[…] eine unterstützende Situation eine Situation ist, in der ein Mensch selbst-unterstützend sein kann, während er von der Unterstützung anderer abhängig ist. Selbst-Unterstützung ist unmöglich ohne eine Unterstützung aus der Umwelt. (Wollants 2007, 43)
Dies steht im Einklang mit der aktuellen Strömung weg von einer Praxis der Gestalttherapie als monopersonalem Ansatz, hin zu Therapie, die die sich entwickelnde Beziehung im therapeutischen Feld der TherapeutIn und der KlientIn anerkennt. Diese Betonung der Beziehung fördert eine Entwicklung in einen multipersonalen Ansatz, zu einem anderen Fokus.
Aus meiner Erfahrung im therapeutischen Feld schließe ich, dass die Vertrautheit und die daraus entstehenden Verwundbarkeiten beider Parteien umso mehr in den Vordergrund rücken, je mehr sich das Augenmerk auf das Beziehungsfeld von TherapeutIn und KlientIn richtet. Eben diese Verwundbarkeiten machen das ethische Verhalten beider Parteien so grundlegend wichtig. Es wird sehr wichtig für die GestalttherapeutIn, sich dieser Verwundbarkeiten bewusst zu werden und Strategien zu entwickeln, sich in ihrer psychotherapeutischen Praxis mit KlientInnen mit diesen Themen zu befassen.
Obwohl ich dieses Kapitel sehr schätze, muss ich auch eine kritische Bemerkung machen. Dan Bloom stellt klinische Beispiele von Treffen zwischen TherapeutIn und KlientIn vor, um seinen Standpunkt zu belegen. Dennoch bleibt bei mir oft ein Gefühl der Verwirrung zurück: Besonders zu Anfang des Kapitels bleibt die Botschaft, die präsentiert wird, und ihrer Verbindung mit den angestellten ethischen Überlegungen unklar. Als Leser sehe ich mich mit der Idee konfrontiert, dass ich auf meine eigenen Erfahrungen als Gestalttherapeut zurückgreifen muss, um Beispiele für die Bedeutung der ethischen Überlegungen zu finden. Ich kann das selbst, doch mir fehlt die Unterstützung des Autors. GestalttherapeutInnen, die sich am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn befinden, sind vielleicht noch verwirrter, weil sie weniger Erfahrung mit den Beziehungen haben, die im therapeutischen Feld entstehen.
Dan Blooms Erklärung der Konzepte von intrinsischer und extrinsischer Ethik und ihrer Unterschiede hilft der GestalttherapeutIn dabei, die Verwirrung aufzulösen, die in der klinischen Praxis oft entsteht. Hier machen die beiden klinischen Beispiele deutlicher, wie subtil diese beiden ethischen Konzepte sich an der Kontaktgrenze vermischen und welchen Einfluss diese Vermischung auf die phänomenologische Methodologie der psychotherapeutischen Praxis hat.
In einem der Beispiele stellt der Autor eine Klientin vor, die sich von ihrem früheren Therapeuten sehr beschämt fühlt und um eine Sitzung bittet, um ihr Vertrauen in einen Therapeuten und seine therapeutische Rolle wiederherzustellen. Dies ist ein schmerzvolles Beispiel, das aus dem Verhalten des Therapeuten resultiert. Ich denke, dass das Auftauchen von Scham in einer therapeutischen Beziehung immer ein Signal ist, sich mit ethischen Fragen auseinanderzusetzen. Ich beziehe mich dabei nicht auf die möglicherweise beschämende Erfahrung der KlientIn, die um Hilfe bitten muss, sondern auf die Erfahrung, die im therapeutischen Feld stattfindet. Scham ist ein Gefühl, das den Prozess der Selbstverwirklichung eines Menschen blockiert. Lee (1996, Vorwort, xii) führt aus, dass man sich, wenn Psychotherapie beziehungsorientiert ist und wenn Scham beziehungsorientiert ist, mit der Dimension der Scham im therapeutischen Feld befassen muss und dass es zu diesem Zweck neuer theoretischer Werkzeuge bedarf.
Unsere Aufgabe als PsychotherapeutInnen ist es, den Prozess der Selbstverwirklichung zu unterstützen und zu fördern, der den Menschen befähigt, sich kreativ an die aktuellen und kommenden Situationen des Lebens anzupassen. Alle Erfahrungen, die an der Kontaktgrenze im therapeutischen Feld stattfinden, müssen integriert werden und eine Bedeutung verliehen bekommen, die diese Anpassung unterstützt. Dabei handelt es sich um einen kreativen Prozess, und jede Behinderung dieses Prozesses, die sich in der Beziehung zwischen TherapeutIn und KlientIn herausbildet, muss als eine mögliche Ausbeutung von einer oder beiden Parteien bewertet werden. Aus diesem Grund impliziert für mich jedes Hemmnis, dass es sich um eine unethische gestalttherapeutische Praxis handelt. Meiner Meinung nach kann die Scham, die man im Beziehungsfeld der Therapie erlebt, zu einem Indikator einer unethischen Praxis werden. Die Möglichkeit dieser beziehungsorientierten Verbindung verlangt nach weiterer Untersuchung und fortgesetzter Reflexion.
Abschließend treten Aufregung und Dankbarkeit in den Vordergrund, wenn ich Dan Blooms umsichtige und eingehende Abhandlung ethischer Überlegungen in der gestalttherapeutischen Praxis lese. Er präsentiert viele Ideen und Betrachtungen, die zu weiterer Diskussion und einem Erfahrungsaustausch auf einem Gebiet beitragen werden, das für die therapeutische Praxis von höchster Relevanz ist. Auf diese Weise wird diesem Aspekt der psychotherapeutischen Praxis die Aufmerksamkeit zuteil, die ihm im psychotherapeutischen Alltag zukommt.
6. Forschung und Gestalttherapie
Ken Evans
Bis vor Kurzem wurde der Forschung in der gestalttherapeutischen Gemeinschaft nur wenig Aufmerksamkeit zuteil. Daher scheint die Schlussfolgerung berechtigt, dass das Motto »Verliere den Verstand und komm zu deinen Sinnen« in diesem Kontext allzu wörtlich genommen wurde. Zu den beachtenswerten Ausnahmen gehört die Arbeit von Professor Leslie Greenberg, der seit vielen Jahren eine bedeutende Rolle sowohl in der Veröffentlichung als auch in der Anwendung der psychotherapeutischen Forschung spielt. Greenbergs Arbeit verkörpert die Werte und Praxis der Gestalttherapie. Sein Buch Emotionale Veränderung fördern (Greenberg / Rice / Elliott 2003) war für mich die Hauptmotivation hinter meiner Entscheidung, 1994/1995 an einer britischen Universität einen forschungsorientierten Masterstudiengang in Gestalttherapie zu belegen und 2000 in diesem Bereich zu promovieren.
Weitere aktuelle Forscher von Bedeutung sind Uwe Strümpfel (Therapie der Gefühle. Forschungsbefunde zur Gestalttherapie, 2006; s. a. Strümpfel 2005, 2008), Paul Barber (Becoming a Practitioner Researcher: A Gestalt Approach to Holistic Inquiry, 2006) und Philip Brownell (Handbook for Gestalt Theory Research and Practice, 2008) (vgl. a. Amendt-Lyon 2007; Teschke 1999; Gegenfurtner 2005).
Da ich selbst gerade zwei Jahre lang an einem Buch über Forschung für PsychotherapeutInnen mitgeschrieben habe (Finlay / Evans, Relational Centred Research for Psychotherapists: Exploring Meanings and Purpose, 2009), fiel es mir schwer, mich auf einen Schwerpunkt für ein einzelnes Kapitel festzulegen. Schlussendlich ist das simple, aber ehrgeizige Ziel dieses Kapitels, GestalttherapeutInnen in Ausbildung und erfahrene GestalttherapeutInnen zu motivieren, sich der Forschung zu widmen. Inwiefern dieses Ziel erreicht wird, mag jede LeserIn selbst beurteilen.
Sowohl Psychotherapie als Forschung beinhalten eine Entwicklung des Verhältnisses vom Selbst zu Anderen und des Wachstums. Eine Schlüsselhypothese, die Linda Finlay und ich in unserem oben erwähnten Buch aufstellen, ist, dass viele der bekannten Fähigkeiten, Werte und Interessen von GestalttherapeutInnen in Wirklichkeit direkt auf den Forschungsbereich übertragbar sind. Gesprächsführung, reflexiv-intuitive Interpretation, inferenzielles Denken und die Fähigkeit zu Wärme, Offenheit und Empathie sind Qualitäten, die man sowohl in der Praxis als auch in der Forschung braucht. Tatsächlich sind wir der Meinung, dass eine kompetente, beziehungsorientiert arbeitende GestalttherapeutIn mit einer entsprechenden Einführung in qualitative Forschungsmethoden zugleich eine kompetente ForscherIn sein kann. Die Forschung wird durch die beruflichen und emotionalen Kompetenzen, die von einer beziehungszentrierten GestalttherapeutIn erwartet werden, erheblich bereichert. Umgekehrt kann die Forschung einer praktizierenden TherapeutIn indirekte therapeutische Erfahrungen bieten (Polkinghorne 1999), die unser Verständnis für die Welten unserer KlientInnen erweitern und unsere Ansichten zur Therapie infrage stellen (Cooper 2004). Gute Forschung, schreibt du Plock (2004), »sollte aus den Seiten herausspringen, um einige Aspekte unseres Daseins als TherapeutIn neu zu beleben. [Übers. a. J.]«
1. Der politische Kontext: Der Wunsch, dass die Gestalttherapie in der starken Konkurrenz des psychotherapeutischen Berufs besteht
Als GestalttherapeutInnen erscheinen wir oft naiv in unserer Vorstellung, ungeachtet