Trotz dieser Übereinstimmungen stelle ich fest, dass ich seine Behauptung, sinnvolle Forschung ließe sich am besten mit einer beziehungszentrierten Vorgehensweise durchführen, nur halbherzig unterstütze. Charakteristisch für diesen Ansatz ist, dass man eine ähnlich sensible, »beziehungsmäßig eingestimmte« Haltung gegenüber der Forschung einnimmt, wie man sie der Therapie gegenüber hat, und zu dieser Haltung gehört es, »nicht länger die Kontrolle zu übernehmen, sondern sich auf das einzulassen, was sich zwischen ForscherIn und TeilnehmerIn entwickelt« (Evans). Ich bin der Meinung, dass sich die Forschung sehr wohl von der Therapie unterscheidet. Meiner Ansicht nach können Konzepte verloren gehen, die für gründliche Forschung vonnöten sind, wenn man Forschungskriterien wie reproduzierbare Regularitäten und konsensuelle Reliabilität über Bord wirft.
Das Ziel der wissenschaftlichen Forschung lässt sich in meinen Augen am besten als Prozess beschreiben, der sequenzielle Schritte der Beobachtung/Beschreibung, Messung, Erklärung/Verstehen und Vorhersage umfasst. Das Problem bei der aktuellen Betonung der evidenzbasierten Forschung ist, dass sie sich nur im Bereich der Vorhersage bewegt und diese Art der Forschung als Krone der wissenschaftlichen Methoden betrachtet. Versuchsanordnungen, Randomisierung und Hypothesentests in der Psychotherapieforschung einzusetzen ist so, als würde man versuchen, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun. Die psychotherapeutische Forschung ist noch nicht so weit, dass sie allein mit adäquater Beschreibung, Spezifikation und Messung ihrer Phänomene und Variablen arbeiten könnte. Obwohl Evans’ Kritik der RCTs und der evidenzbasierten Behandlung stichhaltig ist, wäre es meiner Ansicht nach ein Fehler, zu schnell auf die qualitative Forschung als Rettung zu schließen. Obgleich die Unterscheidung zwischen qualitativer und quantitativer Forschung breite Unterstützung findet und als Alternative zur quantitativen Forschung angepriesen wird, bin ich der Ansicht, dass es sich um eine fehlgeleitete Dichotomie handelt, die das Thema zu sehr vereinfacht. Nicht der Gegensatz von Zahlen versus Bedeutung stellt das Schlüsselproblem dar, sondern die Erkenntnis, dass wir Beschreibung und Messungen brauchen, bevor wir zu Interpretation und Vorhersage übergehen können. ForscherInnen müssen ihre Forschungsziele klarstellen, einen pluralistischen Ansatz anwenden und sich sowohl qualitativer als auch quantitativer Mittel bedienen. Sie müssen sich vor Methodolatrie hüten – vor der Idealisierung einer Form von Methode – und alle Methoden verwenden, die sich für ihre Fragen am besten eignen. Dabei gilt es, sich um Beschreibung, Bedeutung und Messung zu bemühen und Hypothesentests einzusetzen, wenn sie dazu bereit sind. Man muss sich der Tatsache bewusst sein, dass die Bedeutungen und die Erfahrung, die die TeilnehmerInnen durch qualitative Forschungsmethoden gewonnen haben, zwar sehr wichtig sind, aber nicht immer das »Sesam öffne dich!« zu dem bieten, was passiert. Wie Perls sagte, ist die Beschreibung des Offensichtlichen etwas für Genies. Also ist die Beobachtung, die sehr bedeutend für den gestalttherapeutischen Ansatz ist, genauso wichtig wie die Erfahrung der Menschen.
Wie ich anderswo geschrieben habe, ist die Prozessforschung, die sich auf das stützt, was die Menschen in der Therapie tatsächlich machen, notwendig, um die theoretischen Grundlagen und Bestandteile bestimmter Behandlungsmethoden zu erläutern, zu prüfen und zu überarbeiten. Außerdem brauchen wir sie, um ForscherInnen in die Lage zu versetzen, die Aspekte der aktiven Veränderung zu erkennen. Damit die psychotherapeutische Forschung tatsächlich eine angewandte Wissenschaft werden kann, muss man die Veränderungsprozesse spezifizieren, die therapeutische Effekte hervorrufen.
So haben zum Beispiel intensive Beobachtungsanalysen des Veränderungsprozesses der KlientIn im Leerer-Stuhl-Dialog zur Entwicklung der wesentlichen Komponenten der Auflösung von offenen Gestalten mit einem/einer signifikanten Anderen geführt (Greenberg / Rice / Elliott 1993; Greenberg / Foerster 1996). Im Prozess der Auflösung ließ sich beobachten, wie sich die Person vom Ausdruck sekundärer Schuldzuweisung, Klage und Verletzung zu Erregung und Ausdruck der primären ungelösten Emotion und schließlich zur Mobilisierung des zuvor unerfüllten interpersonellen Bedürfnisses vorarbeitete. Eine ausreichende emotionale Verarbeitung und das Auftauchen eines neuen Gefühls führen zu einer veränderten Wahrnehmung des/der Anderen. Die Auflösung ist daran erkennbar, dass die KlientIn eine selbstbewusstere Haltung einnimmt, den/die Andere versteht, ihm/ ihr vergibt oder ihn/sie zur Rechenschaft zieht. Greenberg und Malcolm (2002) haben gezeigt, dass die KlientInnen, die in der Therapie ganz in diesen Veränderungsprozessen eingebunden waren, stärker profitiert haben als diejenigen, die es nicht waren, und stärker als diejenigen, die die allgemeineren Effekte eines guten therapeutischen Bündnisses erlebten.
7. Die Kombination von Gestalttherapie und psychiatrischer Behandlung
Jan Roubal und Elena Křivková
1. Einleitung
Der Einsatz von Psychopharmaka stellt seit 60 Jahren einen Teil der Behandlung psychischer Probleme dar. In ihrer Praxis begegnen GestalttherapeutInnen relativ häufig PatientInnen, die psychiatrische Medikamente einnehmen. Trotzdem wird das Thema der Psychopharmakotherapie und ihrer Kombination mit Psychotherapie in der gestalttherapeutischen Literatur ausgeblendet oder nur kurz in Verbindung mit anderen Aspekten der gestalttherapeutischen Arbeit erwähnt (z. B. bei Stratford / Brallier 1979; Harris 1992a, 1992b; Aviram / Levine Bar-Yoseph 1995; Resnikoff 1995; Philippson 1999; Sabar 2000; Miller 2001; Brownell 2011a und anderen). Es ist keine leichte Aufgabe, die kombinierte Anwendung von Gestalttherapie und Psychopharmakotherapie zu beschreiben, da beide Ansätze in einem anderen Paradigma begründet sind und einem anderen Verständnis von Gesundheit und Krankheit entstammen. Wir gehen trotzdem davon aus, dass ein gewisses Grundwissen um psychiatrische Medikamente auch zur verantwortungsvollen Arbeit einer GestalttherapeutIn gehört, ebenso wie das Bemühen, zu einer Einstellung zur Verwendung von Medikamenten zu kommen, die mit dem gestalttherapeutischen Ansatz übereinstimmt.
In diesem Kapitel nutzen wir unsere praktische Erfahrung als PsychiaterInnen, die als GestalttherapeutInnen arbeiten und auch mit der pharmakologischen Behandlung vertraut sind. Wir wollen versuchen, eine Einstellung zu Psychopharmaka darzustellen, ohne dabei die Individualität jeder PatientIn und die dialogische Essenz der psychotherapeutischen Begegnung aus den Augen zu verlieren. Wir schildern Ihnen unsere Bemühungen, Wege zu finden, die dichotomische Denkweise von »Psychotherapie versus Medikamente« zu überwinden.
Wenn eine PatientIn Medikamente nimmt, könnte die TherapeutIn versucht sein, den Ich-Es-Ansatz zu übernehmen (Buber 1996), als sei die PatientIn ein zu behandelndes Objekt. Doch die TherapeutIn begegnet einem Menschen mit einer einzigartigen Geschichte, einer einzigartigen Art und Weise, in Kontakt zu treten, einem einzigartigen Weg der kreativen Anpassung. Die Medikamente sind ein Teil dieser Geschichte, zum In-Kontakt-Treten und zur kreativen Anpassung. Eine TherapeutIn öffnet sich für eine menschliche Ich-Du-Begegnung im Hier und Jetzt mit dieser PatientIn und deren Lebenskontext, zu dem auch die Medikamente gehören.
Die PatientIn betritt die therapeutische Situation und wird von mehreren Faktoren beeinflusst: Vielleicht hatte sie eine schlaflose Nacht oder hat ein köstliches Mittagessen genossen oder vielleicht hat sie morgens Prozac (Fluoxetin) genommen. Die TherapeutIn betritt die therapeutische Situation ebenfalls beeinflusst von externen Faktoren: Sie hat gerade eine Tasse starken Kaffee getrunken oder hat sich in der Nacht zuvor mit ihrem Ehemann gestritten oder hat gerade eine anstrengende Sitzung hinter sich. Zwei Menschen begegnen sich und die psychiatrischen Medikamente stellen ein Steinchen in dem Mosaik der gesamten komplexen Situation ihrer Begegnung dar.
Als wir dieses Kapitel verfassten, hatten wir die grundlegende Bedeutung der menschlichen Begegnung und die Komplexität der therapeutischen Situation vor Augen, die sich nicht vereinfachen lässt (s. a. Krisch 1992b; Hanika 1992). Trotzdem verengen wir etwas später im Text absichtlich unseren Fokus auf die Einnahme von Medikamenten, um die Bewusstheit zu stärken, die mit diesem Teilaspekt des Feldes verbunden ist.
2. Die medikamentöse Behandlung als Teil der therapeutischen Situation
Wenn eine PatientIn psychiatrische Medikamente nimmt, beeinflusst dieser