Beziehungen in der Kindheit. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Erste Bildungsjahre
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783035507478
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an Pädagoginnen und Pädagogen, der menschlichen Natur zu folgen. Das heißt in erster Linie, dass wir uns nicht reduzieren sollten auf das Bereitstellen von Lernmaterialien. Stattdessen können wir – nicht nur in der Frühpädagogik – den kindlichen Nachahmungsdrang und die natürliche Pädagogik nutzen. Menschenpädagogik kann und muss über Affenpädagogik hinausgehen.

      Wie bereits gesagt, sind Menschen einerseits Nachahmungsprofis und andererseits Pädagogen, und zwar von Natur aus. Und genau wegen dieser beiden Fähigkeiten sitzen wir Menschen nicht mehr wie die Affen auf den Bäumen, sondern auf bequemen Stühlen in beheizten Häusern aus Holz, Stein oder Beton. Dadurch, dass Menschen darauf spezialisiert sind, voneinander zu lernen, verlaufen Lernprozesse sehr viel schneller. Das Rad muss nicht immer wieder neu erfunden werden, und die gewonnene Zeit können Menschen nutzen, um wirklich Neues zu kreieren.

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      Abbildung 2: Menschpädagogik: Ein Vater unterstützt sein Kind beim Lernen. Foto: befa/iStock

      Interessanterweise zeigt sich der Nachahmungsdrang des Menschen nicht nur bei Kindern. Auch Erwachsene machen (fast alles) nach, was sie bei anderen beobachten (vgl. McGuigan, Makinson & Whiten 2011). Darin wird eine zweite Funktion des Nachahmens deutlich. Denn oft geht es nicht unbedingt darum, etwas Neues zu lernen – Erwachsene (aber auch Kinder) ahmen auch solche Handlungen nach, die sie schon können. Dies kann überall beobachtet werden. Denken Sie zum Beispiel an eine Situation im Fitnessstudio: Sobald einer der Kursteilnehmer etwas trinkt, machen dies einige andere nach – wahrscheinlich einfach, weil sie sich erinnern, dass trinken eine gute Idee ist. Aber auch bei Erwachsenen ist Lernen durch Nachahmung zu finden. Denken Sie für den Moment an einen Besuch bei Freunden, wo Sie ein bestimmtes Werkzeug oder Küchenutensil in Gebrauch gesehen haben und dadurch inspiriert wurden, sich auch ein solches Gerät zu besorgen. Werbung für Konsumgüter aller Art funktioniert nach genau diesen Prinzipien – Werbung nutzt den Nachahmungsdrang des Menschen (vgl. Roßberg 2010). Gönnen Sie sich einmal diesen Spaß. Beobachten sie das Nachahmungsverhalten überall im Alltag, Sie werden viele Situationen beobachten können. Es gehört zur menschlichen Natur.

      Diese Beispiele illustrieren die zwei Funktionen, die der menschliche Nachahmungsdrang hat: die Lernfunktion und eine soziale Bindungsfunktion (vgl. Užgiris 1981). Das Nachahmungslernen ist die Basis dafür, dass sich Menschen in einer Kultur auf ähnliche Weise verhalten, sich kulturübliche Gewohnheiten herausbilden – und Kinder darin hineinwachsen (vgl. Tomasello 2011). Darüber hinaus stärkt das Nachahmen die sozialen Bande zwischen Menschen. Insbesondere Sympathie und prosoziales Verhalten werden durch Nachahmung erhöht (vgl. Duffy & Chartrand 2015; Over & Carpenter 2012). Beide Funktionen können im pädagogischen Alltag in der Frühförderung genutzt werden. Die Rede vom guten Vorbild ist Eltern und Pädagoginnen bzw. Pädagogen eingängig. Weniger verbreitet ist bisher das Wissen, dass Nachahmung nicht nur das Lernen unterstützt, sondern auch das soziale Miteinander verbessert.

      Die biologisch-neurologische Grundlage für das Nachahmen von Handlungen sind wahrscheinlich Spiegelneuronen. Spiegelneuronen sind Nervenzellen im Gehirn, die sowohl bei der Handlungswahrnehmung als auch bei der Handlungsausführung aktiviert sind (vgl. Di Pellegrino et al. 1992). Es wird vermutet, dass diese Zellen bei der Beobachtung einer Handlung motorische Zellen aktivieren und so die Nachahmung der Handlung unterstützen oder vorbereiten. Gesicherte Belege für diese Vermutung gibt es jedoch bisher nicht.

      Die aktuelle Forschung deutet darauf hin, dass Spiegelneuronen ihre Funktion »lernen«. Interessant dabei ist, wie das geschieht. Es zeigt sich nämlich, dass es dabei essenziell sein könnte, selbst nachgeahmt zu werden (vgl. Cook et al. 2014). Spiegelneuronen entwickeln ihre Funktion dadurch, dass ein Individuum die eigene (aktuell ausgeführte) Handlung zeitgleich oder extrem zeitnah bei einem anderen Individuum beobachtet. Gelegenheit dafür gibt es, wenn die eigene Handlung von anderen nachgeahmt wird. Es ist gut möglich, dass sich so Spiegelneuronen im kindlichen Gehirn bilden, denn Beobachtungsstudien zeigen, dass Eltern die Bewegungen und Laute ihrer Kleinkinder sehr häufig nachahmen (vgl. z. B. Masur & Rodemaker 1999).

      Kinder ahmen alles nach. Das gehört zur Alltagserfahrung von Eltern und Pädagogen bzw. Pädagoginnen. Besonders schnell scheinen Kinder die Dinge aufzuschnappen, von denen sich Erwachsene wünschen, sie würden sie niemals erlernen – sei es, jemandem einen Klaps auf den Po zu geben, ständig am iPad zu hängen oder Schimpfwörter zu verwenden. Wie kommt das? Und worauf müssen Pädagoginnen bzw. Pädagogen achten, wenn sie den kindlichen Nachahmungsdrang zum Vorteil für die Entwicklung der Kinder nutzen wollen?

      Um zu verstehen, wie Kinder Handlungen (vom Dankesagen über Händewaschen, Holzsägen und Kuchenbacken bis zum Abschiedswinken) erwerben, braucht es zunächst etwas Theorie darüber, was Handlungen eigentlich sind. Also: Handlungen sind zielgerichtete Bewegungen. Die Bewegungen (die je nachdem mit oder ohne Werkzeuge ausgeführt werden) werden Handlungsmittel genannt. Die Handlungsmittel dienen dem Erreichen bestimmter Handlungsziele. Zum Beispiel kann das Ziel »Durst löschen« durch Trinken erreicht werden – die exakten Trink-Handlungsmittel unterscheiden sich jedoch je nach Getränk, dem Behälter, in dem sich das Getränk befindet, und dem kulturellen Kontext, in dem das Trinken stattfindet. Analog kann das Ziel »schnell an einen anderen Ort (z. B. an einen Spielplatz oder Tierpark) zu gelangen« mit unterschiedlichen Mitteln erreicht werden. Die exakten Handlungsmittel unterscheiden sich dabei nach der eigenen Position und der Distanz zum Ziel: Zum Beispiel kann man mittels schnellen Gehens oder mittels Velofahrens an den Zielort gelangen – je nach Entfernung und Fähigkeiten kommen eventuell auch Autofahren, Motorradfahren oder Zugfahren infrage. Eine derart große Auswahl von Handlungsmitteln zur Zielerreichung ist sehr oft vorhanden.

      Bei der Paarung von einem Handlungsmittel und einem Handlungsziel wird in der Handlungstheorie von einer Mittel-Zweck-Relation gesprochen. Einige Mittel-Zweck-Relationen zeichnen sich durch besondere Effizienz aus. Zum Beispiel ist »löffeln« ein wesentlich effizienteres Handlungsmittel, um das Ziel »eine Suppe essen« zu verwirklichen, als »gabeln«. Andere Mittel-Zweck-Relationen sind Konventionen. Zum Beispiel ist es eine Konvention, welche Handlungsmittel (Werkzeuge) Erwachsene zum Verspeisen fester Nahrung verwenden. Die Effizienz von Stäbchen, Messer und Gabel oder Händen unterscheidet sich nicht – vorausgesetzt der Umgang mit den verschiedenen Werkzeugen wird gleichermaßen beherrscht. Ob das eine oder das andere Handlungsmittel gewählt wird, ist lediglich eine kulturspezifische Konvention.

      Dieser knappe theoretische Einblick in die Handlungstheorie zeigt, dass Kinder beim Erlernen von Handlungen eine Vielzahl verschiedener Aspekte beachten müssen. Insbesondere kommt es beim Erlernen von Handlungen darauf an, zu erkennen, welches Handlungsziel mit welchen Handlungsmitteln verfolgt und erreicht werden kann. Dies ist komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint. Das Beispiel im Kasten soll illustrieren, dass sich selbst eine einfache Handlung, wie das Benutzen eines Regenschirms, bei genauerer Analyse als recht komplexer Vorgang – mit vielen Teilhandlungen, die jeweils Teilziele haben, die einzelne Handlungsmittel erfordern – herausstellt (siehe Kasten).

Das Benutzen eines Regenschirms zerfällt in mindestens drei Einzelhandlungen: Regenschirm nehmen, Regenschirm aufspannen und Regenschirm tragen. Voraussetzungen zum sinnvollen und erfolgreichen Nutzen eines Regenschirms sind: 1.die relevanten motorischen Fähigkeiten, um die Handlungsmittel »Greifen«, »Halten« und »Aufspannen des Regenschirms« ausführen zu können 2.Wissen um die Zweck-Mittel-Relationen der Einzelhandlungen 3.die

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