1. schnell und vorübergehend wirksam (Benzodiazepine-Anxiolytika)
2. langsam und langfristig (Antidepressiva, Antipsychotika, Phasenprophylaktika/ Stimmungsstabilisierer)
4.1.1 Medikamente mit schneller vorübergehender Wirkung: Benzodiazepine-Anxiolytika
Benzodiazepine bewirken ein schnelles Nachlassen der Angst, die mit vielen psychischen Problemen einhergeht. PsychotherapeutInnen sollten diese Medikamente wohl bekannt sein, da sie bei den PatientInnen sehr beliebt sind und weil sie in manchen Fällen eine wertvolle Unterstützung der Psychotherapie darstellen können. Dies ist besonders in kurzfristigen Situationen der Fall, wenn die Spannung und die Angst bei einer PatientIn sprunghaft ansteigen (posttraumatische Zustände und Krisenzustände). Ein Nachteil bei einer langfristigen und regelmäßigen Einnahme ist, dass der Organismus auf Ebene des biologischen Funktionierens von diesen Medikamenten abhängig werden kann. Aus der psychotherapeutischen Prozess-Perspektive können diese Medikamente eine »Abkürzung« für manche PatientInnen darstellen, um mit ihren Problemen umzugehen, und können bewirken, dass diese sich von der Hilfe einer ExpertIn von außen abhängig machen.6
Abb. 4: Benzodiazepine-Anxiolytika – psychiatrische Anwendung
Die Wirkung von Benzodiazepinen setzt schnell ein und vergeht auch schnell wieder, sie hat starke Ähnlichkeit mit der Wirkung von Alkohol. Wenn eine PatientIn kurz vor einer psychotherapeutischen Sitzung Benzodiazepin-Anxiolytika nimmt, kann sie sich während der Sitzung entspannter und versöhnlicher fühlen und langsamer reagieren als ohne das Medikament. Benzodiazepine machen es ähnlich wie Alkohol einfacher, sich aus dem Kontakt zurückzuziehen und die »Erfahrung zu dämpfen«, daher tragen sie zum Abfedern unangenehmer Erfahrungen bei. »Es ist mir egal … Damit muss ich mich jetzt nicht auseinandersetzen …«. Auf diese Weise können sie vorübergehend die Vermeidung von allzu schmerzhaften Erfahrungen und damit auch das Vermeiden von existenziellen Begegnungen mit anderen Menschen, mit sich selbst und den Herausforderungen des Lebens fördern.
TherapeutInnen können mit der PatientIn ein Gefühl des »Pseudokontakts« erleben, so wie wir es von alkoholabhängigen PatientInnen kennen (Carlock / Glaus / Show 1992). Der Kontaktprozess scheint erst gut und einfach vonstatten zu gehen, doch der volle Kontakt lässt sich nicht erreichen.
Wir können die Einnahme von Benzodiazepinen als eine kreative Anpassung betrachten. Für die PatientIn stellen die Medikamente den bestmöglichen verfügbaren Weg dar, mit der schwierigen Situation umzugehen. Wenn wir den Effekt von Benzodiazepinen aus einer phänomenologischen Perspektive sehen, wird deutlich, dass sie den Kontaktzyklus verlangsamen und weicher machen. Sie haben nur eine kurzfristige Wirkung, doch sie können den Teufelskreis der Angst unterbrechen und die Selbstheilungskräfte der PatientIn aktivieren. Wir stellen mehrere Beispiele solcher Effekte vor:
• Manche Wahrnehmungen können so stark sein, dass sie zu einer massiven, die Bewusstheit blockierenden Angst führen. Wenn Benzodiazepine die Intensität der Wahrnehmungen herabsetzen, können sie der PatientIn helfen, zumindest teilweise achtsam und frei zu werden, um bewusste Entscheidungen zur Bewältigung der Situation zu treffen.7
• Sie reduzieren den Notfallcharakter der Situation und verlangsamen die Mobilisierung von Energie (z. B. Hyperventilation bei starker Angst) und können der PatientIn dadurch helfen, sich leichter für eine angemessene Reaktion zu entscheiden.
• Sie verringern die Alarmbereitschaft (zu fliehen oder zu kämpfen) des Organismus und helfen so dabei, die immer größer werdende Mobilisierung von Energie zu stoppen. So können sie es für die PatientIn leichter machen, einen Kontaktzyklus abzuschließen und sich zurückzuziehen (z. B. durch Schlaf). Gleichzeitig tragen sie zu einem Aufschub der Wahrnehmung eines neuen Bedürfnisses und dem Beginn eines neuen Kontaktzyklus bei.
Die vorübergehende Anwendung von Benzodiazepinen während einer akuten Krise ist sinnvoll. Sie bringt hier Ruhe, in deren Verlauf die Selbstheilungsprozesse des Körpers so aktiviert werden können, dass ein weiterer Einsatz von Medikamenten vielleicht gar nicht mehr notwendig ist. In der Psychotherapie ist es nützlich, sich Fertigkeiten anzueignen, die den Effekt eines potenziell abhängig machenden Medikaments schließlich ersetzen (z. B. verschiedene Arten von Entspannungstechniken oder funktionaler Deflexion). Die psychotherapeutische Unterstützung spielt also beim Festlegen des Zeitpunkts einer Dosisreduzierung oder des Absetzens von Benzodiazepinen eine erhebliche Rolle.
4.1.2 Langsame und langfristige Medikamente (Antidepressiva, Antipsychotika, Phasenprophylaktika)
Verglichen mit den schnell wirkenden Benzodiazepinen tritt die volle Wirkung dieser Medikamente erst nach längerer Zeit ein (nach Tagen, Wochen bis hin zu Monaten)8
4.1.2.1 Antidepressiva
Abb. 5: Antidepressiva – Psychiatrische Anwendung
Antidepressiva können das Erleben langfristig »weicher« machen. PatientInnen, die Antidepressiva einnehmen, beschreiben, dass das Erleben aus größerer Distanz zu kommen scheint, mit niedrigerer Intensität und Schärfe. Aus diesem Grund kann es unangebracht sein, in Fällen, in denen die Traurigkeit vom Tod einer nahestehenden Person ausgelöst wurde, automatisch Antidepressiva einzusetzen. Hier können Antidepressiva den natürlichen Trauerprozess nicht nur aufschieben, sondern manchmal sogar stoppen.
Im Falle einer Depression können Antidepressiva zu einer funktionalen Desensibilisierung beitragen. Die Gefühle von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit werden von der PatientIn nicht mehr als so qualvoll erlebt. Die verringerte Intensität der schmerzvollen Erfahrungen befähigt die PatientIn paradoxerweise, in der Psychotherapie zu arbeiten und davon zu profitieren. Es kann der PatientIn helfen, solche »verpackten« Erfahrungen mit der TherapeutIn zu teilen statt damit allein zu bleiben. Auf diese Weise wird die fixierte Gestalt der Depression in der Therapie unterbrochen (siehe Kapitel 21 über Depressionen).
Antidepressiva können nicht nur zu einer funktionalen Desensibilisierung beitragen, sondern auch zur Mobilisierung von Energie. Im Fall von schwereren Depressionen können die Antidepressiva helfen, die Energiereserven langsam wieder aufzufüllen. Diese Energie lässt sich dann von der PatientIn für notwendige Handlungen mobilisieren. »Ich habe nicht an die Antidepressiva geglaubt … Aber nach ungefähr zwei Monaten konnte ich alltägliche Dinge wieder genießen. Und ich bin ein bisschen aktiver geworden …«
Antidepressiva mildern auch Angst. Verglichen mit Benzodiazepinen tritt ihr angstlösender Effekt langsamer und weniger offensichtlich ein, hält länger an und es besteht kein Abhängigkeitsrisiko.
4.1.2.2 Stimmungsstabilisier (Phasenprophylaktika)
Abb. 6: Stimmungsstabilisier – Psychiatrische Anwendung
Stimmungsstabilisierer sind Medikamente, die bei der Erdung helfen können. Sie reduzieren die Intensität und verlangsamen die »Hochphasen« des Kontaktzyklus (Mobilisierung von Energie und Handlung). Andererseits stärken sie die »Tiefphasen« des Kontaktzyklus (das Bewusstsein von Wahrnehmungen, die Integration von Erfahrungen und Rückzug). Sie reduzieren die exzessive Intensität einer Erfahrung und ermöglichen dadurch eine angemessene Handlung und eine Kontakterfahrung. Die Vorteile solcher Wirkungen sind offensichtlich, wenn das Medikament die vorherrschende Manie oder Depression »im Zaum« hält. Zwischen den Episoden, wenn die PatientIn gut »funktioniert«, wird die Verringerung der Energiemobilisierung und der Aktivität manchmal als unangenehm erlebt. Langfristiger Gebrauch des Medikaments ist dennoch normalerweise notwendig, um schwere Manien und Depressionen zu verhindern. Eine Psychotherapie ermöglicht eine Aussöhnung mit den Einschränkungen, die die Erkrankung