Zusammenfassung
Als Zusammenfassung der dargelegten Differenzierungen von Sterbehilfe in aktiv/passiv, direkt/indirekt sowie freiwillig/unfreiwillig/nichtfreiwillig soll das folgende Schaubild91 fungieren:
Inmitten der Unterscheidung in aktive und passive Sterbehilfe wurde die (ärztliche) Beihilfe zum Suizid92 aufgenommen, wobei die gestrichelte Linie bewusst die Ambivalenz dieser Subsumtion verdeutlicht. Für eine Aufnahme der Beihilfe zum Suizid in den Bereich der Sterbehilfehandlungen wird ins Feld geführt, dass die außenstehende Person dem darum bittenden schwerkranken Menschen alle benötigten Mittel derart zur Verfügung stellt, dass dieser sich eigenständig das Leben nehmen kann. Der Suizid hätte zwar nicht ohne äußere Handlung vollzogen werden können, dennoch wird die Handlung vom Suizidanten selbst ausgeübt, wodurch dieser den Tod direkt herbeiführt. Als Argument gegen eine Auslegung der Suizidbeihilfe als Sterbehilfe vorgebracht, dass eine Einwirkung auf das Leben bzw. den Sterbeprozess seitens des Außenstehenden weder aktiv noch passiv gegeben ist.93 Dass dem Suizidant die Tatherrschaft zukommt, ist vor allem für die rechtliche Qualifizierung eines Suizids als Suizid und nicht als Sterbehilfehandlung von immenser Bedeutung.94
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass zwischen Suizidbeihilfe und Sterbehilfe zwar eine gewisse Ähnlichkeit besteht, die im Versuch zur Realisierung des Patientenwillens gründet. Die gleichzeitige Unähnlichkeit der beiden Handlungen insinuiert daher auch eine Ungleichwertigkeit.
2.2.2. Die Terminologie des kirchlichen Lehramts seit 1980
Das Lehramt der katholischen Kirche gebraucht in seinen zurückliegenden Verlautbarungen und Stellungnahmen zum ethischen Gehalt von medizinischen Handlungen am Lebensende eine eigene Terminologie. Indem die Teilbereiche Euthanasie als Herbeiführung des Todes, die Anwendung therapeutischer Mittel und die Anwendung schmerzstillender Mittel nach Art ihrer Handlung differenziert und deskribiert werden, wird auf einen terminologischen Oberbegriff wie Sterbehilfe oder Euthanasie sowie dessen adjektivische Ergänzung gänzlich verzichtet. Dadurch bedarf es auch zum näheren Verständnis der terminologischen Differenzierung der einzelnen Handlungskategorien im Gegensatz zur Sterbehilfeterminologie keines verborgenen Kriterienkatalogs (Todesursache, Intention, Willenshaltung).95
Die lehramtlichen Terminologie wurde nicht explizit konstruiert, sondern ist im Kontext des immensen medizinischen Fortschritts in den 1940-50er Jahren gewachsen. Pius XII. wurde als Gesprächspartner nach der ethischen Beurteilung bzw. moralischen Zulässigkeit diverser medizinischer Handlungen gefragt und äußerte sich grundlegend zur euthanasia96 als Herbeiführung des Todes zum Erlös von Schmerzen durch Handlung oder Unterlassung.97 Er prägte „den Unterschied zwischen ordentlichen, immer einzusetzenden, und außerordentlichen, nicht in jedem Fall einzusetzenden Mitteln, um damit die Fragen um einen möglichen Behandlungsabbruch bzw. -verzicht bei einem schwer Leidenden bzw. Sterbenden differenzierter betrachten zu können“98 und verwies hinsichtlich der Schmerzmittelgabe mit nichtintendierter Todesfolge auf das traditionelle Prinzip der Doppelwirkung einer Handlung.
Nach einer gewissen Ruhephase in der Nachkriegszeit, die sich auch im Fehlen kirchlicher Stellungsnahmen abbildet, ist parallel zum Anstieg des politischen, medizinischen und gesellschaftlichen Reflektierens über Tötung auf Verlangen, Behandlungsabbruch und -verzicht sowie Schmerzlinderung mit unbeabsichtigter Todesfolge auch seitens des kirchlichen Lehramts eine Zunahme entsprechender Veröffentlichungen zu verzeichnen. Inhaltlich auf die gesellschaftlichen Fragen und Tendenzen reagierend haben diese die kirchliche Lehre von der Unantastbarkeit menschlichen Lebens und die ethische Beurteilung medizinischer Handlungen am Lebensende zum Inhalt. Der Umstand, dass seitens des Apostolischen Stuhls zwischen 1980 und 1995 insgesamt fünf eigenständige Dokumente veröffentlicht wurden, die allgemein dem Kontext von schwerer Krankheit, der Lebenswirklichkeit schwerkranker Patienten und dem Dienst der im medizinischen und pflegerischen Bereich Tätigen gewidmet sind und speziell zur Euthanasie und zur Anwendung therapeutischer und schmerzstillender Mittel Stellung nehmen, zeigt die Bedeutung und Relevanz des gesamten Themenkomplexes, die ihnen seitens des kirchlichen Lehramtes für den christlichen Glauben, den einzelnen Gläubigen als auch die Menschheit selbst beigemessen wurde.
Die päpstlichen Aussagen von Pius XII. aufgreifend veröffentlichte die Heilige Kongregation für die Glaubenslehre am 5. Mai 1980 die Erklärung Iura et bona99 zu einigen Fragen zur kirchlichen Lehre bezüglich der Euthanasie. Obwohl die von den vorangegangenen Päpsten herausgestellten Grundsätze der kirchlichen Lehre zur Euthanasie und anderen medizinischen Handlungen am Lebensende ihr volles Gewicht behielten, erforderten der medizinische Fortschritt und mit ihm die gewachsenen medizinischen Möglichkeiten eine Klärung hinsichtlich der ethischen Zulässigkeit entsprechender Eingriffe seitens des kirchlichen Lehramts.100 Da die Erklärung der Glaubenskongregation als Grundlagendokument verstanden und in den nachfolgenden lehramtlichen Veröffentlichungen kontinuierlich rezitiert wurde, prägte sie die lehramtliche Terminologie entschieden. Nur ein Jahr später publizierte der Päpstliche Rat Cor Unum am 27. Juni 1981 aufgrund des regen Interesses ein internes Arbeitsdokument aus dem Jahr 1976, welches sich vorwiegend pastoralen Fragen widmete.101 Als dritte Veröffentlichung ist der am 11. Oktober 1992 publizierte Catechisme de l’Église catholique102 zu nennen, der bewusst nicht als theologischwissenschaftliches Lehr- und Arbeitsbuch konzipiert wurde. Als Kompendium der katholischen Glaubenslehre sollte er die kirchliche Glaubens- und Sittenlehre als ganze normativ zusammenfassen, um ein Werkzeug des katechetischen und verkündenden Wirkens der Kirche zu sein.103 Im Jahr 1995 wurden noch zwei weitere kirchenamtliche Lehrschreiben veröffentlicht, die sich mit Euthanasie als Angriff auf das menschliche Leben und der ethischen Beurteilung anderer medizinischer Handlungen am Lebensende beschäftigten, wobei das zweite im Schatten des ersten fast der öffentlichen Wahrnehmung entzogen blieb: die Enzyklika Evangelium vitae104 von Papst Johannes Paul II. vom 25. März 1995 und die Charta der im Gesundheitsdienst tätigen Personen105 des Päpstlichen Rates für die Seelsorge im Krankendienst vom Mai 1995. Während der Papst das von Gott geschenkte Leben als hermeneutischen Zugang zur Betrachtung menschlicher Eingriffe auf selbiges und deren ethischer Bewertung gebrauchend unter anderem die kirchliche Lehre zu Euthanasie und anderen medizinischen Interventionen am Lebensende darlegte,106 verfolgte der päpstliche Rat mit seiner Charta die Verbreitung, Erklärung und Verteidigung der kirchlichen Lehre im Bereich der Gesundheitsversorgung.107 In inhaltlicher Kontinuität mit den vorausgegangenen lehramtlichen Dokumenten bezieht die Charta als vollständig und unverzüglich von der Glaubenskongregation approbierter und bestätigter Text volle Gültigkeit und zuverlässige lehramtliche Autorität zuzuerkennen.108
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