- Die katholische Kirche wird als global player nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern weltweit mit der Frage nach einem kirchlichen Begräbnis trotz Euthanasie konfrontiert. Demnach betreffen die Ergebnisse der vorliegenden Studie nicht nur die partikularkirchliche Ebene eines Sprachraums, sondern vor allem die Universalkirche. Sie bedürfen daher einer einheitlichen und konsentierten Terminologie.
- Der Euthanasiebegriff wird in den offiziellen deutschen Übersetzungen der lehramtlichen Dokumente verwendet wird.150
- Die deutschsprachigen Bischöfe verwenden den Terminus Euthanasie.151
Anhand der Analyse der lehramtlichen Terminologie konnte nicht vollends geklärt werden, ob der Abbruch bzw. Verzicht verhältnismäßiger und damit ethisch verpflichtend anzuwendender therapeutischer Mittel ohne intendierte Todesherbeiführung als Euthanasie im Sinn einer Handlung oder Unterlassung, die lediglich der Natur nach den Tod herbeiführt, gezählt wird. Dies wird im folgenden terminologischen Schema mit einem Fragezeichen ausgedrückt:
Die Unklarheit in der lehramtlichen Terminologie, die in der vorliegenden Studie übernommen wurde, fällt hinsichtlich der Frage nach einem kirchlichen Begräbnis für katholische Gläubige, die nach Vollzug von Euthanasie oder einer anderen medizinischen Intervention am Lebensende verstorben sind, nicht besonders ins Gewicht, da die Normen zur Begräbnisgewährung bzw. -verweigerung lediglich die Existenz einer offenkundigen Sünde fordern, diese aber nicht näher qualifizieren. Um die Unschärfe nicht kontinuierlich benennen zu müssen, werden beide Termini – Euthanasie und AVvtM – im Verlauf der Arbeit sowohl nebeneinander als auch eigenständig verwendet.
2.3. Konsequenzen für die kanonistische Betrachtung
Die terminologische Analyse hat aufgezeigt, dass sich die in der Gesellschaft und in den lehramtlichen Dokumenten verwendeten Begriffe inhaltlich und semantisch nicht decken. Damit sowohl der Patient und der Arzt einerseits als auch der schwerkranke Gläubige und dessen Seelsorger andererseits in einer konkreten lebensgeschichtlichen Situation von derselben medizinischen Handlung sprechen und sich verständigen können, bedarf es also einer Übersetzungsleistung, die die medizinischen Handlungen, die vorwiegend mit den gesellschaftlich akzeptierten Begriffen direkte aktive, indirekte aktive und passive Sterbehilfe kommuniziert werden, in das lehramtliche terminologische Cluster von Euthanasie, Anwendung therapeutischer Mittel und Anwendung schmerzstillender Mittel überführt. Durch diese Transferleistung wird Missverständnissen vorgebeugt und der kontextuelle wie semantische Rahmen geklärt.
Welche Komplikationen terminologische Divergenz und Ungenauigkeit hinsichtlich des vom Lehramt verwendeten Euthanasiebegriffs als intendierte oder naturimmanente Herbeiführung des Todes durch eine Handlung oder Unterlassung mit Blick auf den ethisch unzulässigen AVvtM mit sich bringen, zeigt sich deutlich am eingangs benannten Fall des ALS-Patienten Welby. Dessen Wunsch nach Abbruch künstlicher Beatmung sowie künstlicher Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr wurde weltweit als Form der passiven Sterbehilfe wahrgenommen. Dass auch die kirchliche Autorität nicht vor „Übersetzungsfehlern“ gefeit ist, zeigt der Umstand, dass die vollzogenen Handlungen zum einen in der gesellschaftlichen Terminologie fälschlicherweise als aktive Sterbehilfe bezeichnet und zum anderen im Sinn eines Abbruchs verhältnismäßiger therapeutischer Maßnahmen als Euthanasie im lehramtlichen Verständnis übersetzt wurden, obwohl der Patient nicht aufgrund der Handlung bzw. Unterlassung, sondern aufgrund der Krankheit verstarb.152
Der Seelsorger vor Ort bzw. derjenige, der über die Gewährung oder Verweigerung des kirchlichen Begräbnis entscheidet, steht also vor der Herausforderung, zunächst die einem konkreten Einzelfall zugrunde liegende Handlung sowie ihre rechtlichen und medizinischen Implikationen präzise zu erfassen. In einem zweiten Schritt muss der Frage nachgegangen werden, ob die Handlung die Zustimmung des schwerkranken und sterbenden Menschen gefunden hat. Nur vor diesem Hintergrund kann eine entsprechende medizinische Handlung oder Unterlassung, die den Tod intendiert oder das Sterben aus kirchlich ethischer Perspektive unzulässig herbeigeführt hat, als subjektiv schuldhaft verstanden werden und kirchenrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Aufgrund der vom staatlichen und kirchlichen Gesetzgeber geforderten freiverantworteten und freiwilligen Entscheidung können demnach als Objekt der vorliegenden Studie nur folgende im Schema hervorgehobenen Handlungen gelten:
Als drittes gilt es, die medizinische Intervention, die zumeist mit gesellschaftlich akzeptierten Begriffen bezeichnet werden, in das kirchliche Begriffskonzept zu transferieren. Erst auf dieser Basis kann die vollzogene Handlung aus ethischer Perspektive beurteilt werden. Wird der konkrete Einzelfall betrachtet, ergeben sich daraus für die Anwendung des kirchlichen Rechts unterschiedliche Voraussetzungen, die letztlich für die Gewährung oder Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses entscheidend sind. Folgendes Schaubild soll die Transferleistung verdeutlichen:
Schließlich, in einem vierten Schritt, kann und muss der Seelsorger anhand der gewonnenen Erkenntnisse über die Art der Handlung und deren ethischen Gehalt vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Rechtsinterpretation, der Analyse des konkreten Sachverhalts und der lebensgeschichtlichen Situation des Verstorbenen in den Entscheidungsprozess übergehen, in dessen Rahmen das Recht angewendet wird.
1 Die Notwendigkeit einer solchen terminologischen Klärung zeigt die oftmals undifferenzierte Verwendung der Begriffe Selbstmord, Freitod, Suizid und Selbsttötung. Beispielsweise wird in der dritten Auflage des LThK unter den Artikeln Selbstmord, Selbsttötung und Freitod lediglich auf den Artikel Suizid verwiesen und alle drei Begriffe als gleichwertig betrachtet. [Vgl. A. Eser, Art. Suizid. I. Anthropologisch. II. Rechtlich, in: LThK 9 (32000) 1105-1106; A. Holderegger, Art. Suizid. III. Theologischethisch, in: LThK 9 (320 00) 1106-1108.] Der Begriff Selbstmord brachte über viele Jahrhunderte das Verständnis zum Ausdruck, dass jemand an sich selbst einen Mord, d. h. eine aufgrund von niedereren Beweggründen, vorsätzlich gewalttätige und daher unrechtmäßige Tötung menschlichen Lebens beging. In gegenwärtiger Verwendung ist diese normative Konnotation jedoch in den Hintergrund getreten. [Vgl. Bauer/Fartacek u.a., Suizid, 17.] Der Terminus Freitod hingegen entstammt dem Gedankengut der Aufklärung und verkörpert die absolute, auch über das Ende des eigenen Lebens bestimmende Freiheit des Menschen. [D. v. Engelhardt, Die Beurteilung des Suizids im Wandel der Geschichte, in: K. W. Schmidt/G. Wolfslast (Hg.), Suizid und Suizidversuch. Ethische und Rechtliche Herausforderung im klinischen Alltag, Stuttgart 2005, 11-26, 22.] Der neutral wirkende Terminus Suizid suggeriert aufgrund des lateinischen Bezugs eine gewisse Sachlichkeit und Wertfreiheit, obwohl er letztlich eine direkte Übersetzung des Begriffs Selbstmord ins Lateinische ist. [Vgl. K.-P. Jörns, Nicht leben und nicht sterben können. Suizidgefährdung. Suche nach dem Leben, Göttingen 1979, 21.]. Der Begriff Selbsttötung verweist als „nicht durch moralisches Vorverständnis und normatives Urteil a priori“ [Lenzen, Selbsttötung, 15.] wertbesetzter Begriff auf den Handlungscharakter, die Prozesshaftigkeit und Zeitlichkeit des Geschehens hin und expliziert die Rückbezogenheit der Aktion und die Spaltung des Handelnden in Subjekt und Objekt. Aufgrund der disparaten ethischen Konnotation wird in der vorliegenden Studie, sofern notwendig, von Suizid oder Selbsttötung gesprochen. In direkten Zitaten werden die Begriffe allerdings unverändert wiedergegeben, um die Variation der verschiedenen Bedeutungen im zeitgeschichtlichen Kontext zum Ausdruck zu bringen und „die Begriffe dynamisch in ihrem jeweiligen Bedeutungskontext und Diskussionszusammenhang zu verstehen und zu benutzen.“ [Ebd.,