Wessenberg war sich der Schwierigkeiten seiner Wiener Mission wohlbewusst; dennoch unterzog er sich ihr, weil ihm der „Fürstenprimas“ – wie er schrieb – „als das einzige geeignete Organ erschien, um von Amtswegen die Einleitung zu einer zeitgemäßen kirchlichen Einrichtung Deutschlands zu veranlassen“, und „ich die volle Gewißheit hatte, daß sonst die Finsterlinge freien Spielraum haben würden, und ich wenigstens hoffen durfte, in Wien, wo nicht das Gute zu bewirken, doch viel Bösem und Verkehrtem entgegenzuwirken“33. Da er keinen offiziellen Gesandtenrang bekleidete, vermochte er nur private Kontakte zu den Kongressgesandten zu knüpfen, was ihm jedoch dank seiner verwandtschaftlichen Beziehungen zu den beiden Vertretern Österreichs auf dem Kongress, nämlich zu seinem Bruder Johann Philipp, in dessen Haus er wohnte, und zum österreichischen Außenminister (und nachmaligen österreichischen Staatskanzler) Clemens Wenzel Lothar Fürsten von Metternich-Winneburg (1773-1859), der den Kongressvorsitz führte, erleichtert wurde. Als sich in den Diskussionen auf dem Kongress frühzeitig ein Zusammenschluss der deutschen Mittelstaaten – mit oder ohne Preußen und Österreich – zu einem Staatenbund abzuzeichnen begann, reklamierten drei selbsternannte, tatsächlich vom Luzerner Nuntius gesteuerte Sprecher des deutschen Episkopats (der aber als solcher kaum mehr existierte) in einer an den Kongress gerichteten Denkschrift die Wiederherstellung der deutschen Kirche mitsamt ihren einstigen Gütern und Rechten, und zwar unter Hinweis auf die Restitution der 1801/02 von Frankreich okkupierten linksrheinischen Reichsgebiete34, für deren Verluste die davon betroffenen weltlichen Reichsfürsten damals mit säkularisiertem Reichskirchenbesitz entschädigt worden waren. Zugleich agitierten diese „Oratoren“ und ihre Anhängerschaft im Zusammenwirken mit dem Wiener Nuntius Antonio Gabriello Severoli mit allen Mitteln gegen Wessenberg und dessen Mission. Gegnerschaft erwuchs ihm desgleichen von Seiten des Kardinalstaatssekretärs Ercole Consalvi, der auf dem Kongress den Papst vertrat und ursprünglich nur den Auftrag hatte, die Wiederherstellung des von Napoleon okkupierten Kirchenstaats, der päpstlichen „Sovranità Temporale“, sowie die Restitution der durch die Säkularisation in Deutschland konfiszierten Kirchengüter zu fordern. Die Befassung mit der deutschen Kirchenfrage als solcher wurde ihm erst von den „Oratoren“ aufgedrängt; jedoch befürwortete er zunächst ebenfalls eine Gesamtordnung der Kirche Deutschlands auf der Grundlage eines Bundeskonkordats, jedoch keinesfalls im Sinne Dalbergs und Wessenbergs.35 Unter diesem Eindruck hielt es Wessenberg an der Zeit, sich nun auch seinerseits zu Wort zu melden, weit entfernt davon, sich wie diese drei „Oratoren“ und Consalvi der Illusion hinzugeben, man könne das „Rad“ nochmals zurückdrehen und die deutschen Fürstenstaaten zu einer Rückgabe der säkularisierten Kirchengüter veranlassen. Am 23. November 1814 überreichte er dem Fürsten Metternich, ebenfalls „im Namen des deutschen Episkopats und gemäß dem Auftrage und der Aufforderung der bedeutendsten Vorsteher der deutschen Kirche“ – Dalberg durfte er dabei offiziell nicht erwähnen –, vier Denkschriften36. Deren wichtigste hatte er mehreren „hervorragende[n] Geistliche[n], Bischöfen und Bistumsverwesern, zur Begutachtung zugeleitet“ und für sie von den meisten „volle Zustimmung“ erhalten37, so dass er sich als ihr Sprecher verstehen durfte. Diese Denkschrift38 betraf das eigentliche Anliegen seiner Mission: die dringend notwendige Neuordnung der „seit zwölf Jahren“ in einem beispiellosen „Zustande von Verlassenheit“ sich befindenden katholischen Kirche Deutschlands durch ein von der obersten Bundesbehörde mit dem päpstlichen Stuhl abzuschließendes Konkordat über die kanonische Einrichtung, Dotierung und gesetzliche Sicherstellung ihrer Erz- und Bistümer „im Umfange des deutschen Bundes“. Das Konkordat solle als wesentlicher Bestandteil der Verfassung des deutschen Bundes unter dem Schutz der obersten Bundesbehörde und des Bundesgerichts stehen, und im Umfang seiner Geltung sollten alle Bistümer zusammen „ein Ganzes, als deutsche Kirche unter einem Primas bilden“. Es folgten Einzelheiten über die Dotierung, über die Wiederherstellung der (von den Staaten eingezogenen) milden Stiftungen und über die von den Staatsbehörden zu schützende „freye Wirksamkeit der katholischen Kirchenbehörden“.
Während im Frühjahr 1815 infolge der plötzlichen Rückkehr Napoleons auf die politische Bühne der Kongress zwischenzeitlich stagnierte und sich aufzulösen drohte, arbeitete Wessenberg eine weitere umfängliche Denkschrift aus, die er im April 1815 unter dem Titel „Die Deutsche Kirche. Ein Vorschlag zu ihrer neuen Begründung und Einrichtung“ anonym im Druck erscheinen und verteilen ließ39. Sie enthielt 1. eine ausführliche Erläuterung seiner Konzeption einer künftigen deutschen Kirche40, 2. Gedanken „Ueber den Geist und das Wesen eines Konkordats für den deutschen Staatenbund“41, 3. den „Entwurf eines Konkordats für den deutschen Staatenbund“42, um auf dieser Vertragsbasis „ein harmonisches Verhältniß und Zusammenwürken der politischen und geistlichen Gewalten zur Beförderung des sittlich religiösen Wohls der Völker“ zu begründen43, und 4. den Entwurf eines „organischen Gesetzes“ zum Konkordatsvollzug44, verbunden mit einem Appell zu religiöser Toleranz, um nach der konfessionellen „Durchmischung“ der Bevölkerung in den einzelnen Staaten infolge der Säkularisation die staatliche Integration konfessioneller Minderheiten zu befördern45.
Kernpunkt des Konkordatsentwurfs – der unter anderem viele Reformanliegen Wessenbergs wie die Klerusbildung und -fortbildung enthielt – betraf den Vorschlag, die deutsche Kirche in drei Kirchenprovinzen mit je einem Erzbischof in Mainz, Salzburg und Münster zu gliedern und den Erzbischof von Mainz als ehemaligen Kurfürsten und Reichserzkanzler mit der „Würde eines Primas der deutschen Kirche“ zu bekleiden. Er sollte unbeschadet der Rechte der beiden anderen Erzbischöfe den ersten Rang unter ihnen einnehmen und den Vorsitz in allen Versammlungen der deutschen Bischöfe – die seit Jahrhunderten nicht mehr gemeinsam getagt hatten – innehaben.46 Kraft päpstlicher Übertragung sollte ihm, zusammen mit dem ältesten Bischof der jeweiligen Provinz, – nicht einem Nuntius – die Führung der Informativprozesse über die kanonische Eignung der neugewählten Bischöfe47 sowie „die Korrespondenz und Leitung der Verhandlungen in allen gemeinsamen Angelegenheiten der deutschen Kirche mit dem Päpstlichen Stuhle sowohl, als der obersten Bundesbehörde“