An neuen Orten. Rainer Bucher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rainer Bucher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429061623
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sowie emotionale und soziale Strukturen werden in diesem Wandel völlig neu arrangiert. Und damit auch die religiösen Verhältnisse.

       3 Die Reaktionen der Kirche

       3.1 Strukturen des Patriarchats

      Es scheint, als ob in der neuen Ordnung der Geschlechter die letzte Bastion kirchlicher Pastoralmacht schwindet. Denn natürlich wäre es eine ganz unhaltbare Illusion zu meinen, die fundamentalen gesellschaftlichen Umwälzungen im Geschlechterverhältnis würden sich am religiösen System vorbei vollziehen. Schließlich greift dieses selbst ja ganz definitiv in die Ordnung der Geschlechter ein, nicht zuletzt etwa über die Sexualmoral oder das Eherecht.

      Ganz grundsätzlich gilt ja, dass die drei Parameter Religion, Sexualität und Macht in allen Kulturen in einem ausgesprochen engen Kontext stehen und Veränderungen an einem Pol immer auch Veränderungen an den beiden anderen nach sich ziehen. Dieser enge Konnex ergibt sich auch ganz natürlich, denn diese drei Größen stehen schließlich für jene drei Relationen, in denen menschliche Existenz ganz unausweichlich sich vollzieht und zu denen sie also immer ein Verhältnis aufbauen muss: Kosmos, Körper und Gesellschaft. Religion definiert das Verhältnis des und der Einzelnen zu allem was ist, die kulturellen Ordnungen der Sexualität bestimmen das Verhältnis des Menschen zu seinem/anderen Körper(n), die Machtstrukturen aber das Verhältnis zur Gesellschaft.

      Das Patriarchat ist nun eine spezifische Konstellation dieser drei Größen. Vor allem: Es gibt Männern die Definitionsmacht über die Struktur dieser Konstellation. Das Patriarchat entsteht,

      weil der Mann für sich zwei Positionen beansprucht, die des (überlegenen) Geschlechts und die des geschlechtsneutralen Menschen zugleich. Diese doppelte Position ist es, die die Asymmetrie zwischen den Geschlechtern auf einer theoretischen Ebene extrem stabil und zugleich unsichtbar gemacht hat.178

      Der Mann ist der Mann und der Mensch: Er bestimmt als Mensch das Spiel und spielt als Mann mit. Dass er dabei als Mensch sich, dem Mann, die Gewinnposition zuspielt, ist nur menschlich, aber natürlich zutiefst ungerecht.

      Die Religionen machen im Wesentlichen bei diesem Spiel mit. Alle großen aktuellen Weltreligionen sind sowohl in ihren Symbolsystemen wie in ihrer sozialen Realität ganz wesentlich patriarchal strukturiert und geprägt. Das wird in Zeiten, da sich dies zu ändern beginnt, für die Religionen ein Problem: ein Gerechtigkeitsproblem wie ein Konstitutionsproblem.

       3.2 Die Tradition des Patriarchats

      Das Patriarchat hat bekanntlich auch im Christentum von den späten Schriften des Neuen Testaments über Augustinus und Thomas v. Aquin bis zur Gegenwart eine lange und traurige Tradition.179 Zum Patriarchat gehört es zum Beispiel, die Tätigkeitsbereiche der Geschlechter aufzuteilen und dabei die Frauen auf das private Leben zu beschränken und Macht und Öffentlichkeit für die Männer zu reservieren.

      „Familienmütter sollen“, so Pius XI. 1931 in der Enzyklika Quadragesimo anno, „in ihrer Häuslichkeit und dem, was dazu gehört, ihr hauptsächliches Arbeitsfeld finden in der Erfüllung ihrer hausfraulichen Obliegenheiten.“ Dass sie, etwa aus finanziellen Gründen, „außerhäuslicher Erwerbsarbeit nachzugehen genötigt sind“, das sei „ein schändlicher Mißbrauch, der, koste es, was es wolle, verschwinden muß“180.

      Dass die katholische Kirche in Fragen der Geschlechterordnung eher zu den retardierenden gesellschaftlichen Kräften gehörte und recht eigentlich immer noch gehört, ist weder überraschend noch unbekannt. Dem Zeugnis von der hierarchischen Spitze der Kirche aus dem Jahre 1931 lassen sich unzählige von deren pastoraler Basis hinzufügen.

      Etwa jene Anweisung des Bistums Limburg aus dem Jahre 1940, in welcher der priesterliche Examinator angehalten wird, der Braut folgende gewichtige Worte ins Gewissen zu sprechen:

      „Wenn nach göttlicher Ordnung der Mann das Haupt der Frau ist (wie Christus das Haupt der Kirche), so hat sie die Pflicht, dem Mann zu gehorchen … Von der Stunde der Trauung ab brauchen Sie den Eltern nicht mehr folgen, wohl aber müssen Sie fortan Ihrem Bräutigam gehorchen. Bei Meinungsverschiedenheiten gibt also er den Ausschlag. Ihm gehört das letzte Wort. Das mag manchmal schwerfallen, wird aber leichter und obendrein verdienstlicher, wenn Sie es Gott aufopfern.“181

      Natürlich ist diese patriarchalische Fassung der Geschlechterdifferenz keine kirchliche Spezialität. Vielmehr galt bis vor kurzem und gilt im gewissen Sinne noch heute, dass „natürliche Gleichheit aller Menschen und natürliche Ungleichheit zwischen den Geschlechtern“ den „paradoxen Kanon“ des 19. Jahrhunderts bilden, „der bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts noch selbstverständlich bleibt.“182

       3.3 Die Reaktionen der Frauen

      Wie reagieren nun aber die Frauen auf die Reaktion der Kirche? Die Lage ist ziemlich eindeutig. Das klassische katholische Frauenbild findet selbst und gerade bei den katholischen Frauen – abgesehen von einer kleinen Minderheit – nur noch Ablehnung, ja Spott.

      Die Frau sei dem Mann untertan, sie folge ihm überall hin, sie sei seine Hausfrau, sie gebäre ihm wunderschöne Kinder, die sie ganz glücklich erzieht, sie erziehe die Kinder im Glauben, daß sie in die Kirche gehen. Blablabla. Das ist es aber nicht. (…) Das Frauenbild der katholischen Kirche ist noch so, was von meiner Großmutter erwartet wurde, die sicher dann auch so war. Das ist aber nicht mehr zeitgemäß, deshalb erreicht die katholische Kirche keine Frau mehr. Keine intelligente, wache Frau mit einigermaßen Bildung.183

      Dieser Text steht nicht in einem feministischen Lehrbuch, sondern in einer Arbeitshilfe der deutschen Bischofskonferenz. Dort steht auch zu lesen, dass „64% der 30-44-jährigen“ Frauen „bei der katholischen Kirche ein bestimmtes festgefügtes Frauenbild (vermuten), das die eindimensional familienorientierte, aufopfernde, sich dem Mann unterordnende Frau zum Leitbild erklärt.“184

      Wenn die zögernde Bereitschaft der katholischen Kirche, die neuen Frauenbiografien und ihre weitreichenden kulturellen und sozialen Konsequenzen kreativ zu begleiten, damit erklärbar sein sollte, dass die verlorene kirchliche Interpretationsmacht über den Kosmos, also die Welt als ganzer, über die Gesellschaft, also ihre Machtstrukturen, nun nicht auch noch beim Körper verloren gehen soll, dann muss schlicht festgehalten werden: Auch dieser Rettungsversuch ist, wie schon jene, bei denen es um die Rettung der kosmologischen oder gesellschaftsstrukturierenden Kompetenz der christlichen Kirche ging, gescheitert. Oder genauer: Er ist gerade dabei zu scheitern.

      Denn das alte, patriarchale Mann-Frau-Verhältnis ist klassisch definiert über Körper-Zuschreibungen. Die Macht der Männer war nicht zuletzt (Deutungs-)Macht über die Körper der Frauen, das Schicksal der Frauen aber, sich ihre Alimentation und schiere Existenzberechtigung mit der Ohnmacht über ihren Körper erkaufen zu müssen.

      Doch gerade der (Frauen-)Körper entzieht sich gegenwärtig der kirchlichen Pastoralmacht: zumindest deren klassischen Zuschreibungen an ihn als gebärend, dienend, auch „unrein“ oder gefährlich lustvoll. Mit diesen Zuschreibungen aber entziehen sich die Frauen auch den patriarchalen Rollenzuschreibungen überhaupt, denn diese wurden ja von spezifischen Zuschreibungen an den Frauenkörper ideologisch abgeleitet. Frauen lassen sich in den entwickelten Gesellschaften immer weniger die Definitionsmacht über ihren Körper und damit über ihr Leben nehmen.

      Wer in dieser Situation die alte Ordnung der Geschlechter propagiert, marginalisiert sich selbst: zuerst bei den Frauen, dann aber, auf längere Sicht, auch bei den Männern. Er gerät ins Abseits der Gesellschaft, ins Abseits der Frauenbiografien und ins Abseits seiner eigenen Inkulturationsfähigkeit. Vor allem aber stellt er sich nicht der Herausforderung, das Evangelium aus neuer Perspektive zu entdecken und neue Wirklichkeiten mit dem Evangelium zu konfrontieren. Das aber ist die Aufgabe der Kirche.

      Neuere deutsche Studien185 zeigen, was auch schon die große Untersuchung der Deutschen Bischofskonferenz 1993