4. Zwischenergebnis
Religionsgemeinschaften sind gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV berechtigt, ihre eigenen Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbstständig zu ordnen und zu verwalten. Maßgeblich für das Verständnis der „eigenen Angelegenheiten“ ist das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften. Die Auslegung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV spricht deutlich für eine Teilhabe ökumenischer Einrichtungen am Selbstbestimmungsrecht. Auch bei einer gemeinsamen Rechtsträgerschaft unter Beteiligung einer anderen Konfession handelt es sich mit Blick auf jede einzelne Kirche um „ihre eigene Angelegenheit“. Zudem können die Kirchen jede für sich ökumenische Zielsetzungen verfolgen. Es wäre inkonsequent den Kirchen aufgrund einer institutionalisierten Zusammenarbeit das Selbstbestimmungsecht in diesem Bereich abzuerkennen.
II. Stimmen im Schrifttum
Nachdem das Selbstbestimmungsrecht mit Blick auf dessen Einbeziehung ökumenischer Einrichtungen näher beleuchtet wurde, lohnt sich ein Blick auf einige Stimmen im Schrifttum zur Frage der Teilhabe ökumenischer Einrichtungen am Selbstbestimmungsrecht.
1. Weites Verständnis des Selbstbestimmungsrechts
Diejenigen Stimmen, die sich zu einer ökumenischen Trägerschaft äußern, sprechen sich ganz überwiegend dafür aus, dass diese vom verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht gedeckt ist.508 Viele bleiben eine Begründung indes schuldig. Leisner drückt das aus, was wohl viele Vertreter der Literatur denken: „Vom Staatskirchenrecht her (….) würde ich grundsätzlich keine Bedenken sehen, wenn es zu einer ökumenischen Trägerschaft eines Tages käme. Denn hier ist ja doch das Selbstverständnis der beiden sich zusammenschließenden Kirchen maßgebend. Wenn sie beide dieselben Lösungen sich zu eigen machen, warum sollten ihnen dann gemeinsame Aktionen unmöglich sein? Das würde darauf hinauslaufen, dass sich von Staatskirchenrechts wegen die evangelische und die katholische Kirche niemals in Deutschland vereinigen dürften. Da aber sei Gott vor!“509
Auch Beyer spricht sich dafür aus, dass das Selbstbestimmungsrecht den Zusammenschluss konfessionsverschiedener Träger umfasst.510 Das GG schütze prinzipiell auch die Freiheit, Vereinigungen von Gemeinschaften zu gründen (Art. 4 Abs. 2 GG, Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 WRV) und dabei auch die jeweils gewählte Organisationsform.511 Engelhardt wendet ein, dass es durch ein gemeinsames Handeln nicht zu einem Verlust der auf dem Selbstbestimmungsrecht beruhenden Befugnisse kommen könne, „(…) denn sicherlich kann der Staat einer Kirche und auch mehreren Kirchen wohl kaum verwehren, auf der Basis ihres Selbstbestimmungsrechts auch gemeinsam Caritas auszuüben“512 Ähnlich äußert sich Robbers zur Kooperation im ökumenischen Bereich: „Eine Beeinträchtigung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nach staatlichem Religionsrecht ist damit nicht verbunden.“513 Rabe gibt zu bedenken, dass eine Vereinbarkeit interkonfessioneller Fusionen mit dem Selbstbestimmungsrecht nicht zwangsläufig heiße, dass sich die Einrichtung auch nach der Fusion auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht berufen kann.514 Es bedarf einer hinreichenden Einflussnahme der Kirche. So schreibt Köstler „Einrichtungen, die ‚kirchlich‘ im rechtlichen Sinne sind, unterliegen dem religionsverfassungsrechtlich geschützten Bereich der kirchlichen Selbstbestimmung (…)“.515 Auch konfessionelle Einrichtungen sind bereits jetzt kaum noch rechtlich unselbstständige Eigenbetriebe einer Diözese oder Pfarrei, vielmehr sind sie oftmals rechtlich verselbstständigt.516 Auch hier bedarf es einer Zuordnung. Glawatz bringt es auf den Punkt: „Wenn sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche eine Einrichtung, die ökumenisch getragen wird, von der Aufgabe und dem Bekenntnis her als Teil ihres Auftrags in der Welt erachtet, muss dies staatlicherseits respektiert werden. Die entsprechende organisatorische Anbindung zu beiden Kirchen muss dann ebenfalls gesichert sein.“517
Richardi spricht sich demgegenüber dafür aus, dass es zwingend eine eindeutige Zuordnung eines Rechtsträgers zu einer Kirche bedarf.518 Er begründet dies jedoch nicht näher. Möglicherweise fußt diese Annahme weniger auf der Reichweite des Selbstbestimmungsrechts als vielmehr auf einer möglichst praktikablen (arbeitsrechtlichen) Zuordnung einer Einrichtung zu einer Kirche. Hierfür spricht sich auch Negwer aus. Er stützt sich dabei auf das unterschiedliche Satzungs-, Arbeits- und Versorgungsrecht der evangelischen Diakonie und der katholischen Caritas.519 Die damit verbundenen praktischen Probleme sind nicht von der Hand zu weisen, dürfen allerdings nicht zu einer Aberkennung des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts führen. Dieses Recht aufgrund potentieller praktischer Probleme in der Umsetzung zu versagen, würde die Religionsfreiheit verletzten.520
2. Erst-recht-Schluss
Einzig Thüsing unternimmt den Versuch, die Einbeziehung ökumenischer Einrichtungen in das Selbstbestimmungsrecht argumentativ zu untermauern.521 Dabei knüpft er zunächst an das bereits erörterte Verständnis der Religionsgemeinschaft an. Im Zusammenhang mit der Gewährleistung des Art. 137 Abs. 2 S. 2 WRV wonach der Zusammenschluss von Religionsgesellschaften keinen Beschränkungen unterliegt, war für die WRV anerkannt, dass sich verwandte, jedoch bekenntnisverschiedene Religionsgesellschaften zusammenschließen konnten ohne die verfassungsrechtliche Privilegierung zu verlieren.522 Nach Thüsings Ansicht könne man hierin ein „(…) Tendenzargument für die staatskirchenrechtliche Privilegierung auch der ökumenischen Einrichtungen“ sehen.523 Können Religionsgemeinschaften bereits verschiedene Bekenntnisse in sich vereinen, dürfe ein Zusammenwirken nicht zum Verlust der religionsverfassungsrechtlichen Privilegierung führen.
Thüsing geht in seiner Argumentation jedoch noch weiter, indem er den den Kirchen eingeräumten Freiheitsraum zur Ordnung und Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten näher betrachtet.524 Zu Recht weist er darauf hin, dass eine ökumenische Zusammenarbeit von beiden Konfessionen als gemeinsamer Auftrag angesehen wird. An den die Religionsgemeinschaften auszeichnenden Besonderheiten ändere sich auch durch ein Zusammenwirken zweier oder mehrerer Religionsgemeinschaften nichts, wenn sie gemeinsam eine Einrichtung mit einem spezifisch kirchlichen Zweck betrieben.525 Insofern sei es nur konsequent, dass sie auch gemeinsam von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung profitieren könnten.526 Zum anderen, so wendet Thüsing zutreffend ein, ist bei einem Zusammenwirken mehrerer Religionsgemeinschaften das Interesse des Staates nicht größer als bei einer lediglich einer Religionsgemeinschaft zugeordneten Einrichtung.527 Insofern spricht er sich explizit für die religionsverfassungsrechtliche Zulässigkeit aus: „Wenn zwei Gemeinschaften ein Freiraum eingeräumt wird, den sie nach eigenen Vorstellungen ausfüllen können – eben dies macht Autonomie aus –, dann kann dieser Freiraum nicht dadurch gemindert werden, dass sie ihn gemeinsam ausüben.“528 Zwar dürfe das Maß der Freistellung durch ein Zusammenwirken nicht erweitert, umgekehrt aber auch nicht eingeschränkt werden.529
Dem ist zuzustimmen: Aufgrund der Reichweite des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV wird man nicht bezweifeln können, dass ökumenische Bestrebungen einer jeden Kirche für sich grundsätzlich Teil ihrer Wesens- und Lebensäußerung sein können. Hierdurch sind jedenfalls Kooperationen ohne gemeinsame Rechtsträgerschaft vom Selbstbestimmungsrecht gedeckt. Schließlich handelt jede Kirche weiterhin für sich, jedoch für ein etwaiges gemeinsames Projekt. Die Frage ist, inwieweit sich an dieser Situation durch eine institutionelle Verbindung etwas ändert. Beide Kirchen sind dann beispielsweise über einen gemeinsamen Rechtsträger an einer Einrichtung beteiligt. Das Selbstbestimmungsrecht nur aufgrund eines gemeinsamen institutionalisierten Handelns einzuschränken, ist nicht sachlogisch. Solange jede Religionsgemeinschaft für sich ihr Handeln mit ihrer Glaubensvorstellung