Besonders bekannt geworden im Zusammenhang mit der so genannten Neurotheologie sind der schon 1998 verstorbene Psychiater Eugene D’Aquili und vor allem sein Kollege, der Radiologe und Religionswissenschaftler Andrew Newberg. Ihr bislang bekanntestes Buch erschien 2001 unter dem Titel „Why God won’t go away. Brain Science and the Biology of Belief“; in Deutschland wurde es mit einer markanten Akzentverlagerung unter dem Titel „Der gedachte Gott. Wie Glaube im Gehirn entsteht“ publiziert. (vgl. Newberg/D’Aquili/Rause 2003)
Newberg und D’Aquili untersuchten Gehirnveränderungen während religiöser Intensiverlebnisse, genauer gesagt, während des Höhepunkts der Meditation. Die Hirnaktivität wurde mittels einer SPECT-Kamera aufgezeichnet; SPECT steht für Single Photon Emission Computed Tomograph. Vereinfacht kann man sagen, dass es ein bildgebendes Messverfahren ist, das Schichtaufnahmen von lebenden Organismen ermöglicht; die Schnittbilder zeigen die Verteilung eines schwach radioaktiven Kontrastmittels im Blut.
An diesen Versuchen nahmen acht Buddhisten und acht Franziskanerinnen teil, die alle in Meditation geübt waren. Sie befanden sich zunächst in einem ruhigen Raum, in dem sie ganz normal ihrem Meditationsritual nachgehen sollten. Wenn sie merkten, dass der Höhepunkt der Meditation kurz bevorstand, sollten sie dies mithilfe einer Schnur signalisieren, vorauf von der Versuchsleitung das Kontrastmittel über eine Leitung intravenös injiziert wurde. Dann wurde die Meditation wie sonst auch zuende geführt und anschließend die SPECT-Aufnahmen gemacht.
Die Versuchsergebnisse zeigen, dass bestimmte Areale im Frontallappen, also im Vorderhirn, stärker durchblutet, also auch stärker aktiviert sind. Dieser Bereich wird von Newberg und D’Aquili vereinfachend Aufmerksamkeitsfeld genannt und spiegelt die erhöhte Konzentration während der Meditation wider. Entscheidender noch ist eine verminderte Durchblutung im Parietal- oder Scheitellappen, in einem Bereich, der vereinfachend Orientierungsfeld genannt wird. Dieser Bereich sorgt für die Orientierung des Individuums im physischen Raum, so dass ermöglicht wird, zwischen sich selbst und allem Übrigen, dem Nicht-Ich zu unterscheiden. Wenn also die Aktivität dieses Orientierungsfeldes sich während des Höhepunkts der Meditation verringert oder gar ganz ausgeschaltet wird, wird dieser Bereich blind für eingehende Sinnesdaten. Dadurch könnte der Eindruck der Entgrenzung oder der Verschmelzung mit dem Unendlichen entstehen, von dem bei der Meditation berichtet wird.
Dieser Befund stellt einen nicht-trivialen Beitrag zur Erforschung der neuronalen Grundlagen von Einheits- bzw. All-Erfahrungen während der Meditation dar – nicht mehr und nicht weniger. Eine praktischtheologische Theorie der Religiosität wird solche Befunde zu interpretieren und zu integrieren haben.
Fazit
Die hier exemplarisch vorgestellte Studie sowie weitere unter der Bezeichnung „Neurotheologie“ firmierende Forschungsbemühungen stellen weder einen Beweis der Existenz noch der Nichtexistenz Gottes dar, darüber müssen nicht viele Worte verloren werden. Genauso wenig ist die Bezeichnung „Neurotheologie“ für sie adäquat. Dies bedeutet aber nicht, dass sie keine Relevanz für die praktische Theologie hätten – im Gegenteil: Sie zeigen interessante Befunde und steuern Erkenntnisse zu den Grundlagen der Entstehung und Entwicklung von Religiosität bei. Damit liefern sie auch Bausteine für eine noch zu entwickelnde Theorie der Religiosität. Eine solche wird sich natürlich nicht beschränken können auf den Bereich der biologischen Grundlagen der Religiosität; wohl aber stellt dies eine der Komponenten von Religiosität dar. Eine Herausforderung für zukünftige Forschungen wird es insbesondere sein, stärker auch alltägliche religiöse Phänomene und nicht nur religiöse Spitzenerfahrungen in den Blick zu nehmen.
Literatur
Angel, H.-F., Das Religiöse im Fokus der Neurowissenschaft. Die Emergenz von Religiosität als Forschungsgegenstand, in: Ders. (u.a.), Religiosität. Anthropologische, theologische und sozialwissenschaftliche Klärungen, Stuttgart 2006, 53-68.
Ders., Neurowissenschaft als Anfrage an theologische Theoriebildung. Denken – Fühlen – Glauben: Im Vorfeld einer Theologie der Religiosität, in: E. Dirscherl/C. Dohmen (Hgg.), Glaube und Vernunft. Spannungsreiche Grundlage europäischer Geistesgeschichte, Freiburg i.Br. 2008, 315-345.
Azari, N. et al., Neural correlates of religious experience, in: European Journal of Neuroscience 13 (2001), 1649-1652.
Newberg, A.B./D’Aquili, E.G./Rause, V., Der gedachte Gott. Wie Glaube im Gehirn entsteht, München 2003.
Persinger, M.A., Neuropsychological bases of God beliefs, New York 1987.
Ramachandran, V./Blakeslee, S., Die blinde Frau, die sehen kann, Hamburg 32002.
Ottmar Fuchs
Re-Formation des Glaubens in der Diakonie – Plädoyer für die Rekonstruktion einer diakoniekritischen Reformationsgeschichte
Messianische Reformation
Die „Reformation“1, die der Messias gegenüber seinen Gegnern zur Geltung gebracht hat, ist hauptsächlich in einem anderen Verhältnis von Wort und Tat, von Glaube und Erfahrung zu finden. Dementsprechend leistet sich Jesus selbst keine Rede von Gott außerhalb konkreter, heilender und rettender Begegnung. Er spricht vom Reich Gottes, wenn er in der Begegnung mit Armen, Stigmatisierten und Schwachen seine Heilsbotschaft im Heilen tut bzw. indem er den Sündern Gottes Vergebung zuspricht. Er spricht auch vom Reich Gottes, wenn er sich in seinen Reden und Gleichnissen für die Armen und Leidenden solidarisiert: Wenn ich mit dem Finger meiner Hand heile, schlimme Entfremdungen austreibe und wenn ich gegen die Marginalisierung der Leidenden und Ausgegrenzten spreche und handle, dann ist das Reich Gottes zu euch gekommen! (vgl. Lk 11,20) So wird in seinen realisierten wie auch erzählten Geschichten dem Begriff Gott eine unmissverständlich praktische Eindeutigkeit verschafft. Diese Geschichten verdrängen nicht, sondern nehmen die leidende Welt auf und erzählen eben darin das Wirken Gottes unter den Menschen, welches sich immer wieder auf den elementaren Widerspruch zwischen denen, die Leid schaffen, und denen, die das Leid bekämpfen, konzentriert und sich in diesem Widerspruch aufreibt.
So weist Jesus auf die Anfrage Johannes' des Täufers die „Wahrheit“ seines Evangeliums dadurch aus, dass er ihm in Anschluss an Jesaja seine heilenden Taten berichten lässt: „Blinde sehen wieder, Lahme gehen und Aussätzige werden rein; Taube hören […] und den Armen wird das Evangelium verkündet“ (Lk 7,22). So wird der wiederkommende Herr uns danach fragen, ob wir ihm in den Hungernden zu essen gegeben haben, oder ob wir ihn als den Fremden aufgenommen und als den Kranken besucht haben. (vgl. Mt 25,31-46) So ist der Ketzer in der Samaritergeschichte der Gerechtfertigte, weil er dem Leidenden hilft; und der Priester, auf den Tempel fixiert, um dort den „eigentlichen“ Gottesdienst zu vollziehen, hat nichts verstanden. (vgl. Lk 10,25-37) So stellt Jesus den Mann mit der verdorrten Hand in die Mitte der Synagoge, wo sonst die Tora-Rolle, das Wort Gottes selbst Platz hat, um ihm dort heilend zu begegnen. (vgl. Mk 2,27-3,6) Und auch die Geschichte vom Messiasbekenntnis des Petrus und seiner Flucht vor der riskanten Messiasnachfolge in der Tat (vgl. Mt 16,13-27) gehört hierher: Für das Bekenntnis wird Petrus als der „Fels“ der Kirche seliggepriesen, für die Flucht vor der realen Nachfolge des sich hergebenden und gewaltlosen Messias freilich wird er als Satan betitelt.
Auch der tödliche Konflikt entzündet sich an der unversöhnlichen gegensätzlichen Praxis der Kontrahenten, die diese mit dem Gottesbegriff verbinden. So heilt Jesus die durch die Menschen produzierte Sprachzerstörung bezüglich des Gottesbegriffs, indem er diesen Begriff durch seine eigene Geschichte aus der paradoxen Kommunikation herausholt, in der der Begriff Gott mit einer seiner Wirklichkeit gegenüber kontraproduktiven Praxis der Unterdrückung und Zerstörung der Menschen verbunden wird. Wer dieser „Geschichte“ nachfolgt, beteiligt sich selbst nicht nur an der Wiedergewinnung des