Die klinische Evidenz der Es-Funktion des Selbst (ein steifer, kontrollierender Körper und flache Atmung) und der Persönlichkeitsfunktion (das Gefühl, verrückt zu werden, die Kontrolle über sich zu verlieren), ihre Art, sich auszudrücken (Ich-Funktion), die eine auf körperlicher Ebene erlebte Sorge ausdrückt, dass sie eine so intime Sache wie das Familiengrab nicht kontrollieren kann, meine Empfindungen an der Kontaktgrenze, dass es nicht möglich ist, Gefühle mit der Patientin zu teilen – all das sind Aspekte des phänomenologischen Feldes, die für die Diagnose »Persönlichkeitsstörung vom schizoiden Typus« sprechen. Ohne diese Art der »tiefergehenden« Beobachtung der »Oberfläche« hätte ich mich zu der Diagnose »Anpassungsstörung vom depressiven Typus« verleiten lassen. Auch die kürzliche Berentung der Patientin hätte dabei vermutlich eine Rolle gespielt. Daraus hätte sich eine Intervention ergeben, die sich – wie die des vorhergehenden Therapeuten – auf eine Unterstützung der Persönlichkeitsfunktion, die soziale Definition des Selbst, konzentriert hätte. Wenn man sein Augenmerk jedoch auf die Prozesse der Ko-Kreation des Kontakts richtet und die physiologischen Unterstützungen in Betracht zieht, mit deren Hilfe die Patientin in Kontakt tritt, kann man eine Störung der Es-Funktion diagnostizieren, was nach einer gänzlich anderen Art von Unterstützung verlangt.
Eine Kombination aus Spontaneität und Nachdenken bringt mich schließlich zu der Entscheidung, die therapeutische Intervention einerseits auf meinem realen Gefühl basieren zu lassen und mich an der Frage zu orientieren, welche innere oder äußere Sicherheit mir helfen würde, mich an der Kontaktgrenze mit der Patientin soweit zu entspannen, dass ich Gefühle für sie empfinden kann. Andererseits will ich mich einer Sprache bedienen, die bei der körperlichen Erfahrung der Patientin beginnt, bei dem Gefühl der verletzten Intimität, aber bestimmt nicht bei Ermutigungen, die kein in der Situation verkörpertes Mitgefühl ausdrücken.
In diesem speziellen Fall lässt mich ein von der Patientin erwähntes Symptom aufhorchen: Sie kann sich das Wort »Tod« nicht anhören. Wenn sie es in einem Buch liest, muss sie das Buch weglegen und kann es nie wieder zur Hand nehmen. Wenn sie es in den Nachrichten im Fernsehen hört, muss sie den Raum verlassen oder den Fernseher abdrehen. Die Macht, die dieses Wort für die Patientin hat – über meine Sorge wegen ihres zwanghaften Erlebens hinaus, das ein Zeichen starker Angst ist und zu einem psychotischen Kollaps führen könnte – gibt mir einen Hinweis auf den Bereich der Konfluenz und erinnert mich an Piagets Entwicklungstheorie (1937) und das Konzept der »Verdinglichung« von Worten und Objekten, die Teil des animistischen Denkens von Kindern sein kann. Für ein Kind, dass sich in der Phase der animistischen Gedanken befindet, hat der Mond eine Seele und einen Willen, und Wörter (oder andere Objekte) können mit einem Eigenleben ausgestattet sein.
Das Auftauchen dieses machtvollen Gefühls und die Erinnerung an Piagets Theorie bilden die Basis für die epoché (ein phänomenologisches, von Husserl begründetes Konzept), in der die therapeutische Intervention gebildet wird. Ich entscheide, im Hinblick auf die Sprache zu intervenieren und sage zu der Patientin: »Das Wort ›Tod‹ ist nur ein Wort, es hat selbst keine Macht. Sie haben Macht über das Wort, nicht über den Tod selbst, aber über dieses Wort schon. Sie können es ausblenden, einfach weghören, es ersetzen. Sie haben Macht über das Wort ›Tod‹.«
Was ich sage, bedeutet keine Geringschätzung ihrer Fähigkeit, in Konfluenz mit dem durch das Wort »Tod« ausgelösten Erleben zu sein. Gleichzeitig gebe ich ihr ein gutes Introjekt, indem ich ihr beibringe, dass sich das Wort vom Tod an sich unterscheidet. Mein Gefühl gibt mir einen Hinweis darauf, dass die Art von Beziehung, die sie gewohnt ist, nach einem »kalten« Partner verlangt, der nicht fähig ist, ihre Angst mitzutragen. Dass ich ihr ein klares Introjekt gebe und dass sie es annimmt, macht es uns möglich, mit weniger Angst in Kontakt zu sein.
Diese sprachliche Neudefinition bewirkt bei der Patientin eine Entspannung des Atems und ein Öffnen ihrer Körperhaltung, die ihr sogar erlaubt, ihre Handtasche abzustellen. In der darauffolgenden Sitzung kann ich sie sogar dazu auffordern, ein paar Sätze aufzuschreiben, die das Wort »Tod« enthalten, und nachzuspüren, wie sie Macht über dieses Wort hat. Nach ein paar Wochen hat die Patientin das Problem ihrer Angst gelöst und beendet die Therapie. Sie erzählt mir, dass sie mit Zustimmung ihrer Ursprungsfamilie eine Umbettung ihrer Schwiegermutter arrangiert hat und dass es ihr viel besser geht. Sie hat das Gefühl, mehr Kontrolle über sich zu haben.
6. Schlussfolgerung
Wenn GestalttherapeutInnen mit psychopathologischem Leiden konfrontiert sind, müssen sie das, was sie bei der KlientIn sehen, hören und fühlen in eine Landkarte umsetzen, die ihr Verständnis erleichtert, wie die KlientIn ihr Erleben im aktuellen Phänomen entwickelt hat. Wir brauchen eine Theorie, um die Entwicklung der vorherigen Kontakte im Hier-und-Jetzt zu verstehen. Um dies zu erreichen, müssen wir die Idee der Entwicklungsphasen ablegen und über die Entwicklung von Bereichen nachdenken, Kontaktfähigkeiten, die sich während des gesamten Lebens autonom entwickeln und als momentane Gestalt in der therapeutischen Situation auftauchen. Ich habe hier eine Landkarte der polyphonen Entwicklung von Bereichen gezeichnet, die es GestalttherapeutInnen ermöglicht, sich zu orientieren, indem sie die verschiedenen Verflechtungen der unterschiedlichen Bereiche im Hier-und-Jetzt des therapeutischen Kontakts erkennen. Auf diese Weise können sie die Kontaktintentionalität, das Motiv des Hilfegesuchs der PatientIn, besser unterstützen.
Beim körperlichen Ansatz in der Gestalttherapie ersetzt das Konzept der Beziehungsmuster der Bewegung (Frank 2005) in gewisser Weise das, was das Konzept des Unbewussten für die Psychoanalyse ist. Die Suche nach dem unbewussten Impuls, der das Leben für soziale Beziehungen konditioniert, wird durch die phänomenologische Beobachtung ersetzt, wie die PatientIn ihre eigenen Muster konstruiert, nach denen sie sich Anderen annähert oder sich von ihnen entfernt. Auf diese Art wird das anatomische Wissen in die Bewusstheit einer Erfahrung in fieri10 integriert: Kurz gesagt geht es dabei um phänomenologischen Realismus, es geht nicht darum, den Konflikt zwischen den Ansprüchen einer erwachsenen Zivilisation und der urtümlich-wilden Spontaneität eines Kindes zu übersetzen.
Widerstände [werden] in der üblichen Charakteranalyse »angegriffen«, die »Abwehrmechanismen« werden aufgelöst usw. Wenn die Bewußtheit dagegen schöpferisch ist, dann werden eben diese Widerstände und Abwehrmechanismen … als aktive Ausdrucksformen der Vitalität angesehen … (Perls / Hefferline / Goodman 2006, Bd. 1, 51)
Das ist der Schlüssel zur Arbeit mit der Tiefe der Oberfläche, mit den körperlichen Prozessen, die im Hier-und-Jetzt den therapeutischen Kontakt bedingen: Es hat einen Grund, dass die körperliche Empfindung der PatientIn in der Beziehung besteht. Und das Gefühl, in diesem gutgemeinten Prozess unterstützt zu werden, macht es der PatientIn im Kontakt mit der TherapeutIn möglich, die körperliche Anspannung zu lösen und das Auftauchen von Bewusstheit, der Unmittelbarkeit der Sinne, der spontanen Gefühle zuzulassen. Das alte Konzept von Übertragung und Gegenübertragung kann auch durch die TherapeutIn als »an der Grenze sein« neu definiert werden: Die dichotome Mentalität, nach der die TherapeutIn den Erfahrungen der PatientIn gegenüber »neutral« bleiben muss, kann so völlig überwunden werden. Die TherapeutIn-/PatientIn-Dyade reguliert sich in dem Setting selbst und die TherapeutIn hat gelernt, dass ihre Gefühle zu diesem Feld gehören und dass sie sie für therapeutische