Die beiden AutorInnen betreten mit diesem Kapitel ein Gebiet in der Literatur, das zu wenig erforscht ist: die Kombination von Psychopharmaka und einer Gestalttherapie. Diese beiden Behandlungsformen werden zumeist getrennt voneinander betrachtet und darum ist es den AutorInnen umso mehr zugute zu halten, dass sie sie gemeinsam behandeln: Die Einnahme der Medikamente ist also Teil der therapeutischen Situation.
Die AutorInnen beschreiben ganz deutlich verschiedene Themen, die bei der Kombination der beiden Behandlungsformen auftauchen können: der potenzielle Einfluss auf den psychotherapeutischen Prozess oder die medikamentöse Behandlung, die Art der Beziehung, die eine PatientIn während ihrer Psychotherapie zu ihrem Medikament aufbaut, die Art der Beziehung, die die GestalttherapeutIn zu Medikamenten erlebt.
Diese Themen stellen unsere Ansichten über Gesundheit und Krankheit infrage, unsere Ideologie zur Psychotherapie. Sie werden die LeserIn beim Nachdenken darüber bereichern. Auf die Grenzen der Effektivität einer Behandlung – Psychotherapie oder Medizin – wird im Text verwiesen. Hier hätte ich mir weiter fortführende Aussagen gewünscht: Was kann über die Grenzen der Psychotherapie gesagt werden, besonders über jene der Gestalttherapie? Da die Indikationen für eine medikamentöse Behandlung angeführt werden, hätte ich es geschätzt, wenn auch die Indikationen für eine Gestalttherapie Erwähnung gefunden hätten.
Verschiedene Arten von Medikamenten werden klar und präzise beschrieben; dies ist eine hervorragende Aufstellung als Grundwissen für GestalttherapeutInnen, die keine PsychiaterInnen sind. So sagen die AutorInnen zum Beispiel deutlich, dass die Verschreibung von Antidepressiva über das Verschwinden der depressiven Symptome hinaus fortgeführt werden muss (ich empfehle eine Einnahmedauer zwischen drei und sechs Monaten), was für GestalttherapeutInnen mit geringem informativem Hintergrund erstaunlich sein mag. Antidepressiva sind auch die erste Wahl bei der Medikation bei Panikattacken, während man denken könnte, dass Beruhigungsmittel am passendsten wären.
Roubal und Křivková präsentieren in ihrem Kapitel zwei originelle Metaphern für diese Kombination von medikamentöser Behandlung und Psychotherapie. Diese Metaphern können für die Praxis einer GestalttherapeutIn eine großartige Unterstützung sein. Sie belegen ihre Bemerkungen mit zwei klinischen Beispielen. Das erste beschreibt die depressive Phase einer PatientIn: Ihr Medikament stillte das Bedürfnis nach Schutz, »wie ein Mantel im Winter«. Das zweite beschreibt chronische psychotische Symptome einer Patientin, bei der die Langzeit-Behandlung mit Medikamenten »wie eine permanente Prothese« ist.
Wenn wir erwägen, dass eine medikamentöse Behandlung für jemanden momentan oder permanent notwendig ist, muss ich zugeben, dass es schwierig ist, beides zu sein, Psychiaterin und Gestalttherapeutin, auch wenn wir jede PatientIn als ein Ganzes und die Medikation als Teil der therapeutischen Situation betrachten.
So kann die Entscheidung, die Dosis an Anxiolytika zu erhöhen, wenn ich meine, dass meine PatientIn von ihrer Angst überwältigt wird, oder eine Behandlung mit Antidepressiva zu ändern, ein Versagen bei der Unterstützung des laufenden therapeutischen Prozesses darstellen. Es nicht zu tun, wäre jedoch vielleicht eine falsche psychiatrische Beurteilung und könnte das Leben der PatientIn gefährden. Keine GestalttherapeutIn-PsychiaterIn kann vergessen, dass sie zuallererst eine PsychiaterIn ist. Sie denkt in erster Linie medizinisch.
Ich stimme diesen AutorInnen jedoch zu, wenn sie sagen, dass es manchmal besser ist – für manche PatientInnen – beides zu sein, TherapeutIn und PsychiaterIn, um Spaltungen zu vermeiden. Das ist meiner Ansicht nach ein Thema bei PatientInnen mit Persönlichkeitsstörungen. Die Rollen als ExpertIn für die Verschreibung von Medikamenten und als ExpertIn für Gestalttherapie unterscheiden sich stark. Die erste vermittelt der PatientIn, dass die PsychiaterIn über Wissen verfügt und weiß, »was gut« für sie ist. Die zweite Rolle bietet Fachwissen im Erfahrungsprozess, ohne die TherapeutIn in eine autoritäre Position zu bringen.
In ihrer Schlussfolgerung verweisen die AutorInnen mit Bezugnahme auf andere AutorInnen auf das Konzept der »agency«, um die Biologie/Psychologie-Dichotomie zu überwinden. Hier werde ich, wie an ein paar anderen Punkten in diesem Kapitel, an das Buch von Perls, Hefferline und Goodman erinnert, und besonders an ihr Kapitel zum Übergang von Physiologie zu Psychologie (und umgekehrt) kommt mir als weitere Unterstützung zur Überwindung dieser Dichotomie in den Sinn (Kapitel 1.5; Kapitel 12, A.1). Das Buch Gestalttherapie betrachtet die Psychologie als Studium der kreativen Anpassungen. So können wir uns fragen, wann eine kreative Anpassung für eine PatientIn ohne Medikamente unmöglich ist. Diese Frage, die ein zentrales Thema für eine PsychiaterIn-GestalttherapeutIn ist, könnte auch von jeder GestalttherapeutIn angesprochen werden.
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