Welche Form der Kommunikation ist richtig? Wie geht es, neue Wege zu den Menschen zu gehen, die der Offenbarung, der Tradition und gleichzeitig der Lebenswelt der Menschen, die sich deutlich vom christlichen Glauben abwendet und gleichzeitig nach Spiritualität sucht9, gerecht wird?
Papst Franziskus träumt in Evangelii Gaudium
„von einer missionarischen Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln, damit die Gewohnheiten, die Stile, die Zeitpläne, der Sprachgebrauch und jede kirchliche Struktur ein Kanal werden, der mehr der Evangelisierung der heutigen Welt als der Selbstbewahrung dient“10.
Die Frage ist also nicht so sehr, wie Kirche bewahrt bzw. erneuert werden kann, sondern die Frage ist, was Kirche für Menschen tun muss, um ihnen durch das Evangelium in ihrer Wirklichkeit zu helfen. Welche Theologie, welche Rede von Gott, welche Verkündigung des Evangeliums ist heute notwendig? Welche verändert die existentielle Not von Menschen?
Um diese Frage beantworten zu können, ist es wohl notwendig, die existentielle Not von Menschen genauer in den Blick zu nehmen. Es ist nicht notwendig, zuerst in Bibel und Tradition eine Antwort auf eine Frage zu finden, die vielleicht noch nicht einmal gestellt wurde, sondern die „Zeichen der Zeit“11 in den Blick zu nehmen, um sich den notleidenden Menschen zuzuwenden.
So beginne ich nun mit einem Blick in die Gegenwart in meine Arbeit als Klinikseelsorgerin.
3 Stechmann, Gott und ihre Gerechtigkeit.
4 „Für einen Vater, dessen Kind stirbt, stirbt die Zukunft. Für ein Kind, dessen Eltern sterben, stirbt die Vergangenheit“, Auerbach, Aphorismen.
5 Camus, Die Pest.
6 Vgl. Stechmann, „Sie beerdigen doch Fußnägel!“, 208.
7 Vgl. Bucher, Wer braucht Pastoraltheologie wozu?, 197.
8 Bucher, Die Theologie im Volk Gottes, 37.
9 „Die Macht der etablierten, von alters her ansässigen religiösen Regime geht noch immer zurück. […] Andererseits spricht viel dafür, dass religiöses Interesse kein aussterbendes Phänomen ist. Selbst Menschen jüngerer Generationen wünschen die rituelle Gestaltung von Lebenswenden, machen sich ihre Vorstellungen von einem Leben nach und vor solchen Übergängen, beten und glauben an Wunder. Bemerkenswert an dieser Entwicklung ist, dass den konfessionellen Formen, die uns aus der Vergangenheit vertraut sind, nun vielfältige individuelle Auswahlmöglichkeiten gegenüberstehen, die sogar die Möglichkeit einschließen, anscheinend widersprüchliche Optionen zu kombinieren. Diese Entwicklung können wir als religiöse Individualisierung bezeichnen. Allenthalben lautet die Diagnose in den Niederlanden: ‚Religion’ ist in, ‚die Kirche’ ist out.“ (de Groot, Fluide Formen religiöser Gesellschaft, 22-23).
10 Papst Franziskus: Evangelii Gaudium Nr. 27.
11 Sander, Die Zeichen der Zeit erkennen.
2 Mit der Nussschale unterwegs auf bewegter See – Erfahrungen in der Klinikseelsorge
Seit 2001 arbeite ich als Pastoralreferentin, als katholische Klinikseelsorgerin in der Universitätsmedizin Göttingen. Die Erfahrungen, die ich in der Praxis mit dem Thema „totgeborene Kinder“ gesammelt habe, sollen in diesem Kapitel zunächst im Überblick erzählt werden. Ziel ist, mein Vorwissen, aber auch meine Vorprägung in Bezug auf dieses Thema offenzulegen12. Meine Erfahrungen in diesem pastoralen Arbeitsfeld möchte ich in diesem Kapitel darstellen, um meinen eigenen Zugang zu reflektieren und das Thema anfanghaft zu umreißen. Dieses Kapitel will für das Thema sensibilisieren und einen Zugang zur Thematik ermöglichen.
Meiner ersten Beerdigung totgeborener Kinder stand ich zusammen mit meinem evangelischen Kollegen, einem Gemeindepastor, vor. Die Beerdigungsstelle auf dem evangelischen Friedhof war schon geschaffen, eine Stele mit einem Regenbogen und den Worten „Ein Hauch von Leben…“ errichtet. Die ersten Beerdigungen hatten schon stattgefunden, begleitet von dem evangelischen Pastor allein.
Dieser bat um katholische „Mitträgerschaft“. Schnell kam mein damaliger Chef auf die Idee, dass ich dort mit einsteigen sollte. Ich kann mich noch an mein Grauen erinnern. Selbst hatte ich damals noch kleine Kinder. Das Thema Schwangerschaft war mir nahe. Ich wusste darum, was es für ein Geschenk war, was es für ein Wunder war, meine Kinder gesund in den Händen zu halten, dass dies nicht selbstverständlich ist. Ich war auf der „glücklichen Seite“ – bei mir war alles gut verlaufen. Wie würde es sein, anderen Frauen zu begegnen, die dieses „Glück“ nicht gehabt haben, denen ihr Wunder noch vor der Geburt im Bauch gestorben war? Würde ich das aushalten können? Würden sie neidisch sein? Das waren nur wenige Fragen, die ich mir damals stellte.
Ich wusste nicht, was mich bei dieser Bestattung erwarten würde. Ich wusste nicht, ob ich den Bedürfnissen der Trauernden gewachsen sein würde. So recherchierte ich etwas hilflos im Internet nach Erfahrungswerten und Bedürfnissen dieser Frauen. Ich erfuhr, welche (religiösen) Worte verwaiste Frauen mehr verletzen als dass sie ihnen helfen. Ich wollte helfen, ich wollte Hoffnung schenken. Gleichzeitig hatte ich keine Idee davon, was trösten kann, was helfen kann. Ich merkte, wie schwierig es für mich war, zu Worten zu kommen.
Schon nach dieser ersten Beerdigung, wo ich weinende Männer und Frauen vor mir sah, ich aber nichts von ihnen wusste außer dem äußeren Eckdatum, dass sie Eltern eines Kindes geworden waren, das tot geboren wurde, wusste ich, dass ich mehr von ihnen wissen musste, um ihnen etwas sagen zu können. Deshalb entwickelten wir im Team das Beerdigungsformat weiter: Es sollte nun ein Trauergespräch eine Woche vor der Bestattung geben, damit die Eltern uns ihre Geschichten erzählen konnten, damit sie auch voneinander wussten, damit sie sich kennenlernen konnten. Seitdem findet dieser Abend regelmäßig statt. Er gehört bis heute zu den größten Herausforderungen, die ich in meiner pastoralen Tätigkeit als Klinikseelsorgerin erlebe.
Erst durch diese Trauergespräche erfuhr ich, dass auch Eltern abgetriebener, auch spät abgetriebener Kinder zu der Bestattung kommen. Das war eine weitere Herausforderung für mich. Ich wollte nicht als überzeugte Abtreibungsgegnerin und an dieser Stelle als Vertreterin der katholischen Kirche der Tötung von Kindern Gottes Segen geben. Das widerstrebte mir. Aber ich lernte die Trauer dieser Eltern kennen und ich wusste natürlich auch, dass auch die abgetriebenen Kinder genauso Geschöpfe Gottes sind wie jedes andere Kind. Wer Mensch ist, hat auch ein Recht auf eine Bestattung.
Das Interesse an den Frauen und ihrer Geschichte hat sich in mir verdichtet zu einer noch größeren Frage, nämlich wie die Frauen das ihnen Geschehene deuten, denn manchmal hatte ich das Gefühl, dass Frauen wütend waren, auch eventuell auf mich – und ich verstand nicht genau, warum.
Auch entstand in mir der Eindruck, dass es zwar schön war, dass ich etwas sagte, aber dass ich immer messerscharf an diesen Frauen vorbei sprach. Dieser Eindruck motivierte mich, diese Frauen genauer kennenlernen zu wollen. So wuchs in mir das Interesse daran, genauer zu wissen, wie die Frauen diese Situation selbst deuten.
2.1 Eine alte Friedhofskapelle – viele junge Menschen
Die Kapelle, in der die Bestattungen in Göttingen stattfinden, ist eine schöne, alte Friedhofskapelle. Christlich versteht sich, lutherisch – zumal sie auf einem Friedhof steht, der der ev.–luth. Kirchengemeinde St. Petri gehört. Die Bestattungen finden nicht in der großen Kirche, gleich an der Straße, in der sich so manch kleinere Trauergemeinde verlieren würde, statt, sondern in einer kleinen Kapelle, in der ca. 50 Menschen Platz finden. Diese Kapelle steht mitten auf dem Friedhof. Sie ist das zu Stein gewordene Bekenntnis, dass es für die Toten einen Ort im Himmel gibt. Direkt neben der Kapelle liegt das Kindergrabfeld. Wer in die Kapelle will, geht an kleinen Engelsfiguren, an der Regenbogenstele, an bunten Windrädern, Teddys und kleinen Namenssteinen vorbei. Eines wird sofort klar, wenn man zur Kapelle geht – hier sind Kinder bestattet. Der