Als letztes Beispiel für Lünings Amtstätigkeit sei ein eigenes Rubrikenbuch genannt. Im Jahre 1821 erschien in Aschaffenburg ein unter Lünings Namen für den Distrikt Erfurt herausgegebenes eigenes Direktorium für die Feiern der Heiligen Messen.66 Wie weit es unter den Pfarrern verbreitet werden konnte, ist noch aus ortskirchengeschichtlicher Perspektive weiter zu erforschen.
3.4 Zum Ende und zur Überführung des Apostolischen Vikariates
Im Sommer 1821 stand Ferdinand von Lüning mit 66 Jahren auf dem Höhe- und Wendepunkt seiner Amtsvollmachten als (pensionierter) Fürstbischof von Corvey, als päpstlich ernannter Bischof von Münster (Einführung: 7. Juli 1821) sowie als Apostolischer Vikar für das Eichsfeld und Erfurt. Doch durch die Zirkumskriptionsbulle für das katholische Kirchenwesen im Königreich Preußen „De salute animarum“ (16. Juli 1821) waren die neuen Grenzen auf die Eingliederung von Erfurt und vom Eichsfeld ins Bistum Paderborn gesetzt worden, während Lüning sein „Mini-Bistum“ Corvey, das ebenfalls an Paderborn fallen sollte, bis zu seinem Lebensende verwalten wollte und durfte.67
Im neu umschriebenen neuen Bistum Münster glaubte Bischof Lüning nach seiner Einführung am 5.-7. Juli 1821 als „von außerhalb“ ernannter neuer Bischof wegen der Parteiungen im Domkapitel zunächst keinen Generalvikar bestellen zu können „und stürzte sich selbst mit Feuereifer in die Arbeit“.68 Der gesamtpreußische bzw. überregionale Exekutor der Zirkumskriptionsbulle war der Ermländische Fürstbischof Josef von Hohenzollern.69 Dieser fragte am 17. September 1821 Lüning speziell an, „ob er auch die sächsischen Territorien bis zur Übernahme“ des Paderborner Fürstbischofs Franz Egon von Fürstenberg „weiter verwalten wollte“. In einem gewundenen und weitschweifigen Antwortschreiben vom 19. Oktober 1821 erklärte Fürstbischof Lüning dem Exekutor, dass er „Weimar, Erfurt und das Eichsfeld gerne abgebe“.70 Vielleicht war das bei Ferdinand von Lüning schon so etwas wie eine Vorahnung, dass er selbst nicht mehr eine offizielle Übergabe des Apostolischen Vikariates würde durchführen können.
So berichtete am 1. Dezember 1821 aus Münster der „Internuntius“ Luigi Ciamberlani schon nach Rom von der „Altersschwäche und Geistabwesenheit“ des Münsterer Bischofs Lüning. Denn dieser hatte bereits am 29. Oktober, also zehn Tage nach dem Verzichtsangebot auf das Apostolische Vikariat, dem Ermländischen Fürstbischof Josef von Hohenzollern, dem westfälischen Oberpräsidenten Ludwig Freiherr von Vincke, dem Münsterer Domkapitel und der Geistlichkeit im Bistum Münster angezeigt, dass er zur Herstellung seiner sehr geschwächten Gesundheit und zur Erleichterung der Diözesangeschäfte den Offizial Dr. Jodocus Hermann Zurmühlen (†1830) einstweilen und bis auf Widerruf zu seinem Provikar ernannt habe.71 Damit konnten zwar die laufenden Geschäfte der Münsterer Diözesanverwaltung abgewickelt werden, aber anstehende große Aufgaben der Reorganisation gemäß der Zirkumskriptionsbulle stagnierten durch die Erkrankung des Fürstbischofs Lüning. Die dann fortdauernde Erkrankung veranlasste den preußischen Justizminister Friedrich Leopold von Kircheisen (1810-1825) sogar, die Einleitung eines „Blödsinnigkeitsprozesses“ gegen Bischof Lüning zu beantragen, wozu sich die westfälischen Justiz- und Verwaltungsbehörden jedoch nicht durchringen konnten oder wollten.72
Mit der ersten Ausführung der Bestimmungen der Zirkumskriptionsbulle wurde der Münsterer Provikar und Generaladministrator Lünings, Dr. Zurmühlen, beauftragt, der u.a. auch das neue Domkapitel im Bistum Paderborn im Jahre 1823 einführen sollte. Knapp drei Monate nach der verzögerten Einführung Bischof Lünings in Münster war seine Amtsunfähigkeit eingetreten, was faktisch bereits ein Ruhen seines Apostolische Vikariates im Eichsfeld und in Erfurt bedeutete. So wurde nach mehr als einem weiteren halben Jahr der „bedauernswerte Zustand der Geistesschwäche des Bischofs Lüning“ ab Sommer 1822 wieder Thema in den diplomatischen Verhandlungen zwischen der preußischen Gesandtschaft in Rom und der päpstlichen Kurie, zumal auch der Provikar Dr. Zurmühlen bereits 74 Jahre alt war. Die preußische Seite wollte erreichen, dass der Ermländische Exekutor Josef von Hohenzoller inländische Verweser bestellen könne und keine neuen Apostolischen Vikare mehr zulasse. Am 10. und 14. Januar 1823 stimmte die Kurie zu, dass für den erkrankten Bischof Lüning der Provikar Dr. Zurmühlen für das Bistum Münster weiterhin bevollmächtigt sein sollte. Im Bistum Corvey sollte der Generalvikar Carl Alexander Freiherr von Schade die Vertretung Fürstbischof Lünings ebenfalls fortführen können.73
Für die vormals Mainzischen Gebiete in Thüringen bestellten ebenfalls zwischen Preußen und der Kurie übereinstimmend die kurialen Dokumente im Hinblick auf die anstehende Vereinigung mit dem neuen Bistum Paderborn den Generalvikar und Offizial des Paderborner Fürstbischofs von Fürstenberg, Richard Konrad Dammers († 1844), zum neuen Verwalter. Als Ende der Amtstätigkeit des Apostolischen Vikars für das Eichsfeld und Erfurt, Fürstbischof Ferdinand von Lüning, ist in der Literatur der 13. April 1823 bekannt, an dem er die Jurisdiktion über das Obereichsfeld mit Heiligenstadt dem Apostolischen Vikar Dammers in Paderborn übertrug.74 Genauer wissen wir schon aus dem Dekret der Konsistorial-Kongregation vom 11. Januar 1823 von der Ernennung Richard Dammers zum neuen Apostolischen Vikar. Da in Rom der erbarmungswürdige körperliche und geistige Zustand des Bischofs von Corvey und Münster bekannt war, sollten die für das Bistum Paderborn neu zugewiesenen Gebiete des kurkölnischen Sauerlandes und die Gebiete von Erfurt und dem Eichsfeld dem Paderborner Apostolischen Vikar Richard Dammers unterstellt werden.75 Zur weiteren Entwicklung vermerkt die Paderborner Bistumsgeschichte bisher nur: „die Überleitung des Apostolischen Vikariats Erfurt und Heiligenstadt begann 1823 und kam 1826 zum Abschluß“.76
4. Erste Würdigung des „ letzten Fürstbischofs“ im Eichsfeld und in Erfurt
Blicken wir auf das Apostolische Vikariat von Fürstbischof Ferdinand von Lüning über das Eichsfeld und Erfurt zurück, so hat es formal vom 15. Dezember 1818 bis zum 13. April 1823 bestanden, also „brutto“ vier Jahre und vier Monate. Zwar hat Fürstbischof Ferdinand von Lüning relativ zügig ab April 1819 die Amtsgeschäfte aufgenommen, aber wegen seiner Erkrankung spätestens ab Ende Oktober 1821 nicht mehr persönlich ausgeübt, wobei er schon in der ersten Jahreshälfte 1821 schwerpunktmäßig wohl mit seiner Einführung im Bistum Münster befasst gewesen war. So ist die Amtstätigkeit von Fürstbischof Lüning in den Erfurter Akten hauptsächlich für die Jahre 1819 und 1820 belegt.
Auch wenn der letzte Fürstbischof im Eichsfeld und in Erfurt nur eine kurze „Netto-Amtszeit“ von 32 Monaten in schwierigen Jahren der politisch-kirchlichen Umstrukturierung hatte, sollte Fürstbischof Ferdinand von Lüning als Apostolischer Vikar nicht vergessen werden. Zwar steht Fürstbischof Lüning im Schatten des bekannteren Fürsterzbischofs Karl Theodor von Dalberg, doch war Fürstbischof Ferdinand von Lüning in den Umbruchsjahren der beginnenden preußischen Verwaltung der letzte Fürstbischof dieser Region mit einer zwar kurzen, aber doch durchaus intensiven pastoralen Tätigkeit.