Beziehungen in der Kindheit. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Erste Bildungsjahre
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783035507478
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Atkinson und Kollegen (2001, S. 91) beschreibt der Begriff der Bindung »die Tendenz eines Säuglings, die Nähe zu bestimmten Personen zu suchen und sich in ihrer Gegenwart sicher zu fühlen«. Die stammesgeschichtliche Funktion von Bindung ist der Schutz der Jungen (vgl. Grossmann & Grossmann 2001) oder noch genauer: die Grundbedürfnisse Ernährung, Pflege, Schutz und Fortbewegung zu sichern. Findet ein Kleinkind bei seinen Bezugspersonen Sicherheit, bildet dies eine optimale Ausgangslage für Explorationen (vgl. Bischof-Köhler 1998).

      Die Qualität einer Bindungsbeziehung zeichnet sich durch das Vertrauen in die Erreichbarkeit sowie durch die Zuwendung der Bindungsperson aus, wenn sie zur Linderung von Leid gebraucht wird. Dazu gehört außerdem das begründete Vertrauen in die Wirksamkeit dieser Zuwendung zur eigenen Beruhigung (vgl. Buchheim 2005). Diese Qualität kann ganz verschiedenartig sein. In der Literatur werden vier Kategorien von Bindungsmustern unterschieden (siehe Tabelle 1).

Bindungstypen Merkmale der Kinder
Sichere Bindung •Zeigen offen ihren Kummer über die Trennung •Suchen bei der Wiedervereinigung Nähe •Erhalten den Kontakt •Beruhigen sich schnell und nehmen das unterbrochene Erkunden wieder auf
Unsicher-vermeidende Bindung •Lassen kein Trennungsleid erkennen •Verhalten sich gegenüber der zurückkehrenden Bindungsperson vermeidend (drehen ihr bspw. den Rücken zu) •Wenden sich stattdessen dem Spielzeug zu •Sind – wie Kinder mit sicheren Bindungen – bei einer Trennung ebenfalls beunruhigt
Unsicher-ambivalente Bindung •Suchen zwar Nähe, weisen sie aber gleichzeitig zurück •Brechen den aufgesuchten Körperkontakt ab oder wenden sich ab •Finden so kaum Beruhigung durch den Kontakt mit der Bindungsperson
Desorganisierte Bindung •Zeigen ein deutlich desorientiertes, nicht auf eine Bezugsperson bezogenes Verhalten •Zeigen inkonsistentes und emotional widersprüchliches Bindungsverhalten •Zeigen keine durchgängigen Verhaltensstrategien, die darauf gerichtet sind, die kindliche Gefühlswelt unter Einbezug der Bindungsperson zu stabilisieren

      Tabelle 1: Klassifikation der Bindungstypen in der »Fremde-Situation«[1] sowie in anderen Untersuchungskonstellationen (nach: Ainsworth et al. 1978; Hédervári-Heller 2011; Röper, von Hagen & Noam 2001; Stegmaier o. J.)

      Für Deutschland beschreiben Gloger-Tippelt, Vetter und Rauh (2000), dass ungefähr 45 Prozent der Kinder als »sicher«, 28 Prozent als »vermeidend«, 7 Prozent als »ambivalent« und 20 Prozent als »desorganisiert« in der Testsituation eingestuft werden können.

      Primäre, tragfähige Bindungsbeziehungen zeichnen sich durch emotionale Sicherheit und Vertrautheit aus. Das Bindungsverhalten zielt darauf ab, dass Nähe zu einer (erwachsenen) Person und damit Schutz und Sicherheit für den unreifen und unerfahrenen Nachwuchs gegeben ist. Betreuungs- bzw. Bindungspersonen helfen dem Kind durch ihre Nähe, Angst oder Hilflosigkeit zu bewältigen. Eine hohe Verfügbarkeit ist daher Voraussetzung für eine Sensitivität in der Betreuung. Bindungsmuster beziehen sich auf die Beziehung eines Kindes zu einer bevorzugten Person und sind keine Persönlichkeitsmerkmale. Sie beschreiben, in welchem Ausmaß und in welcher Weise das Gefühl emotionaler Sicherheit besteht (vgl. Ahnert 2008a). Largo zeigt als Kinderarzt und Forscher im Bereich der kindlichen und jugendlichen Entwicklung in seinem Modell die bindungstheoretischen Voraussetzungen für Entwicklungsverläufe in Beziehungen auf. Es wird deutlich, dass sich im Laufe der Kindheit und Jugendzeit ein Wechsel im Fokus auf die Personengruppen vollzieht (vgl. Largo & Czernin 2013).

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      Abbildung 2: Wandel und Stärke der Bindungen im Verlauf der Entwicklung. Die Flächen bezeichnen die interindividuelle Variabilität der Bindungsbereitschaft (hypothetisches Modell) (nach Largo & Czernin 2013, S. 365)

      Im Lauf des Lebens kristallisieren sich immer wieder neue soziale Beziehungen, Positionen, Rollen und Gruppierungsformen heraus. Diese basieren nicht ausschließlich auf biologischen Gesetzmäßigkeiten. Vielmehr sind sie auch in einem gesellschaftlich-kulturellen Zusammenhang begründet. So bestehen gesellschaftliche Anforderungen und kontextuell gebundene Erwartungen, die durch das jeweilige Individuum auf seine eigene Art und Weise im vorgegebenen Rahmen ausgestaltet werden (vgl. Kron 1971).

      Ein Säugling ist mit einer großen Lernbereitschaft und einem ausdrucksvollen Signalsystem ausgestattet, was es seiner Mutter oder anderen fürsorgenden Menschen ermöglicht, die Bedürfnisse des Neugeborenen zu erkennen und zu befriedigen. Die elterliche[2] Feinfühligkeit gegenüber den Signalen des Säuglings sowie die Verfügbarkeit von Bezugspersonen für das Baby bilden dabei die wichtigsten Elemente beim Bindungsaufbau. Bezugspersonen regulieren mit ihren Reaktionen auf die Signale des Säuglings als »externer Organisator« die Befindlichkeit der Kleinstkinder teilweise mit. Des Weiteren vermitteln sie ihm durch ihre Reaktion im Idealfall ein Gefühl von mehr oder weniger großer Kompetenz. Wenn Kinder eine sichere Bindung haben, fühlen sie sich in der Regel liebens- und beschützenswert (vgl. Ahnert & Gappa 2010).

      In Abhängigkeit davon, wie zuverlässig das Kleinkind die Fürsorge und Zuwendung seiner Bezugspersonen vorhersagen kann, lernt es auf diese Art bereits früh, ob seine auf die Bindungspersonen gerichteten Signale sein Leid beenden und seine Bedürfnisse erfüllen können. Ebenso merkt es, ob es geschützt und sicher seine Umwelt erforschen kann. Ein zentraler Teil der Kooperationsbereitschaft sowie der Feinfühligkeit einer Bindungsperson stellt ihre Kompetenz dar, sich in die Lage des Kindes zu versetzten und seine Bedürfnisse bei ihrem Handeln in partnerschaftlicher, aber auch verantwortlicher Weise zu berücksichtigen (vgl. Grossmann & Grossmann 2001).

      Bindung bedeutet für das Kind aber keine Fixierung auf die Bezugsperson, sondern stellt die sicherheitsgebende Basis für sein Neugierverhalten dar (vgl. Bischof-Köhler 2011). Bowlby (2002) nannte das neugierige Erkunden und Auskundschaften der Umgebung Explorationsverhalten. Es bildet eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung des Kindes und das Lernen. Ein Kind sucht demnach immer dann die Nähe zu seiner Mutter, seinem Vater oder zu einer anderen wichtigen Bezugsperson, wenn es unsicher ist oder sich unwohl fühlt. Fühlt es sich dagegen sicher und wohl, bewegt es sich weg und erkundet seine Umgebung. Die beiden Verhaltensweisen stehen im stetigen Wechsel (vgl. Bischof-Köhler 1998; Bowlby 2002).

      Die oben erläuterte Erkundung, die von einer sicheren Basis ausgeht, bildet das typische Muster der Interaktionen zwischen Kindern und ihren Bezugspersonen. Angemessenes und promptes Reagieren einer feinfühligen Bezugsperson sind dabei wichtig (vgl. Gutknecht 2010) und führen dazu, dass das Kind sich bereits in frühen Jahren wagt, Einfluss auf seine Welt zu nehmen. Diese Erfahrungen werden als günstige Basis für ein generalisiertes Konzept der eigenen Tüchtigkeit und die Entwicklung von Selbstvertrauen betrachtet (vgl. Schildbach, Loher & Riedinger 2002).

      In unserem Kulturkreis verbringen Säuglinge und Kleinkinder recht wenig Zeit mit Gleichaltrigen. Kinder im Alter zwischen zwölf und 24 Monaten bauen, sofern sie die Möglichkeit dazu haben, stabile Freundschaften auf. Dabei gilt: Wer Freundschaften pflegt, entwickelt seine sozialen Fähigkeiten schneller (vgl. Maccoby 2000; Herren 2004; Kappeler 2004). Die Kontakte und Interaktionen können unterschiedlich aussehen.[3] Sehr häufig werden Interaktionen zwischen Kleinkindern durch Objektgebrauch angebahnt und gestützt. Die Erwachsenen-Kind- sowie die Peerbeziehungen beeinflussen sich wechselseitig und weisen ihre jeweils eigenen Charakteristika auf (vgl. Bowlby 2002).

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