und nicht die Förderung der Ökumene bezwecken.545 Trotz der bestehenden ökumenischen Annäherung gebe es nach wie vor weder ein ökumenisches Bekenntnis noch umfassende ökumenische Kultformen. Insofern könne bei ökumenischen Einrichtungen die erforderliche institutionelle Verknüpfung546 nicht bejaht werden. Eine überkonfessionell-ökumenische Einrichtung genieße nur den einfachen Tendenzschutz nach § 118 Abs. 1 BetrVG, der unmittelbar aus Art. 4 Abs. 2 GG hergeleitet würde.547
Thüsing entnimmt dem Wortlaut des § 118 Abs. 2 BetrVG hingegen keine Einschränkung dahingehend, dass die Einrichtung von einer Kirche allein getragen werden muss.548 Er argumentiert in diesem Zusammenhang mit dem gemeinsamen Betrieb549 i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG550: Betreiben zwei Religionsgemeinschaften zusammen einen gemeinsamen Betrieb, wäre es sachfremd anzunehmen, dieser fiele unter das BetrVG. Die Mitarbeiter agieren gemeinsam innerhalb eines organisatorischen Gebildes. Ihre Arbeitsverhältnisse bestehen mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft fort. Die gemeinsame Organisation ändere nichts daran, dass für die Arbeitnehmer die spezifischen Loyalitätspflichten des jeweiligen Arbeitgebers gelten.551 Auf sie finden die jeweils in Bezug genommenen Arbeitsrechtsregelungen ihres Vertragsarbeitgebers Anwendung. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Eine ökumenische Rechtsträgerschaft unterscheidet sich hiervon nicht grundlegend. Zwar bestehen die Arbeitsverhältnisse nicht unmittelbar zwischen den Mitarbeitern der Einrichtung und der jeweiligen Kirche – wie es in einem gemeinsamen Betrieb der Fall ist – allerdings sind beide Kirchen an dem gemeinsamen Anstellungsträger beteiligt. Die Wahl der rechtlichen Ausgestaltung einer Zusammenarbeit kann nicht zum Verlust der verfassungsrechtlichen Privilegierung führen.552 Das gilt insbesondere, da die Rechtsformwahl gerade Teil des Selbstbestimmungsrechts ist. Andernfalls würde der Staat die Kirchen mittelbar dazu zwingen, eine Zusammenarbeit lediglich in Form eines gemeinsamen Betriebs zu organisieren. Konsequenz wäre: In einem gemeinsamen Betrieb würde kirchliches Arbeitsrecht ohne jede Einschränkung gelten, wohingegen ein gemeinsamer Rechtsträger weltliches Arbeitsrecht – allenfalls mit Tendenzschutz – anwenden müsste. Können sich die am ökumenischen Rechtsträger beteiligten Kirchen jeweils auf das Selbstbestimmungsrecht berufen und ist die Einrichtung ihnen zuzuordnen, muss konsequenterweise auch die ökumenische Einrichtung vom Anwendungsbereich des BetrVG ausgenommen sein.
5. Sonderfall: Kirchliche Stiftungen
Nach in der Literatur vertretener Auffassung gelten als „kirchliche“ Stiftungen nur solche, die einen kirchlichen, d.h. konfessionellen, nicht ökumenischen Zweck verfolgen.553 Dies könnte als Indiz dafür herangezogen werden, dass ökumenische Einrichtungen nicht am Selbstbestimmungsrecht teilhaben können. Auch wenn die Literatur eine Begründung hierzu schuldig bleibt, steckt möglicherweise der Gedanke dahinter, dass im Falle einer ökumenischen Zwecksetzung die für eine kirchliche Stiftung erforderliche Aufsicht durch die zuständigen kirchlichen Autoritäten unter Umständen nicht gewährleistet ist. Für ökumenische Einrichtungen generell die Rechtsform der Stiftung auszuschließen, wäre zu weitgehend. Dies wird dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht nicht gerecht – schließlich ist die Freiheit der Rechtsformwahl essentieller Teil desselben. Vielmehr ist für eine entsprechende kirchliche Aufsicht Sorge zu tragen. Aus dieser – zumal vereinzelten – Ansicht zu schließen, eine ökumenische Einrichtung könne generell nicht teilhaben am Selbstbestimmungsrecht, wäre unzutreffend.
6. Zwischenergebnis
Die Literatur spricht sich vorherrschend für eine weite Auslegung des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts aus. Auch ein ökumenischer Rechtsträger kann sich hierauf berufen. Verselbstständigte Rechtsträger müssen einer bzw. mehreren Kirchen zugeordnet werden.
III. Zarter Richtungsweiser: Die Rechtsprechung
Nach der bisher nur punktuell in Bezug auf den Begriff der „Religionsgesellschaft“ in Art 137 Abs. 3 WRV erfolgten Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung aus der sich eine Tendenz zur Einbeziehung ökumenischer Einrichtungen in das Selbstbestimmungsrecht ableiten ließ, ist nunmehr eine vertiefte Prüfung erforderlich. Dies betrifft die Rechtsprechung sowohl der obersten als auch der Fachgerichte.
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