Zum veränderten, reflexiven Umgang mit dem Konstruktivismus in der Empirie gehört daneben die Sprache: Ein unbeteiligter Beobachter von außen könnte, hörte er Empirikerinnen und Empiriker nur reden, annehmen, er lausche einer militärischen Lagebesprechung, so wimmelt es von Ausdrücken aus dem Schlachten- und Kriegswesen, die offenbar in dieser Art von Forschung gute Dienste leisten: Da werden surveys – vom Feldherrenhügel – über Probandengruppen durchgeführt, denen in (wie Soldaten) »gezogenen« Stichproben zugesetzt wird; man geht »ins Feld«, um Schülerinnen und Schüler mit »(Frage-)Batterien« – also schnell feuernden Geschützen – zu beschießen; man geriert sich »explorativ« (also feindliches Gelände erkundend), man »interveniert«, gebraucht dazu »Instrumente« – ursprünglich die Ausrüstung der römischen Soldaten; Faktoren werden »geladen« – also schussbereit gemacht; »Quantität« und »Qualität« waren zuerst im Heerwesen gefragt (»Wie viele Kämpfer stehen zur Verfügung, und wie sind sie ausgebildet?«). Am Schluss wird, oft mit Bedauern, gesagt, die Ergebnisse (i. e. die Äußerungen, Performanzen, Leistungen der Probanden) ließen sich noch nicht »generalisieren«, also für den allumfassenden Klammerangriff (gewissermaßen mit »Generalfaktor«) anordnen. Ja, der Ausdruck »Empirie« selbst hat etwas mit dem altgriechischen Wort für das militärische »Auskundschaften« zu tun. Nun könnte man einwenden, das seien doch nur Wörter. Aber nicht nur Reinhart Koselleck, sondern viele andere gescheite Köpfe haben uns doch gelehrt: Gebrauchen wir Begriffe, schwingt in unserem dadurch stabilisierten Begreifen, wiewohl unterbewusst, immer deren Geschichte mit. Die alten Römer jedenfalls trauten ihrem Gott der Bewegung und des Wanderns, Merkur (der folgerichtig ebenso Gott der Reisenden, Migranten, Fahrenden wurde), auch das Befinden über den Wandel der Begriffe und des Gebrauchs von Wörtern zu. Sie hätten hier nicht an einen Zufall geglaubt: Empirie kann nur mit einem Denken und Methoden funktionieren, die aus Individuen Merkmalsträger machen und jene also vereinheitlichen, und man ärgert sich, wenn aus Messreihen einige Unfassbare, die sich nicht einfügen lassen, »heraushängen«, so wie Soldaten in der Nachhut einer Marschkolonne.
Sicher: Das verkennt ein wenig die qualitativen Designs, wo es in der Regel nicht um die Überprüfung von Hypothesen geht, sondern um ein Fallverstehen, eine Nachzeichnung individueller, eigensinniger, autonomer Perspektiven. Aber ehrlicherweise ist es mit solcher Autonomie nicht weit her. So wie es richtig heißt, dass Schule ist, wenn Schüler und Schülerinnen den ganzen Tag Probleme lösen, die sie, zumindest der eigenen Überzeugung nach, ohne die Lehrkräfte nicht hätten, konfrontiert auch jeder qualitativ-rekonstruierende Ansatz in der fachdidaktischen Lehr-Lern-Forschung die »Beforschten« eben mit Problemen und Fragestellungen, die nicht intrinsisch motiviert sind, von denen es jedoch zugleich heißt, sie seien für den Forschungspartner von Belang: »Du musst doch eine Haltung zum Nationalsozialismus haben«, »du musst dir eine Meinung zum transatlantischen Sklavenhandel bilden«, »du musst doch die Vorzüge der Demokratie als historisch erwiesen anerkennen«. Das ist es dann, was Wittgenstein meinte, als er sagte, wir wollten in der Untersuchung gar nichts Neues in Erfahrung bringen. Denn immer schon gehen wir davon aus, dass etwas Bekanntes und Beschreibbares da ist, wir benötigen zu dessen Erweis nur die richtigen Methoden der Spiegelung – der »Spekulation«, wie man es im Mittelalter auf Latein ausdrückte. Und im Übrigen ist ziemlich klar, was als zulässig anerkannt wird und was nicht. Oder wie viel Forschung gibt es tatsächlich darüber, was Schüler im Fach Geschichte denken oder tun, wenn sie mit der Zumutung von mit Gültigkeitsansprüchen imprägnierten Geschichten in Berührung kommen? Sind sie offensiv und draufgängerisch, oder ergeben sie sich, simulieren sie fintenreich Einverständnis oder sozial erwünschte Antworten, ducken sie sich weg oder schalten sie auf Konfrontation?
Ist empirische Lehr-Lern-Forschung also mal mehr, mal minder strenge Zurichtungsanstalt – auch wenn es einen Zweck geben mag, der manche Mittel heiligt? Das wäre nicht ganz das, weswegen wir Geisteswissenschaft, besonders Geschichte und hier vor allem historisches Lernen, veranstalten. Der Geist des Menschen lässt sich eben nicht vereinheitlichen, so wie daher auch die Wissenschaft nicht, weshalb Universitäten und eine forschende Fachdidaktik gut beraten sind, auf Diversität und Inklusion, Unabhängigkeit und Verbindlichkeit zu setzen. Und damit immer mehr und neue Reflexionsebenen einzubauen.
3Nützlich sein
Von der neuen Nützlichkeit der Geschichtsdidaktik im Konzert der Berufswissenschaften speziell, der Wissenschaften allgemein war zu Beginn bereits die Rede. Ein Aspekt, der dabei für die entscheidende Perspektivenerweiterung sorgt, kam indessen zu kurz, nämlich der, dass Fachdidaktikerinnen oder Fachdidaktiker schon de iure, meistens auch de facto von der Ausbildung her Lehrerinnen und Lehrer sind. Lehrerin und Lehrer wird oder sollte nur werden, wer von der besonderen Nützlichkeit ihres oder seines Tuns überzeugt ist (was beispielsweise nicht unbedingt für Versicherungsagenten oder Vermarkter von Fußballrechten gilt). Im Laufe der Berufsjahre wird der Nützlichkeitsgedanke gewiss Teil eines eigenen Berufsethos. Wenn daher (ehemalige) Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer geschichtsdidaktische Forschung betreiben, wird diese oft mit einer Coda geschlossen, einmal recht drastisch: Ein Befund sei »erschreckend«, »Besorgnis erregend«, »desillusionierend«, ein andermal eher dezent, nämlich dass die einen dieses oder jenes weniger tun als erwartet, dass Denken oder Handeln in die eine oder andere Richtung weiterzuentwickeln sei, dass Ergebnisse der Forschung in die Sicherung der Unterrichtsqualität einfließen möchten.
Man kann das auch komplizierter zur Kenntnis geben:
»Das geschichtsdidaktisch profilierte Modell der Problemorientierung scheitert nicht an der Unterrichtspraxis, sondern wegen der Übersetzung in leere Bekenntnissprechakte, die durch den Erfüllungswunsch einer didaktischen Mode sinnlogisch motiviert sind.« (Mehr, 2016, 173)
Das klingt nun etwas geschraubt, zudem, was im Übereifer schnell passiert, tautologisch und widersprüchlich, denn Bekenntnisse sind immer Sprechakte und können nicht leer sein (sonst wären sie keine – gemeint sind wohl schlicht »Lippenbekenntnisse«), und Wünsche streben per definitionem nach Erfüllung; ob außerdem Moden »logisch« motiviert sein können, möchte man bezweifeln (denn sind sie nicht gerade flatterhaft bzw. unberechenbar?). Aber der hierbei korrekt zum Ausdruck gebrachte Punkt ist, dass in einer anwendungsorientierten, involvierten, »eingreifenden« (Pierre Bourdieu) Wissenschaft Einschätzungen und Evaluationen der Resultate durchaus zulässig sind. Denn sie fordern auf, über das Gute und Nützliche an der Forschung nachzudenken.
Das Nützlichkeitsparadigma ist in einer steuerfinanzierten Forschung, die sich noch dazu auf einen Anwendungsbereich bezieht, der ebenso weitgehend steuerfinanziert ist – die Bildung –, nicht ganz irrelevant. Ich bin der Meinung, sowohl die theoretische Ausrichtung des jeweiligen Fachs als auch die Lehr-Lern-Forschung in den Fachdidaktiken, mindestens den geisteswissenschaftlichen, unter das Dach der Kompetenzorientierung zu bringen, war seinerzeit und ist heute immer noch ein Programm der Nützlichwerdung. Ganz besonders galt das ab dem Augenblick, als auch die universitäre Lehre bei Studierenden Kompetenzen innerhalb von gezimmerten »Qualifikationsrahmen« fördern sollte, womit die Universität einige große Schritte von der Bildungs- zur Ausbildungsanstalt getan hat. Kompetenzorientierung