Besonders gut ist die Konstruktion solcher Pseudo-Aporien an dem folgenden Beispiel zu erkennen: „Übersetzungen sind wie Frauen, die Schönen sind untreu, die Treuen sind hässlich.“ Dieser Voltaire zugeschriebene Ausspruch wird seit 200 Jahren zitiert – offensichtlich ohne je über seine bedeutungsgebende Setzung nachzudenken. Die lautet, dass Frauen wahlweise hässlich oder untreu sind, was im Frankreich des 18. Jahrhunderts vielleicht als geistreich galt, logisch dennoch Unfug ist. Der Satz kann stellvertretend für viele andere gelesen werden, die die ästhetische Wertung des Übersetzens mit einer moralischen Abwertung verknüpfen. Exemplarisch kann er stehen für all die Blicke männlicher Kommentatoren, deren Rhetorik das Übersetzen weiblich konnotiert oder Übersetzungen als weibliche Wesen imaginiert, von per se zweifelhafter Verlässlichkeit.
Ein anderer Typus von skeptischen Aussagen entspringt dem unmittelbaren Vergleich von Original und Übersetzung. Da die bis heute in der der westlichen Welt gängigen Vorstellungen davon, was im Gutenberguniversum ein Original ist, vom Geniekult der europäischen Romantik geprägt wurden, kommt die Übersetzung umso schlechter weg, je näher die jeweilige Aussage dem Gravitationsfeld romantischer Poetiken steht. Zum Beispiel in der Gegenüberstellung: „Originale reifen, Übersetzungen altern.“ Begründen ließe sich diese Opposition allenfalls auf Grundlage eines traditionellen Werkbegriffs und historisch argumentierend: Ein Werk – einmal von letzter Hand veröffentlicht – bliebe gemäß dieser Sichtweise für immer unverändert. Wohingegen Übersetzungen immer wieder neu angefertigt werden, sich also verändern. Mit guten Gründen und unterfüttert mit vielen Beispielen aus der Übersetzungsgeschichte ließe sich entgegnen, dass es häufig umgekehrt war. Denn Originalwerke aus früheren Epochen sind keineswegs stabil, jede kritische Gesamtausgabe erstellt ein neues Original, im Wissen um frühere Lücken oder Fehler, Varianten, Auslassungen, Verlagszensur, konkurrierende Editionen. Außerdem werden Originale mit den Jahren unverständlich: Kein britischer Schüler versteht Shakespeare ohne Anmerkungen. Und vor allem verändern die angeblich still vor sich hin reifenden Originale ihre Bedeutung, gerade durch das Wissen um die Tatsache, dass sie übersetzt und in anderen Sprachwelten anders verstanden werden. Mehr noch, Neuübersetzungen halten Klassiker frisch: Weshalb wir deutschsprachigen Leser immer wieder neue King Lears und Madame Bovarys vorgestellt bekamen, je nach Maßgabe des sich wandelnden literarischen Geschmacks. Die Metapher der Reife verliert also recht schnell an Prägnanz, wenn man etwas genauer hinschaut. Ebenso die des Alterns, zumal sie ebenso für Übersetzungen in Anspruch genommen werden kann: Noch immer wird der Barockautor Baltasar Gracián auch in der Übersetzung Schopenhauers gelesen, Shakespeare in den Worten von August Wilhelm Schlegel und Ludwig Tieck oder Marcel Proust gerne in der Syntax von Eva-Maria Mertens. Offenbar alles gut gealterte Übersetzungen.
Originale reifen, Übersetzungen altern? Man könnte darauf antworten und im Wissen um die heutige Sicht auf den Status von Übersetzungen im literarischen Gefüge einen Gegen-Sinnspruch kreieren: Originale verdunkeln, Übersetzungen erhellen. Aber der darin aufgehobene freundliche Blick aufs Übersetzen klingt nicht recht sprichworttauglich. Das Kollektiv redet mehrheitlich anders. Denn es orientiert sich an einem idealistisch gedachten Original, das auratisch überhöht wird, weshalb die daneben sich mühende Übersetzung selbstverständlich abfallen muss, als ob es ein Naturgesetz wäre. Um noch einmal auf das letzte Beispiel zu kommen: Es ist die bestechende biologische Evidenz der Gegenüberstellung „Reifen versus Altern“, die die überzeitliche Gültigkeit der Aussage rhetorisch unterfüttert und ihre Bedeutung schließlich überführt in den Bereich der naturgesetzlichen Wahrheit. Der Satz tut so, als ob er nicht von Kultur spräche, sondern von der Natur. Das klingt eingängig, das wirkt überzeugend, dem zu widersprechen steht nicht an. Deshalb wird es gerne nachgesprochen.
3.2 Der freundliche Blick
Die Aussagen, in denen Vertrauen und Wertschätzung gegenüber Literaturübersetzern zum Ausdruck kommen, finden sich deutlich seltener; sie machen etwa ein Viertel der in den Datenbanken und Sammlungen verzeichneten Einträge aus. Die ihnen zugrundeliegenden Denkfiguren unterscheiden sich deutlich von denen der skeptischen Aussagen, denn sie verfolgen oft einen beschreibenden Ansatz: Wenn Übersetzer als ‚Brückenbauer‘ oder ‚Fährmänner‘ benannt werden, sind sie markiert als Akteure eines gelingenden und offenbar fruchtbringenden Transports von A nach B, von einer Kultur oder/und Sprache in andere. Als solche machen sie ein Konzept wie ‚Weltliteratur‘ überhaupt erst denkbar, wie es in folgendem Diktum zum Ausdruck kommt, das nicht nur José Saramago zitiert: „Schriftsteller schreiben Nationalliteratur, aber es sind die Übersetzer, die Weltliteratur schreiben.“1 In die gleiche Richtung dachte Johann Wolfgang von Goethe:
Und so ist jeder Übersetzer anzusehen, dass er sich als Vermittler dieses allgemein-geistigen Handels bemüht und den Wechseltausch zu befördern sich zum Geschäft macht. Denn was man auch von der Unzulänglichkeit des Übersetzens sagen mag, so ist und bleibt es doch eines der wichtigsten und würdigsten Geschäfte in dem allgemeinen Weltverkehr. (Goethe 1967a: 237)
Zwar gilt Lyrik als besonders schwierig zu übersetzen, doch formuliert Paul Valéry, obwohl Lyriker, mit Nachdruck den Gedanken, dass Übersetzen natürlich gelingen kann: „Traduire, c’est produire avec des moyens différents des effets analogues.“ (zit. in: Delisle 2007) Eine Variation dazu liefert der Ausspruch von Günter Grass, der den Kerngedanken noch einmal anders zuspitzt, wenn er sagt: „Die Übersetzung verwandelt alles, um nichts zu ändern.“ Auffällig ist, dass sich in dieser Gruppe viele zeitgenössische Schriftsteller als Quellen finden, also Autoren, die dank heutiger Kommunikationsformen in engem Austausch mit ihren Übersetzern in der ganzen Welt stehen und sie offenbar als sehr gute Leserinnen kennengelernt haben. Ihre Sentenzen lesen sich, als ob sie eine Gegenposition markieren wollten zur allfälligen Kritik, wie das folgende Beispiel von Alberto Manguel zeigt: „Der ideale Leser ist ein Übersetzer […]. Er ist in der Lage, einen Text zu zerlegen, ihm die Haut abzuziehen, ihn bis aufs Mark auszuweiden, jeder Arterie und jeder Vene nachzugehen, um dann ein neues lebendiges Wesen zu erschaffen“ (Manguel 2003). Manguel imaginiert den Übersetzer als Demiurgen, der gleich dem Autor fähig ist, aus dem Material der Sprache, das er anthropomorphisiert herbeizitiert, einen lebensfähigen literarischen Text zu erschaffen. Und vor dem Hintergrund all der leserzentrierten Literaturtheorien der letzten Jahrzehnte kann es wohl keinen größeren Ausdruck der Wertschätzung geben an als den, der „ideale Leser“ zu sein.
3.3 Der scharfe Blick
Kommen wir zur dritten Gruppe von Aussagen, bei denen zur Skepsis in der Sache eine bittere Note tritt, ein schärferer Ton, eine manchmal sogar ins Aggressive kippende Haltung. Übersetzer werden hier beispielsweise als ‚Diener zweier Herrn‘ bezeichnet, und anders als in Carlo Goldonis gleichnamiger Komödie (1746) ist das nicht lustig gemeint. Ein solches Diktum bezieht sich zunächst einmal auf die schlichte Evidenz, dass Übersetzer sowohl der Ausgangs- wie der Zielsprache verpflichtet sind, also einer doppelten Verpflichtung unterliegen, die Entscheidungen zwischen mehreren möglichen sprachlichen Lösungen erfordert. Doch nicht die dafür benötigte Erfahrung oder Kreativität wird thematisiert, sondern eine (servile, erduldete) Abhängigkeit beleuchtet; mehr noch, in der Verdoppelung der Herren steckt nicht nur eine Verstärkung, sondern auch ein unauflösbares moralisches Dilemma: weil zwei Herren gleichzeitig zu dienen gemäß der herbeizitierten aristokratischen Ordnung unmöglich ist, denn eine Seite muss dabei zwingend zu kurz kommen. Im Dienen steckt die Pflicht zur Loyalität, zwei Herren zu dienen heißt illoyal zu sein. Ergo: Übersetzer sind illoyal.
Auch der erotische Echoraum wird gern genutzt. Etwa von Johann Wolfgang von Goethe: Er bezeichnet die Übersetzer als „geschäftige Kuppler, die uns eine halb verschleierte Schöne als höchst liebenswürdig anpreisen“ (Goethe 1967b: 499). Damit rückt er das Metier in die Nähe der Zuhälterei, was immerhin noch nicht ganz so verächtlich klingt wie jene Redensart, Übersetzen sei ‚das zweitälteste Gewerbe der Welt‘, Übersetzer also gleichzusetzen mit Prostituierten.
Nicht vertrauenswürdige Dienstboten,