Als erste offizielle Reaktion liegt dazu das Antwortschreiben des Gymnasialdirektors und Kommissariatsassessors von Heiligenstadt Johann Georg Lingemann (†1830) vom 13. März 1819 vor. Er nannte darin die Ernennung Lünings „für jeden Katholiken des Eichsfeldes so wichtig und erfreulich. Was die Freude der 67.000 Katholiken vollkommen machen könnte, wäre die sichere Nachricht, dass Euere Hochfürstlichen Gnaden die Würde und Bürde aus Liebe zu Ihnen wirklich übernommen“ hätten.53 Als weiteres Beispiel aus der dynamischen Einführungsphase sei der lateinische Hirtenbrief des Vicarius Generalis Apostolicus Lüning an den Klerus vom 4. April 1819 angeführt. In 15 biblisch fundierten Punkten legt Fürstbischof Lüning darin ein überzeugendes katholisches Priesterbild vor, das die Priester als Seelsorger für die Gemeinden empfiehlt.54 Als letztes Beispiel dieser Anfangsphase sei das offizielle Dankschreiben Fürstbischof Lünings an den preußischen Kultusminister Altenstein angeführt. Darin bekennt Lüning sich nicht nur zu den Grenzen seines Alters (von 64 Jahren), sondern auch zur Vorläufigkeit seiner Amtsführung bis zur Umsetzung der anstehenden kirchlichen Neuorganisation in Preußen. Fürstbischof Lüning beendet sein Dankschreiben mit der Ankündigung einer Besuchsreise in seinem neuem Sprengel, um sich ein Bild von den dort anstehenden Herausforderungen zu machen.55
3.3 Aus der Amtsführung des Apostolischen Vikars 1819-1821
Damit kommen wir zum Kernpunkt der Amtsführung des Apostolischen Vikars Fürstbischof Lüning im Eichsfeld und in Erfurt, was eigentlich eine weitere und spezielle Studie umfassen müsste, so dass in diesem Rahmen mit der freundlichen Unterstützung von Archivdirektor Dr. Michael Matscha nur erste wichtige Mosaiksteine daraus zusammengestellt werden können.
So war es ein besonderes Ereignis, dass Fürstbischof Lüning auf seiner Visitationsreise ab Juni 1819 in fünf Gemeinden nach langen Jahren ohne Bischof wieder das Sakrament der Firmung spenden konnte. Fürstbischof Lüning und sein theologischer Berater, Pfarrer Bernhard Rensing aus Dülmen, waren sich von Anfang an der Notwendigkeit einer Firmreise bewusst gewesen.56 Denn nach dem Tod von Weihbischof Haunold Anfang des Jahres 1807 hatten nur im Eichsfeld im Jahre 1809 der Hildesheimer Weihbischof Karl Friedrich von Wendt (†1825) und in Erfurt 1812 der Aschaffenburger Weihbischof Josef Hieronymus Karl Freiherr von Kolborn (†1816) Firmungen gespendet.57 So war es für alle Ortsgemeinden ein besonderes Ereignis, als Fürstbischof Lüning im Juni 1819 sowohl in Erfurt als auch in Heiligenstadt, Großbartloff, Dingelstädt, Worbis und Nordhausen wieder katholische Kinder und Jugendliche firmte.
Die kirchenpolitische Brisanz dieser Visitationsreise von Fürstbischof Ferdinand von Lüning hatte aus „einheimischer Perspektive“ Conrad Zehrt (†1893) bereits 1892 in seiner Eichsfeldischen Kirchengeschichte moniert, zumal die preußische Regierung bestimmt hatte, dass er als Apostolischer Vikar im königlichen Schloss residieren müsse und nur in Nordhausen im Pfarrhaus wohnen dürfe. Nach der späteren „katholischen Sicht“ des Kommissarius Zehrt „erschien das Auftreten des Oberhirten den katholischen Einwohnern nicht sehr erbaulich. Das Wohnen bei einem Protestanten, die Feier [der Firmung] ohne weiteren Gottesdienst und besonders die Art und Weise der Spendung des bischöflichen Segens an die Niederknieenden während des Ganges des Bischofs zum Besuch bei einem Freimaurer war sehr auffällig.“58 Diese kritische Sicht gipfelt im dem Vermerk des Necrologium Paderbornense, dass „er von liberalen Zeitströmungen beeinflußt war, wenn er dem Staat wiederholt zu sehr entgegen kam, so war daran sicher sein Gesundheitszustand mitbeteiligt, der ihn ängstlich machte und später fast zu vollständiger geistiger Zerrüttung führte“.59
Aus der Edition von Arno Wand kennen wir erstmals den ausführlichen Visitationsbericht, den Fürstbischof Lüning von Corvey am 26. Juli 1819 über seine „Apostolische Reise“ an die Berliner Regierung schickte. Dabei hatte er „von den notwendigen Bedürfnissen der seiner geistlichen Obsorge anvertrauten Seelen erfahren und erste Besserungsmaßnahmen eingeleitet“. Dazu hatte der Apostolische Vikar die „Verfehlungen der Geistlichkeit ernst und offen gerügt“, speziell „das Commissariat in Heiligenstadt und namentlich den Herrn Commissar Würschmitt nachdrücklich und ernst seiner Pflichten erinnert“.60 Weiterhin habe er „sämtliche Herren Dekane zur strengsten Pflicht gemacht, stets ein wachsames Auge auf die in ihren Dekanaten befindlichen Geistlichen zu haben“. Schließlich habe Fürstbischof Lüning „jedem Pfarrer insbesondere die dieserhalb notwendige Belehrung und Ermahnung gegeben“ sowie „die Tätigen und Berufstreuen in ihrem Amt ermuntert, die Müßigen und Trägen ermahnt und gewarnt“. Für seinen Klerus forderte er einen Lebenswandel geprägt von Einsicht, Berufstreue und Anständigkeit, der den Priestern Achtung verschaffen würde sowie um dem „Staate gute Untertanen und der Kirche gute Christen zu erziehen“.
In nun konkret auf die kirchlichen Einrichtungen und Klöster in Erfurt und dem Eichsfeld angewandten Einzelanalysen benannte Fürstbischof Lüning als tieferen Grund für die Missstände „die Spuren der Fremdherrschaft“ und bemängelte als Hauptübel die „Verwahrlosung aller Bildungsanstalten während der französischen Okkupation“. Die „intellektuelle Bildung musste gänzlich verstummen vor dem unaufhörlichen Kriegsgeräusch und vor der steten Rüstung zum Kampf.“ Betroffen gewesen waren davon Klerus und Volk. Ergänzend zu diesem Visitationsbericht von Fürstbischof Lüning reichte auch noch das Geistliche Gericht in Erfurt am 30. November 1820 einen Zustandsbericht über die „8 katholischen Pfarreien der Stadt Erfurt“ beim Berliner Kultusministerium ein.61
Nach Münster zurückgekehrt, erließ der Apostolische Vikar zunächst eine Dienstinstruktion für den bischöflichen Kommissarius und die Kommissariats-Assessoren in Heiligenstadt. Weiterhin bemühte sich Fürstbischof Lüning von dort aus um die Qualifizierung und Weiterbildung der Priester im Eichsfeld und in Erfurt. Zunächst erließ er dazu eine Dienstinstruktion für die Pfarrer, dann bot er den Kaplänen die lang überfällige Möglichkeit, eine Pfarrbefähigungsprüfung abzulegen, um sich damit auf eine freigewordene Pfarrstelle bewerben zu können. Weiterhin ernannte er beispielsweise den Pfarrer in Gerbershausen, Christoph Kirchner (†1835), im Jahre 1819 zum Seminarexaminator und 1820 zum Pfarrer in Kirchworbis; ebenso den Pfarrer Johann Heinrich Digmann (†1843) aus Kreuzebra und Dechanten von Küllstedt zum Synodalexaminator.62
Von 1819 an stand Fürstbischof Lüning in relativ intensivem brieflichen Kontakt mit dem Direktor des Geistlichen Gerichts in Erfurt und Kommissar, Dr. Gottfried Franz Würschmitt (†1863). Während Dr. Würschmitt anschließend mit der neuen Paderborner Diözesanverwaltung in heftige Auseinandersetzungen geriet, scheint die kurze Zusammenarbeit mit dem Apostolischen Vikar Lüning respektvoll und in hoher Übereinstimmung verlaufen zu sein.63 So schaltete sich noch im Jahre 1819 Lüning als Apostolischer Vikar in die zwischen der königlichen Regierung Erfurt und dem Geistlichen Gericht hinziehenden Verhandlungen über die Vereinigung der Armenfonds der beiden großen christlichen Konfessionen ein, des evangelischen und des katholischen, was in heutiger Terminologie eine Zusammenarbeit von Diakonie und Caritas bedeuten würde.64 Aus den Akten des Paderborner Bistumsarchivs ergibt sich ein weiterer Grenzfall aus der Amtsführung und der territorialen Kompetenz des Geistlichen Gerichts