Der Ausschluss des Gattenwohls als Ehenichtigkeitsgrund. Benjamin Vogel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Benjamin Vogel
Издательство: Bookwire
Серия: Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429063610
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der Partner untereinander an und bedeutet klassisch überwiegend „Gatte“ bzw. „Gattin“.146 Coniux/coniuges wird kodikarisch einheitlich in diesem Sinne verwendet.147 Eine nähere inhaltliche Bestimmung dieses Wohls oder Wohlergehens der Eheleute wird in c. 1055 § 1 nicht vorgenommen. Das bonum coniugum wird nicht auf einzelne Bereiche beschränkt, bspw. auf das physische oder das geistliche Wohl. Ausgehend vom Wortlaut der Norm ist das Wohlergehen der Partner in einem umfassenden Sinn gemeint. Eine weitergehende inhaltliche Bestimmung ist auf der Basis des Gesetzestextes nicht möglich; die Frage danach muss vorerst offen bleiben und ist auf der Grundlage des noch zu erhebenden Befundes aus Rechtspraxis und Doktrin weiter zu verfolgen.148

      Der Gesetzgeber normiert in c. 1055 § 1, dass die Ehe nicht allein auf das Wohl der Ehegatten hingeordnet ist, sondern auch auf die Zeugung und die Erziehung von Nachkommen. Beide Hinordnungen werden mit der kopulativen Konjunktion atque verbunden, die eine Gleichstellung ausdrückt.149 Von daher besteht nicht eine Rangfolge zwischen der Hinordnung auf das bonum coniugum bzw. der Hinordnung auf Elternschaft, sondern es handelt sich um zwei gleichrangige Dimensionen. Diese Gleichrangigkeit wird jedoch verschiedentlich bestritten, indem – zutreffend – darauf hingewiesen wird, dass im Codex unterschiedliche Regelungen hinsichtlich der beiden Hinordnungen getroffen werden: So können Partner, bei denen eine Zeugungsunfähigkeit vorliegt, eine gültige Ehe schließen, obwohl sie die Hinordnung auf Elternschaft physisch nicht verwirklichen werden können.150 Zulässig ist auch der Verzicht auf Kinder im Sinne der sog. Verantworteten Elternschaft.151 Vergleichbare Bestimmungen für das Gattenwohl bestehen hingegen nicht.152 Dass eine gültige Ehe mit der Unfähigkeit zur Verwirklichung des Gattenwohls oder mit einem vorehelich erklärten Verzicht auf seine Realisierung vereinbar sei, wird in der Doktrin nicht vorgetragen. Bruno Primetshofer zieht hieraus den Schluss, dem bonum coniugum komme „der Primat im System des kanonischen Eherechts zu.“153 Klaus Lüdicke folgert, zwar gehöre die Hinordnung auf das Gattenwohl konstitutiv zum Ehebegriff, nicht aber die Hinordnung auf Elternschaft.154 Während der erste Teil dieser Aussage in der Literatur nicht auf Widerspruch stößt, wird Lüdickes Auffassung zur Bedeutung der Elternschaft kritisiert.155 Der Gesetzgeber lege nämlich zwar keine unbedingte Pflicht zur Zeugung fest, dass er damit dem Gattenwohl einen höheren Rang vor der Elternschaft einräume oder die Elternschaft aus dem Wesensbereich der Ehe herausnehme, sei allerdings nicht ersichtlich.156 In der Tat stehen beide Hinordnungen der Ehe in c. 1055 § 1 gleichgeordnet nebeneinander – eine bewusste Entscheidung der Revisoren des CIC, die auf diese Weise die Ehelehre von Gaudium et spes mit Bedacht übernommen haben, um die Rangfolge der ehelichen Sinngehalte zu überwinden.157

      Das bonum coniugum ist ein neuer Begriff im kanonischen Eherecht. Zu seiner formalen Bestimmung werden verschiedene Konzepte und Kategorien herangezogen.

      Ein Ansatz greift auf die Ehelehre des Augustinus zurück. Sie hat bis heute Einfluss darauf, wie kirchliches Lehramt und Kanonistik die Ehe und ihr Wesen beschreiben.158 Augustinus entwickelte seine Position in Auseinandersetzung mit dem Manichäismus.159 Diese das Leibliche und damit auch die Sexualität verdammende Weltanschauung bedeutete eine Infragestellung der jüdisch-christlichen Tradition, nach der die Ehe als von Gott gestiftet und damit als gut gilt.160 Zur Rechtfertigung der Ehe setzte Augustinus dem Manichäismus drei Güter (bona) entgegen, welche die Ehe auch nach dem Sündenfall als solche gut machen: Die Ehe ist gut, weil es gut ist, Nachkommen zu zeugen und zu erziehen (bonum prolis), weil es gut ist, dass sich die Ehepartner ein Leben lang treu sind (bonum fidei) und sich durch die Ehe untrennbar gebunden wissen (bonum sacramenti).161

      Versteht man den prokreativen Sinngehalt der Ehe als bonum prolis, könnte es (wenigstens begrifflich) naheliegend erscheinen, das bonum coniugum als partnerschaftlichen Sinngehalt analog zu den drei augustinischen bona matrimonii zu bestimmen. In diesem Sinne erweitern einzelne Autoren augustinische Güter-Trias um ein viertes bonum, das bonum coniugum.162 Dabei wird nicht berücksichtigt, dass die augustinischen Ehegüter weder Aufnahme in den Codex von 1917 noch in den von 1983 gefunden haben. Sie können daher nur sehr eingeschränkt zur Bestimmung des Wesens der Ehe aus rechtlicher Perspektive dienen.163 Bedeutsamer ist allerdings ein sachlicher Aspekt: Die Gatten sind nicht – wie die übrigen bona – ein Qualitätsmerkmal der Ehe, also etwas, das die Ehe gut macht oder ihr einen Wert verleiht.164 Die Eheleute sind nicht Objekte zur Rechtfertigung der Ehe, sondern die Subjekte, die miteinander diesen Lebensbund begründen und eingehen. Eine Bestimmung des bonum coniugum als Ehegut analog zu den augustinischen bona matrimonii ist daher weder in der Sache angemessen, noch kann sie sich auf den Gesetzestext berufen; sie ist daher abzulehnen.

      Ein weiterer Versuch, das bonum coniugum formal zu bestimmen, setzt bei der Kategorie der Ehezwecke aus dem CIC/1917 an. Dort wurden Zeugung und Erziehung von Nachkommen als Primärzweck (finis primarius) der Ehe bestimmt, sekundär diente die Ehe zur gegenseitigen Hilfeleistung der Partner sowie zur Heilung der Begierlichkeit.165 Der CIC/1983 hat den Begriff der Ehezwecke nicht übernommen, in Kanonistik und Judikatur wird jedoch auch nach Inkrafttreten des neuen Codex damit operiert. Gattenwohl und Elternschaft werden als neue Ehezwecke identifiziert.166 Beide Sachbereiche lassen sich im neuen Codex jedoch nicht länger mit dieser Kategorie erfassen: Das geltende Recht beinhaltet die Zwecklehre des CIC/1917 nicht mehr, sie wurde „völlig aufgehoben“167. Die Ehe ist angesichts der in Gaudium et spes vorgelegten Lehre nicht mehr als „Mittel zum Zweck“, also zur Zeugung von Nachkommen und zu einer bestimmten Form von Unterstützung der Eheleute, anzusehen. Das Wohl der Gatten und die Zeugung und Erziehung von Nachkommen gehören vielmehr als „Finalität in die Relation von Wille und Ziel“168, sind kein von den Partnern losgelöstes Gegenüber, dem diese bloß zustimmen und in das sie durch die Eheschließung eintreten, „sondern die Hinordnung gründet innerlich in der Eigenart der Ehe als umfassender Lebensgemeinschaft.“169 Das ordinatum ad drückt ein Ausgerichtet-Sein, eine Zielrichtung aus. Bonum coniugum und Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft können daher als Ziele der Ehe aufgefasst werden. „Zweck“ und „Ziel“ wurden im älteren deutschen Sprachgebrauch häufig synonym verwendet,170 in jüngerer Zeit wird mit „Ziel“ im Unterschied zum Zweckbegriff eine „innere Wesens- und Sinnbestimmung“171 ausgedrückt. Die Rede vom „Zweck“ hingegen suggeriert das Vorhandensein bestimmter Mittel zu dessen Erfüllung. Auch deshalb erscheint der Zielbegriff im Zusammenhang mit Gattenwohl und Elternschaft angemessener als das Zweck-Konzept. In der deutschsprachigen Kanonistik findet eine weitergehende terminologische Differenzierung statt, indem nicht einfachhin von Zielen der Ehe die Rede ist, sondern bonum coniugum und procreatio et educatio prolis aus c. 1055 § 1 als Sinnziele,172 Wesenssektoren173 oder Wesensziele174 bezeichnet werden. In der vorliegenden Arbeit wird der Terminus Sinnziel verwendet, weil er einerseits die sprachliche Abhebung vom Zweckbegriff ermöglicht und im Gegensatz zu bspw. Wesenssektor andererseits die in c. 1055 § 1 ausgedrückte Zielperspektive zum Ausdruck bringt. Es besteht ein Grundzusammenhang zwischen der Ehe und ihren Sinnzielen Gattenwohl und Elternschaft, sie stellen die beiden Dimensionen dar, auf welche die Ehe als umfassende Lebensgemeinschaft hingeordnet ist.

      Um zu erklären, inwiefern das bonum coniugum bzw. die ordinatio ad bonum coniugum für die Ehegültigkeit relevant sind, zieht die Kanonistik c. 1101 § 2 heran.175 Die Norm beschreibt mehrere Formen von volitiven Konsensmängeln, die dann vorliegen, wenn einer oder beide Nupturienten durch einen Ausschluss den Ehewillen so verändern, dass keine gültige Ehe zustande kommt. Der Gesetzgeber unterscheidet dabei zwischen dem Ausschluss der Ehe selbst, dem Ausschluss einer Wesenseigenschaft und dem Ausschluss eines Wesenselements der Ehe und nennt damit drei mögliche Anknüpfungspunkte für eine formale Bestimmung des bonum coniugum.

      Nach Ansicht mancher ist bonum coniugum ein Synonym für die Ehe.176 Dabei