Es bedarf für die moralische und juridische Klärung noch einer dritten Differenzierung, die im Kriterium der Willenshaltung des Patienten angesiedelt und durch freiwillig, nichtfreiwillig und unfreiwillig zu klassifizieren ist. Diese wird oftmals außer Acht gelassen, obwohl sie den Unterschied zwischen direkter aktiver, indirekter aktiver sowie passiver Sterbehilfe einerseits und Mord, Totschlag sowie fahrlässiger oder vorsätzlicher Tötung andererseits ausmacht.
Unterscheidung auf der Ebene der Todesursache – aktiv/passiv
Es wurde aufgezeigt, dass die erste Unterscheidung lebensverkürzender bzw. -nichterhaltender medizinischer Maßnahmen im Kontext von unheilbarer Krankheit in aktive und passive Sterbehilfe keine Information über die Intention oder die Art der Handlung seitens eines Dritten preisgibt, sondern etwas über die Qualität der Todesursache aussagt: Verstarb der Patient an der durch Behandlungsabbruch bzw. -verzicht ermöglichten ungehinderten Ausbreitung der Krankheit (passiv) oder aber ist der Tod als direkte Folge eines Eingriffs einer außenstehenden Person (aktiv) eingetreten.
Als aktive Sterbehilfe sind jene medizinischen Eingriffe einzuordnen, die unmittelbar zum Tod des schwerkranken Patienten führen, sodass der Todeseintritt primär als Folge des äußeren Eingriffs und nicht der bestehenden Krankheit anzusehen ist. Im Gegensatz zu einem üblicherweise präsumierten Tod durch Krankheit kommt es zu einem Wechsel der Todesursache im Zeichen eines dem natürlichen krankheitsbedingten Tod vorweggegriffenen Todes. Für die Charakterisierung einer Handlung als aktive Sterbehilfe ist die Intention des Handelnden irrelevant. Tritt der Tod unabhängig der Intention zur Todesherbeiführung oder zur Schmerzlinderung als Resultat einer Medikamentengabe ein, erfolgte unweigerlich ein Austausch der Todesursache, sodass die Handlung als aktive Sterbehilfe zu qualifizieren ist. Ebenso irrelevant für die Bestimmung einer Handlung als aktiv oder passiv ist die Situation der schweren, unheilbaren Krankheit selbst, die ein entsprechendes (ärztliches) Handeln erst möglich bzw. nötig gemacht hat. Sie ist zwar die conditio sine qua non für das äußere Handeln, nicht aber die direkte Ursache für den Tod.
Als passive Sterbehilfe werden indes jene medizinischen Interventionen angesehen, bei denen die Verlängerung des Lebens bzw. Verzögerung des Sterbeprozesses mithilfe lebenserhaltender oder -verlängernder Therapien nicht mehr verfolgt wird.76 Nach Änderung des Therapieziels gemäß einem würdevollen Sterben wird dem Sterbeprozess nicht mehr mithilfe therapeutischer und intensivmedizinischer Maximalbehandlung entgegengewirkt, sondern stattdessen das aufgrund der Krankheit unausweichliche Sterben lediglich palliativmedizinisch und schmerzlindernd begleitet. Der schwerkranke Patient stirbt zwar in Folge des Behandlungsabbruchs und -verzichts, der Tod aber ist keine direkte Folge des ärztlichen Einwirkens ist, sondern tritt aufgrund der fortschreitenden Krankheit als natürlicher Tod eintritt.77 Weder wird der Tod herbeigeführt noch der Sterbeprozess verkürzt, da lediglich die lebenserhaltenden bzw. -verlängernden therapeutischen Maßnahmen beendet werden oder bereits vor deren Beginn auf diese verzichtet wurde.
Als Argument gegen die Verwendung des Begriffspaares aktiv/passiv wird immer wieder die Konnotation dieser beiden Adjektive mit der Beschreibung menschlichen Handelns als Tun (aktiv) und Unterlassen (passiv) ins Feld geführt. Diese Hermeneutik hätte das Missverständnis zur Folge, dass jedes Tätigwerden eines Dritten – z. B. des Arztes oder Krankenpflegers – als aktive Sterbehilfe und einzig das physische Nichtagieren als passive Sterbehilfe zu bezeichnen seien. Demnach müssten neben der Tötung auf Verlangen und der intendierten Schmerzlinderung mit billigend in Kauf genommener Todesfolge auch sämtliche Formen des Behandlungsabbruchs wie das Abschalten von Beatmungsgeräten oder die Beendigung von künstlicher Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr zum Bereich der aktiven Sterbehilfe gezählt werden, da sie alle eine Tätigkeit implizieren. Als passive Sterbehilfe könnte nach diesem Verständnis einzig der Verzicht auf eine Therapie oder Behandlung verstanden werden.78 Dem ist logisch zu erwidern, dass gerade die Zuordnung sowohl des Behandlungsabbruchs (aktives Verhalten) als auch -verzichts (passives Verhalten) zum Bereich der passiven Sterbehilfe zeigt, dass sich der Begriff passiv eben nicht am menschlichen Tun oder Unterlassen orientiert, zumal weder nach deutschem noch internationalem Recht in der juristischen Bewertung zwischen der Einstellung einer bereits laufenden Therapie und des Behandlungsverzichts unterschieden wird.79
Vor der Assoziation von passiver Sterbehilfe mit einem passiven Verhalten gegenüber Sterbenden im Sinn eines Nichtstuns ist auch mit Blick auf die palliativmedizinische Versorgung zu warnen, da diese dann auch abgebrochen werden müsste, obwohl sie neben „menschenwürdige[r] Unterbringung, Zuwendung, Körperpflege, Linderung von Schmerzen, Atemnot und Übelkeit sowie Stillen von Hunger und Durst“80 zur immer verpflichtend auszuübenden Basisversorgung des Patienten gehört. Ein auf der Fehlinterpretation des Begriffs passive Sterbehilfe beruhendes inaktives Verhalten seitens des medizinischen Personals würde beträchtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Unterscheidung auf der Ebene der Intention – direkt/indirekt
Die vorhergehende Differenzierung in aktive und passive Sterbehilfe impliziert sie Subsumtion jener Handlungen unter aktive Sterbehilfe, die einen Wechsel der Todesursache bewirken. Für ihre juristische wie moralische Bewertung gilt es zu klären, ob der durch die medizinische Intervention verursachte Tod vom Handelnden bewusst und zielgerichtet herbeigeführt oder lediglich billigend in Kauf genommen wurde. Dies zieht je nach Sach- und Rechtslage unterschiedliche Konsequenzen nach sich. Vom verwendeten Begriffspaar direkt und indirekt wird das jeweils Zutreffende dem Terminus der aktiven Sterbehilfe vorangestellt.
Als direkte aktive Sterbehilfe sind jene medizinischen Handlungen am Lebensende zu qualifizieren, die erstens den Tod verursacht haben (aktiv) und bei denen zweitens die Herbeiführung des Todes seitens des Handelnden zielgerichtet intendiert war (direkt). Im Gegensatz dazu sind medizinische Interventionen am Lebensende als indirekte aktive Sterbehilfe zu bezeichnen, wenn sie zwar ebenso den Tod verursachen (aktiv), diesen aber aufgrund ihrer palliativmedizinischen Ausrichtung und der schmerzlindernden Intention lediglich billigend, d. h. als vollkommen unbeabsichtigte Nebenwirkung in Kauf nehmen (indirekt).81 Eine solche schmerzlindernde Handlung mit billigend in Kauf genommener Todesfolge wird auf Basis des ethischen Prinzips der Doppelwirkung einer Handlung, welches auf den Kirchenlehrer Thomas von Aquin (1225-1274) zurückgeht,82 nicht als Tötung auf Verlangen gewertet, da sie aufgrund ihres sittlichen Gehalts eindeutig als eine das Gut der Schmerzenslinderung intendierende Handlung zu qualifizieren ist. Alle Handlungen, die dem Bereich der indirekten aktiven Sterbehilfe zuzurechnen sind, gelten daher sowohl nach ethischen wie rechtlichen Maßstäben als zulässig und geboten. Als positives Gut der palliativmedizinischen Umsorgung verfolgen sie langfristig ein würdevolles Sterben.83
Unbeschadet der notwendigen theoretischen Differenzierungen im Bereich der aktiven Sterbehilfe existiere nach Borasio in der Realität jedoch nur noch die direkte aktive Sterbehilfe. Aufgrund der bestehenden Möglichkeiten einer nahezu fehlerlosen Schmerzeinstellung sei die indirekte aktive Sterbehilfe eigentlich inexistent.84
Unterscheidung auf der Ebene der Willenshaltung – freiwillig/unfreiwillig/nichtfreiwillig
Nach der Differenzierung in direkte aktive, indirekte aktive und passive Sterbehilfe mithilfe der Kriterien der Todesursache und der Handlungsintention bedarf es noch einer dritten Unterscheidung, um die moralischen wie rechtlichen Implikationen der Handlung vollends zu erfassen. Dazu sind die verschiedenen Willenshaltungen zu betrachten, die ein schwerkranker Patient in Relation zur jeweiligen medizinischen Handlung einnehmen kann. In der Literatur werden insgesamt drei Sachverhalte