Das Selbstverständnis der Gemeinschaft ist für die Frage, ob es sich um eine Religionsgemeinschaft handelt, ein erster Anhaltspunkt. Allein eine hierauf gestützte Behauptung kann nicht ausreichen.433 Nach Ansicht des BVerfG muss es sich darüber hinaus „(…) nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, um eine Religion und Religionsgemeinschaft handeln“.434 Im Streitfall obliegt es staatlichen Gerichten, dies zu beurteilen.435
b) Gemeinsames oder verwandtes Glaubensbekenntnis
Eine Religionsgemeinschaft erfordert ein gemeinsames oder verwandtes Glaubensbekenntnis der Mitglieder. Hierfür braucht sie einen gewissen (religiösen) Konsens.436 Anhaltspunkt für den Konsens kann bei den christlichen Kirchen das Apostolische Glaubensbekenntnis sein.437 Allerdings darf der erforderliche Konsens aufgrund des staatlichen Neutralitätsgebots nicht nur hieran festgemacht werden, andernfalls würde sich der Staat anmaßen, Vorgaben zu machen, wodurch sich der notwendige Konsens offenbart.438 In ökumenischen Einrichtungen kommen verschiedene konfessionelle Bekenntnisse zusammen, insofern muss untersucht werden, welche Anforderungen im Einzelnen an das Merkmal des religiösen Konsenses zu stellen sind.
(i) Schrifttum
Korioth stellt für den erforderlichen religiösen Konsens auf dessen Inhalt ab. Dieser müsse sich auf den Sinn menschlicher Existenz beziehen und wesentliche Prinzipien der Lebensgestaltung umfassen.439 Dies deutet auf ein weites Verständnis hin. Hinsichtlich dieser beiden Anknüpfungspunkte herrscht wohl bereits Einigkeit zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen. Morlocks Verständnis geht noch weiter: Er weist ausdrücklich darauf hin, dass keine besonderen Anforderungen an die Homogenität und Konsistenz der Glaubensvorstellungen zu stellen seien, schließlich müsse der Begriff die notwendige Offenheit auch für verschiedene religiöse Vorstellungen behalten.440 Classen stellt bei der Abgrenzung auf die Meinungsverschiedenheiten im Einzelnen ab. Entscheidend sei, ob die Differenzen das Glaubensverständnis derart betreffen, dass eine gemeinsame Religionsausübung unmöglich gemacht oder zumindest wesentlich erschwert wird.441 Über die elementaren Glaubensweisheiten müsse ein Konsens bestehen.442 Für diesen Ansatz spricht, dass geringe Abweichungen der religiösen Vorstellung nicht der Einordnung als Religionsgesellschaft als solche entgegenstehen.
Unbestritten ist, dass niemand in mehreren substantiell unterschiedlich ausgerichteten Religionsgemeinschaften gleichzeitig Mitglied sein kann.443 Dies ist nur möglich, wenn zwei Religionsgemeinschaften dem gleichen oder einem verwandten Glauben zugehörig sind. So sieht die Herrnhuter Brüder Union in einigen Fällen eine Doppelmitgliedschaft mit EKD-Landeskirchen vor.444 Für die individualrechtliche Gewährleistung ergibt sich hieraus, dass sich ein Mitglied zweier Religionsgemeinschaften dann nicht auf die Religionsfreiheit berufen kann, wenn sein Handeln nur nach den Vorgaben einer der Religionsgemeinschaften geboten ist. Es sei, so Classen, nicht plausibel, warum der Betroffene sich gerade in diesem Punkt nur auf die Gebote der einen Religionsgemeinschaft bezieht.445 Die Grundsätze zum Individualrecht sind nicht ohne Weiteres auf die kollektive Gewährleistung übertragbar.446 Religionsgemeinschaften kommt dabei eine größere Einschätzungsprärogative zu.
(ii) Rechtsprechung
In einer Entscheidung zur Kirchensteuerpflicht im Zusammenhang mit der Frage, ob sich durch einen Wohnsitzwechsel eine Änderung in konfessioneller Beziehung ergeben hat, knüpfte das BVerfG an das Merkmal der Bekenntnisidentität an.447 Dieses Verständnis ist jedoch zu eng. Ein vollkommener Konsens der Mitglieder wird in keiner Religionsgemeinschaft zu finden sein.448 Selbst zwischen den in der EKD zusammengeschlossenen Gliedkirchen gibt es unterschiedliche Bekenntnisgrundlagen (vgl. Art. 1 Abs. 1 S. 3 GO.EKD).449 Ein verbindliches Lehramt besteht innerhalb der EKD nicht.450 An Bekenntnisschriften sind lediglich Pfarrer im Rahmen der Ordination gebunden, für einzelne Gläubige sind diese nicht verbindlich.451 Zudem besteht zwischen den Gliedkirchen Kirchengemeinschaft (Leuenburger Konkordie), Art. 1 Abs. 2 GO.EKD. Lutheraner und Reformierte divergieren hinsichtlich des Verständnisses des Abendmahls. Nichts desto trotz sind einige Landeskirchen der EKD uniert.452 Dennoch ändert auch das nichts an ihrem Status als Religionsgemeinschaft – sowohl der einzelnen Landeskirchen als auch der EKD.
In seiner Entscheidung zur Bahá´í-Gemeinschaft453 stellte das BVerfG – ohne nähere Begründung – darauf ab, dass sich der Charakter eines Verbundes von Gläubigen als Religionsgemeinschaft auch aus der aktuellen Lebenswirklichkeit, Kulturtradition und allgemeinem, wie religionswissenschaftlichem Verständnis, ergeben kann.454 Diese Anknüpfungspunkte machen deutlich, dass die Einschätzung, ob eine Vereinigung als Religionsgemeinschaft anzusehen ist, einer stetigen Entwicklung unterliegt. Das BVerfG deutet somit ein weites Verständnis des erforderlichen religiösen Konsenses an. Das ist nur konsequent, schließlich unterfällt diese Einschätzung in erster Linie der Vereinigung selbst. Der Staat ist in seiner Kontrolle aufgrund des Neutralitätsgebots beschränkt.
Dennoch kann man selbst bei einem weiten Verständnis des religiösen Konsenses im Falle der katholischen Kirche und den evangelischen Kirchen nicht von einer Religionsgemeinschaft sprechen: Die katholische Kirche und die evangelischen Kirchen eint das Apostolische Glaubensbekenntnis. Sie erkennen gegenseitig die Taufe an, divergieren jedoch hinsichtlich anderer wesentlicher und bekenntnisrelevanter Themen – allen voran das Verständnis von Eucharistie bzw. Abendmahl. Uneinigkeit besteht darüber hinaus hinsichtlich struktureller und organisatorischer Fragen, so insbesondere zur Rolle des Papstes. Auch die Tatsache, dass sie gemeinsam in der ACK organisiert sind, ändert hieran nichts. Religiöse Aufgaben der Mitgliedskirchen werden nicht in ausreichendem Maße übernommen. Die Aufgaben der ACK beschränken sich auf eine gemeinsame Interessenvertretung, dies reicht nach Ansicht des BVerwG nicht zur Einordnung als Religionsgemeinschaft aus.455 So können die katholische Kirche und die evangelischen Kirchen aufgrund ihrer unterschiedlichen Organisation und Struktur nicht als „eine Religionsgemeinschaft“ im religionsverfassungsrechtlichen Sinne angesehen werden. Die christlichen Kirchen bilden eine Religion, sind aber unterschiedlichen Religionsgemeinschaften zuzuordnen.
2. Ordnen und Verwalten eigener Angelegenheiten (sachlicher Schutzbereich)
Bei den verfassten Kirchen in Deutschland handelt es sich unbestritten um Religionsgemeinschaften i.S.d. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV. Wenn sie sich nicht als „die eine christliche Kirche“ zusammen auf das Selbstbestimmungsrecht berufen können, so steht dieses Recht jedenfalls jeder Kirche für sich zu. Insofern muss eine ökumenische Betätigung – konkret die Gründung und der Betrieb einer ökumenischen Einrichtung – mit Blick auf jede Kirche unter den sachlichen Schutzbereich fallen. Geschützt wird sämtliches Wirken der Religionsgemeinschaften und ihre Einflussnahme auf den gesellschaftlichen Bereich.456
a) Selbstständiges Ordnen und Verwalten
„Selbstständiges Ordnen“ meint die gesamte Rechtssetzungstätigkeit der Religionsgemeinschaften die eigenen Angelegenheiten betreffend.457 Die Religionsgemeinschaften sollen die Möglichkeit erhalten, unabhängig eigene Rechtsbestimmungen zu erlassen (originäre Normsetzungskompetenz).458 Ihre Organisationsgewalt ist dabei unabhängig von der staatlichen.459 Anders verhält es sich hingegen, wenn die Religionsgemeinschaften den Status der K.ö.R. innehaben und außerhalb der eigenen Angelegenheiten Recht setzten dürfen. Hierbei handelt es sich um vom Staat verliehene (autonome) Normsetzungskompetenz.460
„Selbstständiges Verwalten“ meint die Möglichkeit