Der große Unterschied zwischen den Generationen liegt im Umgang mit diesen Erfahrungen: Die Jüngeren, die Grenze dürfte heute bei ungefähr den 50-Jährigen und damit der ersten Frauengeneration mit selbstverständlichem Bildungszugang liegen, führen einen Möglichkeitsdiskurs, die Älteren einen Erlaubnisdiskurs. Die jüngeren Frauen fragen, was ist mir wo möglich, und gehen dorthin, wo es ihnen möglich ist, aber auch von dort weg, wo es nicht möglich ist, was sie sich wünschen. Die älteren Frauen suchen die Erlaubnis zu dem, was sie wünschen, zu erhalten, erkennen also die Erlaubnisautorität der Hierarchie noch an.
Die älteren Frauen suchen trotz allem ihren Ort in ihrer Kirche und finden ihn, etwa in den Frauenverbänden oder in den Gemeinden, auch. Die jüngeren Frauen hingegen suchen einen Ort für ihre religiösen und sozialen Bedürfnisse und finden ihn bisweilen auch in der Kirche. Anders gesagt: Die jüngeren Frauen kämpfen gar nicht mehr um ihren Ort in der Kirche. Das signalisiert eine elementare Verschiebung, ja einen veritablen Bruch. Er entspricht freilich der generellen Verschiebung des religiösen Vergesellschaftungssystems weg von der normativ regulierten Schicksalsgemeinschaft hin zur markt- und also bedürfnisorientierten situativen Nutzung religiöser Angebote.
Die Dramatik der Vorgänge selbst ist nicht zu leugnen. Sollte die katholische Kirche nicht bald ein glaubhaft nach-patriarchales Konzept ihrer selbst realisieren, spricht einiges dafür, dass es zumindest in den westlichen Ländern zu einem weiteren Marginalisierungs-, ja massiven Exkulturationsprozess der katholischen Kirche kommen wird.
Für die Männer aber gilt: Die neue Ordnung der Geschlechter betrifft auch sie, und zwar ebenso massiv wie durchaus schmerzlich. Denn was für Frauen Emanzipation und also Befreiung ist, bedeutet für die Männer ein ungewohntes Neuarrangement: Sie sind dessen Herausforderung offenkundig zur Zeit nur sehr bedingt gewachsen.186 Das mag nach dem bisher Gesagten nun nicht mehr so arg zu erstaunen. Die Hilflosigkeit vieler Männer und jedenfalls der Männerkirche ist nicht zu übersehen. Bleibt die Frage: Wie weiter?
4 Perspektiven
4.1 Ein „Zeichen der Zeit“ endlich wahrnehmen!
Die epochalen Veränderungen der Geschlechterrollen, die Veränderung der Wertehaltungen und Einstellungen berühren das ganze Leben und haben Auswirkungen auf bestehende Handlungsformen und -muster. Für Lebensformen, Einkommenserwerb, die Bedeutung von Beruf und Freizeitgestaltung, die Einstellung zum anderen Geschlecht, zu Partnerschaft und Sexualität, Ehe, Familie, Kindererziehung gibt es gesellschaftlich keine eindeutigen oder als gültig erwiesenen Richtlinien mehr.
Wo aber wäre dann Zukunft für die Kirche – für eine Kirche, in der Frauen und Männer sich gleichberechtigt diesen Veränderungsprozessen und Neukonstellationen stellen und sie im Lichte des Evangeliums zu deuten und zu leben versuchen? Wo überhaupt wäre sie zu suchen, diese Zukunft – auch und gerade für die Frauen, die derzeit für eine Kirche eintreten sollen, die Frauen ganz deutlich den zweiten Rang zuweist?187 Womöglich nirgends anderswo als genau in dieser Machtlosigkeit.
Der erste Schritt einer in ihrer öffentlichen Artikulationsfähigkeit männlich dominierten Kirche (und Theologie) wäre, erst einmal wirklich wahrzunehmen, welches Leben Frauen heute führen und welche Rolle darin Kirche und Religion (und die Männer) spielen. Die Kirche der Männer wird lernen müssen, auszusteigen aus dem alten Spiel der patriarchalen Zuschreibungen und einzusteigen in das Spiel der aufmerksamen Wahrnehmung. Sie wird also schlichtweg dazu angehalten sein, vor allem zu schweigen und zu hören – zu hören auf jene Kirche, die es bei den Frauen schon gibt, ohne diese vorschnell abzuwerten oder zu belächeln.
Was aber heißt dieses „Wahrnehmen“ konkret? Was müssen in einer männlich dominierten Kirche die Männer und was die Frauen lernen? Und was brauchen sowohl Männer als auch Frauen an Unterstützung, damit sie nicht vor jeglichem Bemühen, einfach wahrzunehmen was ist, wieder einseitig in der Sackgasse der Machtspiele landen? Wie gelingt es dieser Männerkirche, aus den Diskursen der unhinterfragten Bemächtigung auszusteigen? Wie gelingt es ihr, aus den ewig gleichen Denkstrukturen und Handlungsmustern herauszukommen?
Notwendig ist vor allem der Auszug aus altvertrauten Bastionen zugunsten von mehr Beziehung, zu den Frauen, aber auch unter den Männern, mehr Gemeinschaft, ebenbürtiger Gegenseitigkeit und Identitätsgewinn. In der Geschichte hat die Kirche den Ausstieg aus den Diskursen der Bemächtigung meist nicht oder nur sehr zögerlich aus Einsicht in deren Ungerechtigkeit getan, jetzt wird sie es tun müssen, weil sie anders überhaupt nicht mehr zum Gespräch zugelassen werden wird. Veränderung wird aber nur dort möglich sein, wo Verlust und Gewinn überhaupt erst sichtbar und zum Thema gemacht werden.
Es hat frühe Zeichen der Einsicht gegeben: grundsätzliche und auch konkrete zur Sache der Frauen. Für Johannes XXIII. etwa war die Frauenemanzipation neben dem „Aufstieg der Arbeiterklasse“ und der Entkolonialisierung eines der aktuellen „Zeichen der Zeit“188: die Befreiung der Arbeiter, der kolonialisierten Völker und der Frauen, das sind für Johannes keine Verfallsgeschichten der alten Ordnung, sondern Entdeckungsgeschichten der „Würde der Person“, ja von Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit.189 Die Weigerung der Frau, „sich als seelenlose Sache oder als bloßes Werkzeug einschätzen zu lassen“, die Tatsache, dass sie „sowohl im häuslichen Leben wie im Staat jene Rechte und Pflichten in Anspruch (nimmt), die der Würde der menschlichen Person entsprechen“, das ist für Johannes XXIII. schlicht ein epochaler Bewusstwerdungsprozess der Menschenwürde, der, wie der Papst nicht ohne Stolz hinzufügt, „vielleicht rascher geschieht bei christlichen Völkern“190.
Sollte sich die katholische Kirche auf die Suche nach den Resten ihrer verlorenen Definitionsmacht des Geschlechterverhältnisses konzentrieren, wird sie darüber alle Autorität verlieren. Die neue Ordnung der Geschlechter markiert offenbar das Ende des sanktionsbewährten machtförmigen Zugriffs der Kirche noch auf das letzte der ihr gebliebenen menschlichen Existenzfelder – und damit vielleicht den unumkehrbaren Anfang ihrer neuen Form. Womöglich würde dann die Kirche am Ende der klassischen Moderne nach zweitausendjähriger Geschichte endlich zum Anfang dessen kommen, wo ihr Gründer am Ende seines Neuanfangs bereits war.
4.2 Was heute schon möglich ist
Da nicht anzunehmen ist, dass die gegenwärtig gültigen kirchenrechtlichen Zulassungsbedingungen zum priesterlichen Amt in absehbarer Zeit geändert werden, bleibt die Frage: Was tun? Möglich, auch unter den geltenden Bedingungen, und unbedingt notwendig scheinen mir repräsentative Sichtbarkeit, basisorientierte Öffentlichkeit und balancierte Kirchlichkeit.
a. Repräsentative Sichtbarkeit
Die katholische Kirche sollte alles daran setzen, Frauen sichtbar in Leitungspositionen zu bringen. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich. Immerhin gibt es bereits Pastoralund Schulamtsleiterinnen, Ordinariatsrätinnen und Personalchefinnen.191 Das hat es vor wenigen Jahren noch nicht gegeben. Viele von ihnen widerlegen schlicht durch ihre Existenz und Kompetenz patriarchale Stereotypen.
b. Basisorientierte Öffentlichkeit
Die katholische Kirche sollte weiterhin intensiv daran arbeiten, Orte reversibler und aufmerksamer religiöser Kommunikation jenseits des alten, tendenziell repressiven religiösen Diskurses zu schaffen. Der Rückzug der Priester aus der Fläche etwa, so bedauerlich er ist, macht Räume frei für Laien, also auch und besonders für Frauen. Dies sollten Frauen entschieden nutzen zur Gestaltung von kommunikativen Räumen, die von ihnen geprägt sind.
c. Drittens, und am heikelsten: balancierte Kirchlichkeit
Offenkundig gibt es schon heute in der