Kirchliches Begräbnis trotz Euthanasie?. Michael Karger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Karger
Издательство: Bookwire
Серия: Erfurter Theologische Studien
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429063580
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Anwendung therapeutischer Mittel und Anwendung schmerzstillender Mittel gegeben. Die ethische Beurteilung der entsprechenden Handlungen erfolgt im weiteren Verlauf der Arbeit.109

       Euthanasie

      Bereits 1980 wies die Glaubenskongregation darauf hin, dass die ursprüngliche Bedeutung des Begriffes Euthanasie verloren gegangen sei und „vielmehr an einen ärztlichen Eingriff [gedacht werde], durch den die Schmerzen der Krankheit oder des Todeskampfes vermindert werden“110. In der Beschreibung von Euthanasie, die grundlegend auf den Differenzierungen von Pius XII. basiert und in den nachfolgenden Dokumenten rezipiert wurde, fehlt das Element des ärztlichen Eingriffs jedoch:

      „Unter Euthanasie wird hier eine Handlung oder Unterlassung verstanden, die ihrer Natur nach oder aus bewußter Absicht den Tod herbeiführt, um so jeden Schmerz zu beenden. Euthanasie wird also auf der Ebene der Intention wie auch der angewandten Methoden betrachtet.“111

      Eine erste Unterscheidung ist in der Differenzierung in Handlung oder Unterlassung zu sehen. Dabei erscheint es als irrelevant, ob die medizinische Intervention als ein Tätig-Werden zu werten ist oder nicht. Ebenso ist unwesentlich, ob „die Herbeiführung des Todes methodenimmanent ist (z.B. tödliche Injektion) oder etwa durch die Unterlassung einer Therapiemaßnahme unmittelbar intendiert ist.“112 Eine zweite Unterscheidung erfährt die mit dem Euthanasiebegriff bezeichnete Handlung durch ihre Eigenarten, da sie entweder mit der Intention ausgeübt worden sein muss, den Tod herbeizuführen, oder aber – und hierin liegt ein entscheidender Zusatz – den Tod aus ihrer Natur heraus herbeigeführt hat. Die Glaubenskongregation gibt zu bedenken, dass die Kriterien zur Unterscheidung, wann medizinische Eingriffe am Lebensende unter die Kategorie Euthanasie fallen, in der Intention und der inneren Wirkweise implizit enthalten sind und sich grundlegend an jenem zu verurteilenden Wunsch bzw. Willen orientieren, sich „zum Herrn über den Tod zu machen, indem man ihn vorzeitig herbeiführt und so dem eigenen oder dem Leben anderer ‚auf sanfte Weise’ ein Ende bereitet.“113

      Woran sich die Eigenschaft der Natur nach den Tod herbeiführen letztlich bestimmt, bleibt in den lehramtlichen Dokumenten unscharf. Die Frage ist, wie unterlassene oder abgebrochene medizinische Therapien, die ihrer Natur nach zum Tode führen, von denen zu unterscheiden sind, die ihrer Natur nach nicht zum Tode führen, aber dennoch das Sterben zulassen. Diese Unklarheit kommt besonders mit Blick auf die Unterscheidung der therapeutischen Mittel in ethisch verpflichtende und nicht verpflichtende zum Tragen.114 Es erwächst daraus die Frage, ob Verzicht oder Abbruch von ethisch verpflichtenden therapeutischen Maßnahmen als eigenständige Kategorie oder als Euthanasie im Sinn einer Unterlassung, die der Natur nach zum Tode führt, zu werten sind. Der Möglichkeit einer missverständlichen Nutzung des Euthanasiebegriffs Gewahr werdend, plädierte der Päpstliche Rat Cor Unum daher bereits 1981 für eine präzise Verwendung.115 Der Euthanasiebegriff sei weder als adäquate Bezeichnung für eine intendierte Schmerzlinderung mit Todesfolge noch für den Abbruch bzw. Verzicht ethisch nicht verpflichtender therapeutischer Mittel geeignet, da keiner der benannten Handlungen die Intention zugrunde liege, den Tod herbeizuführen, oder die Herbeiführung des Todes – nicht zu verwechseln mit dem annehmenden Sterbenlassen – in der Natur der Sache selbst liege.116 Vielmehr seien das Gewähren eines menschenwürdigen Sterbens und die Vermeidung eines unangemessenen Hinauszögerns des Sterbeprozesses intendiert und umgesetzt. Daraus lässt sich aber ableiten, dass der Euthanasiebegriff für den Abbruch bzw. Verzicht von ethisch verpflichtenden therapeutischen Maßnahmen durchaus geeignet wäre.

      Diese Interpretation erhält durch die Ausführungen des Katechismus, der Enzyklika Evangelium vitae und der Charta aufgrund ihrer differenzierteren Verwendung des Euthanasiebegriffs weitere Argumente. Im Gegensatz zur Glaubenskongregation und zum Päpstlichen Rat Cor Unum, die nur euthanasia117 und l‘euthanasie118 als solche behandelten, sprach der Katechismus erstmals von l’euthanasie directe und sah diese – unbeschadet in der gewählten Form – in der Lebensbeendigung behinderter, kranker oder sterbender Menschen begründet.119 Die Beliebigkeit der existierenden Gründe und der verwendeten Mittel verschleiert dabei den Inhalt der näheren Qualifizierung der Euthanasie als direkt, zumal im Folgesatz die allgemein gehaltene Euthanasiebeschreibung der Glaubenskongregation von 1980 rezipiert wird,120 ohne einen Verweis auf die indirekte Euthanasie oder eine Beschreibung dessen, was darunter allenfalls zu verstehen sei, zu geben. Die die lehramtliche Terminologie wurde an dieser Stelle nicht nachhaltig geschärft.

      Johannes Paul II. verwendet in seiner Enzyklika Evangelium vitae den Euthanasiebegriff zunächst in allgemeiner Form für die Versuchung und Entscheidung, den Tod vorzeitig und bewusst herbeizuführen.121 Die darauf folgende Beschreibung schlägt jedoch einen differenzierteren Ton an, da nunmehr von Euthanasie im eigentlichen Sinn die Rede ist:

      „Unter Euthanasie im eigentlichen Sinn versteht man eine Handlung oder Unterlassung, die ihrer Natur nach und aus bewußter Absicht den Tod herbeiführt, um auf diese Weise jeden Schmerz zu beenden. ‚Bei Euthanasie dreht es sich also wesentlich um den Vorsatz des Willens und um die Vorgehensweisen, die angewandt werden‘.“122

      Die Reduktion der definitionsähnlichen Beschreibung auf Euthanasie im eigentlichen Sinn hat zwangsläufig zur Folge gehabt, dass die näheren Attribute der Handlung oder Unterlassung, die die Glaubenskongregation noch in einem variablen Verhältnis sah, sodass von ihnen nur eines hinreichend vorhanden sein musste, damit es sich um Euthanasie handelte, nunmehr additiv miteinander verknüpft wurden. Euthanasie im eigentlichen Sinn ist demnach keine Handlung oder Unterlassung, die aus ihrer Natur heraus oder (vel) auf Basis der Intention den Tod herbeiführt, sondern stattdessen jene, die ihrer Natur nach und (et) aus bewusster Absicht zum Tode führt.123

      Es stellt sich die Frage, ob aus dieser Differenzierung das Verständnis von Euthanasie im uneigentlichen Sinn als Handlung oder Unterlassung abzuleiten ist, die nur der Natur nach oder nur der Intention nach den Tod herbeiführt. Wenn der Papst aber bezüglich des Verzichts bzw. des Abbruchs von ethisch nicht verpflichtenden therapeutischen Maßnahmen deutlich hervorhebt, dass diese „nicht gleichzusetzen [sind] mit Selbstmord oder Euthanasie“, da sie „vielmehr Ausdruck dafür [sind], daß die menschliche Situation angesichts des Todes akzeptiert wird“124, dann können unter Euthanasie im uneigentlichen Sinn nur noch der Abbruch oder Verzicht jener therapeutischen Mittel zu verstehen sein, die ethisch verpflichtend anzuwenden sind. Aufgrund der fehlenden Quellenlage ist diese These aber nicht verifiziert.

      Neben die Konzepte der direkten Euthanasie (1992) und der Euthanasie im eigentlichen Sinn (1995) stellte der Päpstliche Rat für die Seelsorge im Krankendienst ein weiteres Verständnis von Euthanasie, indem die im Katechismus verwendete Terminologie aufgegriffen und durch die Attribute aktiv und passiv ergänzt wurde: eutanasia diretta, attiva o passiva.125 Die Einführung dieser gesellschaftlich gängigen, aber zuvor vom Lehramt nicht verwendete Spezifizierung verwundert, da sich die Verfasser der Charta eigentlich dafür entschieden hatten, zur Vermeidung widersprüchlicher Interpretationen vor allem „die Stellungnahmen der Päpste bzw. der von den Dikasterien der Römischen Kurie veröffentlichten maßgeblichen Texte fast immer direkt zu Wort kommen zu lassen“126. Nichtsdestotrotz wird nach Zitation der Beschreibung der Glaubenskongregation formuliert, dass Mitleid niemals eine direkte, aktive oder passive Euthanasie rechtfertige, sodass es sich dabei

      „nicht um die Hilfeleistung an einen Kranken [handelt], sondern um die absichtliche Tötung eines Menschen.“127

      Im Gegensatz zum Katechismus, der direkte Euthanasie undifferenziert als Lebensbeendigung bezeichnete, wird der Begriff direkt in der Charta mit der Intention verbunden, den Tod herbeizuführen. Das Begriffspaar aktiv oder passiv scheint jedoch nicht auf die Todesursache zu rekurrieren, sondern als Synonym für Handlung oder Unterlassung zu fungieren. Erneut fehlt eine Beschreibung dessen, was unter einer indirekten, aktiven oder passiven Euthanasie zu verstehen ist.

      Die Verwendung des Euthanasiebegriffs